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Top-Spion der DDR kam in Düsseldorf vor Gericht

Angeklagt war Markus Wolf, zweitmächtiger Mann der Stasi hinter Minister Erich Mielke. Nach dem Fall der Mauer verhandelte das OLG in der NRW-Landeshauptstadt über ihn. In dieser Folge unseres Podcasts berichte ich, wie ich den Prozess erlebt habe.
Von Hans Onkelbach (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 11. Oktober 2024
Aufnahme des True-Crime-Podcasts "Kohle, Knast und Kaviar"
Ton läuft: Wenn dieser Zettel zu sehen ist, sind die Podcast-Moderatoren Hans Onkelbach und Christian Herrendorf im Gespräch über einen Kriminalfall aus Düsseldorf.

Er war lange Zeit ein Mann ohne Gesicht. Perfekt abgeschirmt arbeitete er ganz oben im Ministerium für Staatssicherheit der DDR, kurz Stasi genannt. Über viele Jahre blieb er geheimnisumwittert – bis der zweite deutsche Staat kollabierte. Und damit bekam das Phantom ein Gesicht und einen Namen: Markus Wolf. Er war Leiter der HVA, der Hauptverwaltung Aufklärung, und damit der wichtigste Stasi-Mann hinter Minister Erich Mielke. Im Mai 1993 stand dieser Mann nun vor Gericht. Das Oberlandesgericht Düsseldorf sollte entscheiden, ob Wolf sich der geheimdienstlichen Tätigkeit gegen Deutschland schuldig gemacht hatte.

Er selbst bejahte das: Natürlich habe er als Geheimdienstler gearbeitet, Spione angeworben und geleitet. Das sei ja seine Aufgabe in der DDR gewesen. Ihn dafür nun in der Bundesrepublik, dem ehemaligen Klassenfeind der DDR, anzuklagen, war für ihn regelrecht bizarr. „Welches Land soll ich denn verraten haben?“ fragte er einmal während der Verhandlung. Das war im Grunde die zentrale Frage: Konnte, durfte man diesem Mann, der für seine Heimat seine Pflichten erfüllt hat, im Westen dafür verurteilen?

Der Prozess gegen ihn in Düsseldorf, bei dem ich dabei war, wurde so zu einem Lehrstück deutscher Geschichte und juristischer Spitzfindigkeiten. Wolf, der auf freiem Fuß war, reiste zu jedem Verhandlungstag aus Berlin an, plauderte vor den Verhandlungen locker mit Journalisten und zeigte nicht eine Sekunde Nervosität. Er war sich seiner Rolle bewusst, und strahlte das aus, was ihm in der DDR zu einer steilen Karriere verholfen hatte: Selbstbewusstsein, Souveränität, Weltgewandtheit, Charme, Bildung.

Hochgewachsen, stets sehr gut gekleidet, schilderte er in einer Attitüde zwischen Amüsement und Ernsthaftigkeit seinen Job, versuchte erst gar nicht, seine Verantwortung in irgendeiner Art zu schmälern oder sein Handeln zu entschuldigen. Wozu auch? Nach seiner Einschätzung hatte er ja kein Verbrechen begangen. Bisweilen entstand der Eindruck, er genoss seinen Auftritt und das Medieninteresse.

Und als dann noch sein berühmtester Spion, Günter Guillaume, als Zeuge aussagte, da war Wolf anzumerken, wie stolz er auf dieses Meisterstück der Agententätigkeit war. Guillaume war bis ins unmittelbare Umfeld des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) gelangt. Er lieferte erstklassige Informationen aus dem Kanzleramt, bis er aufflog. Der Fall führte seinerzeit zum Rücktritt von Brandt. Was man in der DDR übrigens bedauerte, fiel doch so eine hervorragende Quelle für Informationen weg.

Die Episode zum Prozess gegen Markus Wolf ist der erste Teil einer Doppelfolge zu Stasi-Prozessen in Düsseldorf. In der zweiten sprechen wir über das Verfahren gegen den SPD-Politiker Karl Wienand, der ebenfalls in den 1990er Jahren in Düsseldorf wegen Agententätigkeit angeklagt war. Sie erscheint voraussichtlich Anfang November.


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