Mittwoch, 18. Mai 2022
 
+ VierNull feiert ersten Geburtstag + Vom Arbeiterkind zur Ingenieurin + Kunst total in der Tonhalle +
 
  
Guten Morgen ,

es ist 1997 und die CD in meinem Discman ruckelt, während ich die Stufen zum Garten meiner Oma hochrenne, um mich heulend hinter Heckenrosen zu verstecken. Vorher tausche ich einen grünen Markschein im Plattenladen unserer mittelgroßen Stadt gegen meine ersten zwei eigenen CDs. „A-N-N-A“ von Freundeskreis und „Alles Banane“ von den Schlümpfen. Für HipHop bin ich zu jung, für Kinderpop zu alt. Deshalb höre ich dann doch zum tausendsten Mal Blumfelds „Old Nobody“, denn für Blumfeld ist man immer genau richtig alt. „Was willst du eigentlich mal werden?“, hat der grillende Mann unten im Hof meiner Oma gefragt. „Autorin und Vegetarierin“, antworte ich. Er lacht, hebt Würstchen vom Rost, legt sie auf meinen Teller, quetscht durch das Loch im grünen Deckel der roten Plastikflasche Gewürzketchup und sagt: „Nicht heute.“ Hinter der Hecke werfe ich die Würstchen weg, lecke den Ketchup von meinen Fingern und singe leise mit Jochen Distelmeyer gegen die Tränen an.
Die Nacht danach. Ich liege in meinem Hochbett und kann nicht schlafen, weil ich schreibe. Meine neueste Geschichte: Der letzte lebende Dino. Mit Illustrationen von: Anne Florack. Am nächsten Tag sind Filzstiftflecken auf dem Laken und ich bin müde und glücklich, weil ich weiß, was ich will. Heute, morgen und wenn ich alt genug für HipHop bin.
VierNull wird heute ein Jahr alt. Glauben Sie mir, ich habe als Autorin schon mit allerlei Pappnasen zusammengearbeitet. Das Team von VierNull gehört nicht dazu. Mich umgeben hier ausnahmslos Kolleginnen und Kollegen, die ich sehr schätze, die mich sehr schätzen. Was durfte ich in diesem Jahr alles schreiben, erzählen, probieren, verwerfen und lernen. Wen konnte ich in diesem Jahr alles kennenlernen, was haben wir in diesem Jahr gemeinsam getüftelt und gelacht. Der Podcast mit der allerbesten Crew der Welt entstand, zwischen Handschellen und fliegenden Champagnerkorken sprachen wir mit Betrügern, Detektivinnen, Giftfischexpertinnen und einmal bin ich auf der Couch vor der gesamten Mannschaft eingepennt. Als ich aufwachte, wurde ich nicht entlassen, sondern zugedeckt. 
Dass es mir hier so irre gut geht, liegt aber natürlich auch an Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Die mich, wenn ich krank den Newsletter schreibe, mit herzlichsten Besserungswünschen überschütten. Die mir unaufhörlich neue Lieblingstiere für meine Sammlung schicken und berichten, wo meine Lieblingsschokolade gerade im Angebot ist. Die Konzerte und Kulturveranstaltungen besuchen, weil ich sie empfehle und sich danach gar nicht beschweren, sondern bedanken. Schreiben ist Handwerk. Schreiben für Sie: ein Herzwerk.
Die Stelle, die ich damals hinter der Hecke mitsang, die ich auch jetzt noch singe, wenn ich sie brauche, ist übrigens aus dem Song „Kommst Du mit in den Alltag“ und geht so: „Weißt Du noch, unter der alten Brücke? Wir hatten uns so fest geschworen, anders zu sein als die Leute in ihren Büros.“ Falls wer fragt, wann ich mit Würstchen essen oder einem ordentlichen Beruf anfange, richten Sie bitte aus: „Nicht heute.“

Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.

Unser Journalismus ist werbefrei und unabhängig, deshalb können wir ihn nicht kostenlos anbieten. Sichern Sie sich unbegrenzten Zugang mit unserem Start-Abo: die ersten sechs Monate für insgesamt 1 Euro. Danach kostet das Abo 10 Euro monatlich. Es ist jederzeit kündbar.

Start-Abo: 6 Monate für 1 Euro

Schon Mitglied, Freundin/Freund oder Förderin/Förderer?

Hier einloggen

© 2021 VierNull Media UG. Alle Rechte vorbehalten. Der Newsletter ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung bedarf der vorherigen schriftlichen Genehmigung von VierNull Media UG.