True-Crime-Podcast #5: Echtes Genie, unechte Picassos
Ende der 1980er Jahre in Düsseldorf. Ich bin Polizeireporter der „Rheinischen Post“ und bekomme einen Hinweis aus Polizeikreisen: Man habe einen Kunstfälscher festgenommen, der inzwischen in Untersuchungshaft sitzt. Rund 3000 Bilder soll er gefälscht haben.
Der Mann heißt Edgar Mrugalla. Den Namen hatte ich noch nie gehört, das Delikt Kunstfälschungen ist mir völlig neu – was sich bald ändern soll. Schnell wird mir die Geschichte offiziell bestätigt, und so tauche ich ein in das Universum, das von Namen wie Rembrandt, Picasso, van Gogh, Kollwitz und anderen Berühmtheiten geprägt ist.
Wenig später bekomme ich die Möglichkeit, mir das Schaffen des Mannes anzuschauen. Ich darf in die Asservatenkammer des Präsidiums am Jürgensplatz, in dem die Beweise für den Prozess liegen. Hunderte Bilder, säuberlich nach Größe sortiert an die Wand gelehnt. Ich sehe Picasso und van Gogh, Miró und Käthe Kollwitz, Beckmann und Rembrandt. Ein Moment, den ich nie vergessen werde. Ich fühle mich wie im Magazin eines Museums. Eine unwirkliche, spannende Atmosphäre hat der Raum.
Und das passt zu diesem ganzen Fall. Mittendrin: Edgar Mrugalla. Der ehemalige Lkw-Fahrer und Trödler aus Berlin hatte früh sein Talent für die Malerei entdeckt – und bemerkt, wie leicht es ist, gutgläubige reiche Menschen zu verführen, wenn das Bild schön, der Name berühmt und der Preis günstig ist. Nach anfänglich bescheidenen Versuchen mit Zeichnungen weitet er seine Produktion alsbald aus und konzentriert sich vor allem auf jene Maler, deren Technik er besonders gut nachvollziehen kann. Ganz vorn: Pablo Picasso. Den ahmt er mit atemberaubender Leichtigkeit nach, behandelt Farben, Leinwand und Oberfläche mit selbst entwickelten Tricks, um das vorgegebene Alter plausibel erscheinen zu lassen und bietet sie zum Kauf an.
Die Nachfrage, das zeigt der spätere Prozess, ist riesig. Bald hat Mrugalla eine dichtes Kundennetz aus Galerien, Museen, Sammlern oder einfach nur kunstinteressierten Privatleuten. Einige von ihnen treten im Verfahren vor dem Landgericht Düsseldorf als Zeugen auf, und ihre Aussagen sind verblüffend. Nur ein Beispiel: Eine junge Frau aus dem Münsterland, sichtlich eingeschüchtert im Zeugenstuhl (der direkt vor der Pressebank steht), erzählt stockend, warum sie von Mrugalla eine Reihe von Zeichnungen kaufte, die angeblich von Käthe Kollwitz stammten. Ihr Mann sei Zahnarzt, verdiene sehr gut, und man habe überlegt, wie das Geld sinnvoll auszugeben und das neue Haus stil- wie geschmackvoll zu schmücken sei.
Gebannt hören die Kammer und der Zuschauerraum zu, als die Zeugin berichtet. Mrugalla sei in seiner Jaguar-Limousine vorgefahren, habe den Kofferraumdeckel aufgeklappt und darin hätten ganze Packen von verschiedenen Bildern gelegen. Sie hätte sich mehrere Stücke von Kollwitz ausgesucht und gekauft – für einige tausend D-Mark. Ob der Preis sie nicht habe misstrauisch werden lassen? Nein, sagte sie. Mrugalla habe ihr erzählt, seine Mutter habe die Putzfrau von Käthe Kollwitz gekannt, die habe die Blätter geschenkt bekommen und dann an Frau Mama vererbt. Also könne er sie günstig abgeben.
Aber nicht nur völlige Laien fielen auf den genial Begabten herein. Nach und nach stellt sich heraus, dass mehrere Museen ihm aufgesessen sind, Galerien und Sammler. Und es wird klar, dass nicht selten bei den Düpierten gar kein Interesse daran bestand, über den wahren Hintergrund der Werke aufgeklärt zu werden. Zu groß die Angst vor der Blamage und dem dann manifestierten Wertverlust.
Im Prozess erzählt Mrugalla ausführlich im berlinerischen Dialekt von seinem Blick auf den Kunstmarkt: Von betrügerischen Geschäften der Galerien untereinander will er gewusst haben, von wenig sachkundigen und gegen Honorar sehr testierwilligen Gutachtern, von Künstlern, die sich selbst kopieren und eigentlich singuläre Werke erneut verkaufen. Wobei man schnell bei der Frage ist: Wo beginnt die Kopie, wo die Fälschung, wo die Illegalität?
Der Prozess ist nie langweilig, und dank des auch sprachlich begabten Mrugalla sehr amüsant. Am Ende kommt er mit zwei Jahren Haftstrafe davon, zur Bewährung ausgesetzt. Beim Strafmaß mag eine Rolle gespielt haben, dass es wenig Mitleid mit den Opfern gab, die sich sehr oft allzu willig hatten aufs Kreuz legen lassen.
Aufgefallen war Mrugalla übrigens, weil ein Düsseldorfer Galerist damals feststellte, dass plötzlich ungewöhnlich viele Picassos auf den Markt kamen. Das machte den Mann skeptisch, er prüfte das nach und stieß auf den Mann, der sie nicht nur anbot, sondern praktischerweise gleich selbst malte: Edgar Mrugalla.
Sein Sohn Richard ist ebenfalls Maler, und angesichts seiner Werke kann man sagen, das Talent des Vaters hat sich vererbt, vor allem bei seinen Kopien großer Meister. Er lebt und arbeitet heute in der Nähe von Hamburg. Kunst und Malerei habe in der Familie immer eine Rolle gespielt, erzählt er, und schon früh habe der Vater angefangen, das Talent des Sohnes zu fördern und ihn ermutigt, es zu nutzen.
Mrugalla selbst ist vor wenigen Jahren gestorben – bei seiner Tochter in Düsseldorf, wo ihm der Prozess gemacht wurde. In den Jahren zuvor jedoch hat er seinen plötzlichen Ruhm und seine Begabung zu Geld gemacht: Nach der Verurteilung malte er weiter, und am liebsten die ganz großen Künstler. Nunmehr allerdings offiziell als Kopien. Picassos à la Mrugalla, sozusagen.
Link zur Folge
Der Fall des Fälschers Edgar Mrugalla ist die neue Folge unseres True-Crime-Podcasts „Kohle, Knast & Kaviar“. Diese Episode und die weiteren (Der Fall Helge Achenbach, Der Fall Minouche, Der große Metro-Betrug und Mord ohne Leiche) können Sie hier hören:
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