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Marinko Miletic
Der ehemalige Fußball-Profi Marinko Miletic ist heute der Chef des HamHam an der Kurze Straße in der Düsseldorf Altstadt.

Vom Fußballprofi zum Meister der Schweinebrötchen – die zwei Leben des Marinko Miletic

Heute ist er der Chef des Ham Ham in der Düsseldorfer Altstadt, früher spielte er für Fortuna und diverse Vereine der zweiten bis vierten Liga. Die Geschichte einer fast erfolgreichen Karriere.
Von Marc Latsch (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 14. September 2024

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Es braucht nur eine Minute im Ham Ham, um die zwei Leben des Marinko Miletic zu erfassen. Die Gegenwart steht am Grill gleich hinter der Tür und kümmert sich darum, dass das Fleisch möglichst perfekt gegart ist. Die Vergangenheit hängt überall an den Wänden. Miletic mit Marco Reus, Miletic mit Jonathan Tah, Miletic mit Mario Götze. Ein Rot-Weiß-Ahlen-Trikot mit „Miletic“ und der „4“ auf dem Rücken. „Das ist hier für mich genauso wie Fußball“, sagt das Original, das in der Zwischenzeit vom Grill an einen der Tische gewandert ist.

Marinko Miletic ist seit 2019 Chef des Ham Ham, des Altstadtgrills an der Kurzen Straße, den vor ihm seine Eltern betrieben haben. Davor war der 43-Jährige Fußballprofi. Keiner von denen, die Millionen verdient und für ihr gesamtes Leben ausgesorgt haben, sondern eine Etage tiefer: 57 Zweitliga-Spiele für Oberhausen und Ahlen, ansonsten dritte und vierte Liga für Fortuna Düsseldorf, die Reserve von Borussia Mönchengladbach, St. Pauli und Gütersloh. Eine Karriere, über die Miletic trotz vieler Rückschläge „froh und glücklich“ ist, wie er sagt. „Ich war zigmal am Boden, aber es hat immer einen Sinn ergeben.“

Geboren 1980 in Düsseldorf an der Gladbacher Straße, geht er fünf Jahre später mit seiner Mutter nach Bosnien in die Nähe von Sarajevo zurück. Sein Vater bleibt zum Geldverdienen in Deutschland. In der alten Heimat der Familie spielt der junge Marinko zum Zeitvertreib mit Plastikflaschen von einer angrenzenden Müllhalde Fußball. Als er 1988 mit seiner Mutter wegen der drohenden Kriegsgefahr nach Düsseldorf zurückkehrt, wird der Direktor seiner Grundschule schnell auf sein Talent aufmerksam. Er gibt ihm die Nummer von DSC-99-Vorstand Jürgen Preetz (Vater des späteren Nationalspielers und heutigen MSV-Duisburg-Vorstands Michael). Miletic beginnt dort, beim jungen Mike Büskens (dem späteren Schalker Idol) in der Jugend zu trainieren.

Wenn Marinko Miletic über seine Fußballkarriere spricht, schießen die Namen, Daten und Vereine nur so aus ihm heraus. Er erwähnt Weggefährten wie Fabian Boll, Christian Wück und Marco Reus. Dann schiebt er nach, was aus denen später alles noch geworden ist. Es ist, als wolle er sich und mir immer wieder sagen: Ich war verdammt nah dran. Nur manchmal lässt er in seinem Erzählfluss eine Sekunde Pause für Zwischenfragen.

Schon in der Jugend fällt Miletic auf. Er wechselt zweimal stadtintern. Erst zum BV 04, dann in die B-Jugend der Fortuna, bleibt dort auch in der U19-Bundesliga. Er unterschreibt bei den Profis – genau passend zu deren Abstieg in die drittklassige Regionalliga. Es bleibt zunächst eine Karriere der verpassten Chancen. Miletic entscheidet sich mehrfach gegen Zweitliga-Wechsel und stattdessen für die Reserve von Borussia Mönchengladbach. Seine Hoffnung auf eine Chance bei der ersten Mannschaft wird jedoch nicht erfüllt. Er verletzt sich mehrfach, muss zum Jobcenter, bevor ihm sein Berater immer wieder doch noch einen interessierten Club präsentiert.

„Manchmal habe ich mich schon gefragt: Was machst du jetzt?“, sagt Miletic. Eine abgeschlossene Ausbildung hat er nicht. Die als Maler und Lackierer brach er für den ersten Profivertrag bei Fortuna ab. Um 6 Uhr aufstehen zur Arbeit, danach direkt weiter zum Flinger Broich – irgendwann wurde ihm das alles zu viel. Er hatte also keinen Plan B, nur den, sich auch ohne Verein immer wieder fit zuhalten und auf den nächsten Anruf zu warten. Während er das sagt, sind neben ihm die Vereine zu sehen, die sich gemeldet haben. An der Wand des hinteren Ham-Ham-Gastraums hängen in einer Reihe nebeneinander übergroße Miletic-Autogrammkarten.

Den Höhepunkt seiner Karriere erreicht er spät. Mit 28 wird er erstmals Zweitligaprofi. Ein Jahr zuvor war er nach Ahlen gewechselt, schafft gemeinsam mit Kevin Großkreutz und einem noch sehr jungen Marco Reus den überraschenden Aufstieg. „Auf einmal hat der Traum wieder gelebt. In einem Land von 82 Millionen war ich einer von Tausend“, sagt er. Plötzlich spielt er in den Stadien und gegen die Spieler, die er vorher nur aus dem Fernsehen kannte. Erst in Ahlen, dann in Oberhausen.

