Auf den Teller statt in die Tonne

Heike Vongehr winkt am Fenster in der ersten Etage des ehemaligen Zollgebäudes auf dem Großmarktgelände. Hier, an der Hugo-Viehoff-Straße/Ecke Ulmenstraße, befinden sich seit einem Jahr Büros und Lagerräume der &bdquo;Düsseldorfer Tafel“. Vongehr hat sie 1994 mit ein paar anderen Frauen gegründet. Seitdem ist sie Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins. Heute ist sie eine der bekanntesten Düsseldorfer Ehrenamtlerinnen und 78 Jahre alt. &bdquo;Leider“ fügt sie bezogen auf ihr Alter leise hinzu. Doch sie will in diesem Jahr noch weitermachen. Es gibt genug zu tun. Zuletzt hatte ich sie kurz vor dem 25-jährigen Bestehen der Tafel gesprochen. Damals war sie besorgt: Der Verein musste seine Zentrale auf einem Gewerbehof an der Völklinger Straße verlassen, der langjährige günstige Mietvertrag wurde nicht verlängert, das Grundstück an einen Investor verkauft. Für die Tafel begann die Suche nach bezahlbaren neuen Räumen, in zentraler Lage und vor allem mit Parkflächen für die Lebensmitteltransporter. Unter der Vermittlung des ehemaligen Oberbürgermeister Thomas Geisel konnte der Verein schließlich die ehemaligen Zollräume am Großmarkt anmieten. Vongehr kehrte damit zu einem ihr wohlbekannten Ort zurück. Hier fuhr sie 1994 frühmorgens mit ihrem Privatauto vor und bekam Obst und Gemüse-Spenden von den Großmarkthändlern, die sie und ihre Mitstreiterinnen dann zu den Küchen der Obdachlosenstätten brachten. Auf die Idee hatte sie eine TV-Reportage über die New Yorker Organisation &bdquo;City Harvest“ gebracht, die bereits seit 1982 Lebensmittel vor dem Müll rettet und sie an Arme verteilte. Vongehr erzählte ihrer Familie davon. Ihr Mann reagierte zunächst skeptisch, die Situation in Düsseldorf sei doch mit New York nicht zu vergleichen. Doch ihr Sohn zeigte ihr einen Artikel aus dem Hamburger Abendblatt. Nach Berlin (1993) war auch in der Hansestadt ein Tafel-Verein gegründet worden. Heike Vongehr suchte den Kontakt zu deren Initiatorin Ami Dose und schwärmt heute noch von &bdquo;dieser tollen Frau“, deren Enkel ihre Arbeit fortsetzt. Vongehr zögerte damals nicht lange, gründete noch 1994 den Verein &bdquo;Düsseldorfer Tafel“, den ersten in Nordrhein-Westfalen. Insgesamt gab es damals sieben dieser Freiwilligen-Organisationen bundesweit, heute sind es rund 950. Jede arbeitet individuell. Über einen Dachverband tauschen sich die Vereine aus und entwickeln durch gemeinsame Grundsätze und einheitliches Logo die Einrichtungen der Tafeln zu einer Art Marke. Die es wohl noch länger geben muss. Jedenfalls solange Menschen sich den Kauf frischer Lebensmittel nicht leisten können, weil sie nicht wissen, wie sie überhaupt über die Runden kommen. Sie zu unterstützen - dafür engagieren sich bei der Düsseldorfer Tafel neben einer Handvoll festangestellter Mitarbeiter:innen rund 60 Ehrenamtliche. Die meisten sind Männer und haben ihr Berufsleben beendet. Es gibt einen genauen Dienstplan, manche kommen zwei bis dreimal in der Woche, manche alle 14 Tage. Ihr Ehrenamt beginnt morgens um 8 Uhr in der Zentrale. Von hier aus rufen sie bei den Filialen der Lebensmittelketten, Discounter und Bäckereien an, fragen nach, ob sie etwas für die Tafel haben. Dann starten die Touren durch die Stadt. Just-in-Time werden dann von den Läden aussortiertes Obst, Gemüse und Brot mit fünf Sprintern und zwei weiteren Kleintransportern zu den Ausgabestellen gebracht. Rund 15 Tonnen gerettete Lebensmittel sind das in der Woche. Von guter Qualität, betont Heike Vongehr. Ihr Grundsatz: &bdquo;Was wir selbst nicht essen möchten, muten wir auch anderen Menschen nicht zu.“ Nach den Touren kommen die Ehrenamtler noch mal zusammen. Man isst noch gemeinsam zu Mittag, erzählt. Die freiwillige Arbeit gibt vielen von ihnen eine feste Tagesstruktur. Sie wissen aber auch, ohne sie gäbe es die Tafel nicht. Das gilt ebenso für die vielen ehrenamtlich Aktiven, die in den neun Ausgabestellen der evangelischen und katholischen Gemeinden die überschüssigen Lebensmittel an die einkommensschwachen Männer, Frauen und Familien zu festen Terminen verteilen. In der ersten Zeit der Corona-Pandemie musste auch die Tafel ihre Arbeit einstellen. Schließlich gehören ihre meist älteren Helferinnen und Helfer der Risikogruppe an. Inzwischen läuft der Betrieb wieder normal, alle im Team sind vollständig geimpft, jeden Morgen wird getestet. Von einem Impfgegner hat Vongehr sich jedoch getrennt. Wenn nur einer krank werde, könne man den Betrieb einstellen. Die Tafel finanziert sich allein über Geld- und Sachspenden. Bezahlt werden muss nicht nur die Miete am Großmarkt, sondern auch Benzin, Versicherungen und Reparaturen der Lieferfahrzeuge. Zum Glück aber nehme das Interesse der Düsseldorfer an der Arbeit der Tafel nicht ab. Nur so kann auch die 2007 gegründete Kindertafel bestehen. Mit den Spendengeldern finanziert der Verein inzwischen auch die Mittagsverpflegung von 1500 Kindern und Jugendlichen an 26 Schulen. Das Prinzip der Tafel ist es, keine Lebensmittel dazu zu kaufen, sondern nur die überschüssigen zu verteilen. Dank Großspendern wie Henkel und L’Oreal erhält der Verein zudem Hygieneartikel. Beim Rundgang im Lager zeigt Vongehr die Paletten. Das reicht für viel mehr Menschen als die 8000 Düsseldorfer Tafelgäste. Deshalb wird geteilt: Die Tafeln von Hilden, Neuss und anderen Nachbargemeinden sollen ebenfalls davon profitieren. Im Nebenraum sind Konserven gelagert. Heike Vongehr bleibt plötzlich stehen, als sie Grünkohl-Gläser entdeckt. &bdquo;Das muss jetzt im Winter raus“, sagt sie, die sich bei der Tafel &bdquo;als Mädchen für alles“ bezeichnet. Zurück im Büro gibt es gleich Anweisungen, den Grünkohl bei den nächsten Lieferungen zu den Ausgabestellen zu bringen. Vongehr ist in ihrem Element. Und mit der von ihr vor 28 Jahren begonnenen Aufgabe noch nicht fertig. Der neue Standort am Großmarkt sei perfekt. Doch eben nur ein Provisorium, bislang auf fünf Jahre begrenzt. Sie müsse deshalb bald mal Oberbürgermeister Stephan Keller zum Gespräch einladen. Die Gründerin und Netzwerkerin der Tafel hat eben noch genug zu tun. Weiterführende Links Die Seite der Düsseldorfer Tafel ist hier zu finden. Die Seite der Tafel Deutschland steht hier.

Auf den Teller statt in die Tonne

Auf den Teller statt in die Tonne

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