An letztgenannter Station erlebt er auch das wohl skurrilste Spiel seiner Karriere. Es ist der 6. Dezember 2009, der TSV 1860 München ist in Oberhausen zu Gast. Noch bevor das Spiel angepfiffen wird, fallen dem DFB verdächtige Wettbewegungen auf. Schiedsrichterbeobachter Hellmut Krug wird sogar in die Kabinen geschickt, um die Mannschaften darüber aufzuklären. „Die Wette war: Oberhausen verliert 1:0 durch mein Eigentor“, erinnert sich Miletic. Eine halbe Stunde vor Schluss kommt ein Freistoß auf ihn zu, er wird angeköpft, der Ball fliegt ins Tor. 0:1 ist auch der Endstand.

In der offiziellen Statistik ist heute der Münchener Stefan Aigner als Torschütze vermerkt. Doch erst einmal wird der Treffer als Eigentor wahrgenommen. Miletic muss zur Kriminalpolizei, erfährt dort, was gewettet wurde und dass bei abgehörten Telefonaten immer wieder sein Name als möglicher Bestechungsansatz genannt wurde. Am Ende stellt sich alles als unglücklicher Zufall heraus. Weder der Beobachter noch die Polizei können irgendeinen Vorsatz erkennen. „Nicht mal ein Eigentor war das“, sagt Miletic. Eine blöde Zeit sei es trotzdem gewesen. Seine Tochter habe sich im Kindergarten anhören müssen, dass er ein Betrüger sei.

Rund ein Jahr später ist Miletics Karriere beendet. Das will er nur erst nicht wahrhaben. Nachdem eine Knieverletzung einfach nicht heilt, lässt Miletic sich operieren. Danach sagt ihm der Arzt, dass er aufhören müsse. 18 Monate lang versucht er dennoch sich zurückzukämpfen. Erst als die Berufsgenossenschaft nicht mehr zahlen will, gibt er auf.

Miletic will zunächst im Fußballgeschäft bleiben. Er macht eine Umschulung zum Bürokaufmann in einer Scouting-Agentur. Nach dreieinhalb Jahren hört er auch dort auf. 2016 steigt er bei seinen Eltern im Ham Ham ein, dem Imbiss, den sein Vater in Düsseldorf großgemacht hat. 2019 gehen die in Rente und Marinko Miletic wird der neue Betreiber. „Es ist nicht nur ein Geschäft, das ich übernommen habe. Es ist eine Zeit in der Vergangenheit.“

Im Imbiss ist es an diesem Donnerstagabend mittlerweile voller geworden. Alle Nachbartische sind besetzt. Immer wieder klingelt Miletics Handy. Zweimal muss er das Gespräch unterbrechen, um kurz vorne am Grill auszuhelfen. Als er wieder zurück ist, will ein Gast vom wissen, was wir hier eigentlich veranstalten. „Erzähle ich dir später“, sagt Miletic.

Dass er einmal Gastronom wird, hatte Miletic nie geplant. Doch er findet schnell Freude daran. „Ich fühle mich wohl, wo viele Menschen sind, wo ich kommunizieren kann. Ich bereue keine Sekunde, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe.“ Und er sagt, dass ihm seine Fußballkarriere auch heute noch hilft. Der Umgang mit schlechten Bewertungen oder der Corona-Krise sei ihm leichter gefallen, weil er mit dem Druck bereits umzugehen gelernt hatte. Miletic steht selbstbewusst hinter dem, was er tut. „Ich habe ein geiles Konzept, das ist deutsches Essen. Die Leute lieben es.“

Vor drei Jahren standen er und das Ham Ham dann nochmal in der großen Öffentlichkeit. Fernsehkoch Tim Mälzer war für die Show „Kitchen Impossible“ bei Miletic zu Gast. Auch er gab sich selbstbewusst – was sollte bei Schweinehaxe mit Bratkartoffeln schon schiefgehen? Doch Mälzer scheiterte am Grill, einem Unikat, vor Jahrzehnten von einem älteren serbischen Mann extra angefertigt. Miletic freut sich derweil über die vielen alten Weggefährten, die ihm nach der Ausstrahlung schrieben.

Der Ex-Fußballprofi ist glücklich über seine zweite Karriere und vor allem darüber, wo sie sich abspielt. In der Düsseldorfer Altstadt, da, wo er sich zuhause fühlt. Selbst in Gütersloher Zeiten blieb er Trainings- und Spielpendler, um in seiner Heimat wohnen bleiben zu können. „Ich war immer Düsseldorfer. Ich liebe diese Stadt“, sagt er. Die deutsche Küche will er dort noch ein bisschen länger anbieten – gerade hat Miletic seinen Vertrag in der Altstadt für zehn weitere Jahre verlängert.

Kurzfristig freut er sich aber erst einmal auf die Fußball-Europameisterschaft. Auf die vielen internationalen Gäste, die er mit seinem Essen glücklich machen möchte (20 Slowaken haben sich schon für das Spiel gegen die Ukraine angekündigt), auf die deutsche Nationalmannschaft, der er viel zutraut, und auf die kroatische Nationalmannschaft, der er vor allem die Daumen drückt. 2026 will er mit ein paar Freunden selbst als Fan verreisen. Dann findet die Weltmeisterschaft in den USA, Kanada und Mexiko statt.

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