75 Millionen Euro für Übergangs-Oper – aber es kann noch deutlich teurer werden

Wenn die alte Spielstätte in Düsseldorf abgerissen und die neue gebaut wird, muss das Haus für fünf Jahre umziehen. Der Beschluss für diese Zwischenlösung soll nun fallen. Allerdings ist der Preis gewaltig und die Zahl der offenen Punkte ebenfalls hoch.
Veröffentlicht am 25. April 2024
CCD Ost in Düsseldorf
Favorit der Stadtverwaltung für die vorübergehende Heimat der Oper? Das Congress-Centrum an der Düsseldorfer Messe.

Um die Mittagszeit tagen politische Gremien in Düsseldorf nur in Ausnahmefällen. Der Rat macht das einmal im Jahr, wenn der gesamte städtische Haushalt besprochen und beschlossen werden muss, um zumindest ansatzweise vor Mitternacht fertig zu werden. Es steht also offenbar etwas Besonderes an, wenn am 30. April schon um 12 Uhr die Mitglieder aus vier Ausschüssen und einer Bezirksvertretung im Congress-Centrum an der Messe zusammenkommen. Der Eindruck stimmt: Es geht um die neue Oper und viel Geld.

Was wird in der Sondersitzung diskutiert?
Die Tagesordnung hat zwei Punkte: Die Stadt möchte den Architekten-Wettbewerb für die neue Oper ausloben und sie möchte eine Entscheidung zur Übergangs-Oper treffen. Damit ist die Spielstätte gemeint, in der Solist:innen, Chöre und Orchester auftreten, während an der Heinrich-Heine-Allee das bisherige Opernhaus abgerissen und das neue gebaut wird. Das wird nach jetziger Berechnung mindestens fünf Jahre dauern. Im Zentrum der Debatte steht der Preis für das Interim.

Was kostet die Übergangs-Oper?
Die Stadt schlägt vor, das Congress-Centrum Ost zur vorübergehenden Oper zu machen. Das würde nach ihren jetzigen Berechnungen 75 Millionen Euro kosten. Die größten Posten in der Rechnung:

  • die technischen Anlagen einschließlich Bühnentechnik = 30 Millionen
  • die Baukonstruktion = 23,8 Millionen
  • die Baunebenkosten = 13,5 Millionen

Kann die Summe noch steigen?
Ja, aus mindestens drei Gründen:

1. Die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, wie schnell und stark Baukosten nach oben gehen können. Bis zum Baustart der Übergangs-Oper vergehen noch mehr als zwei Jahre. In der Kalkulation stehen dazu zwei leicht verschwurbelte Sätze: „Die Kostenermittlung hat die Qualität eines Kostenrahmens, welche Abweichungen von bis zu 40 Prozent bis zur Kostenfeststellung ermöglichen. In dem Kostenrahmen nicht enthalten sind eventuelle Altlasten im Abtragungsbereich sowie Baukostensteigerungen.“

Letztlich sind auch diese 40 Prozent nur geschätzt. Im Moment ist die Bauwirtschaft insgesamt weitgehend zum Erliegen gekommen. Wenn der Markt wieder anzieht, können Materialien knapp werden und Preise überdurchschnittlich steigen.

2. In der bisherigen Kalkulation steht neben dem Wort Grundstück eine Null. Ich habe Zweifel, dass diese Zahl dort stehen bleibt. Würde die Messe der Stadt das CCD-Ost für die fünf Jahre unentgeltlich überlassen, könnte dies als verdeckte Gewinnausschüttung einer Stadttochter gesehen werden. Es besteht deshalb das Risiko, dass eine marktübliche Pacht zu den 75 Millionen Euro hinzukommt.

3. Die vorgeschlagene Variante sieht vor, dass ein Teil der Beschäftigten (vor allem Opern-Verwaltung) nicht am Standort arbeitet. Für sie muss an anderer Stelle etwas angemietet werden, die Rede ist von 5000 Quadratmetern. Diese zusätzlichen Kosten tauchen in der Rechnung bisher nicht auf.

Kann die Stadt Teile der Übergangs-Oper weiterverkaufen?
Das plant sie zumindest und präsentiert eine weitere Zahl, die Zweifel bei mir wecken. In der Rechnung steht unter der Gesamtsumme „Ergebnisse durch Abverkauf nach Opernnutzung ca. 30 Prozent der Investitionskosten = 22,5 Millionen Euro“. Diese Summe habe sich aus internationalen „Projekten mit entsprechendem Abverkauf“ ergeben.

Was sind das für Projekte und wie kommt die Stadt auf die etwa 30 Prozent? Nach meinen Recherchen gibt es drei Projekte, auf die sich Düsseldorf bei seiner Rechnung bezieht: Paris, St. Gallen und Düsseldorf.

Paris: Der Grand Palais wurde zur Weltausstellung 1900 geschaffen. Dort fanden Ausstellungen, Messen, Modeschauen und Konzerte statt. Seit 2021 wird der Grand Palais saniert, ihn vertritt der Grand Palais Éphémère. Diese Halle ist so angelegt, dass sie anschließend zurückgebaut und Einzelteile verkauft werden können. So werden nach 43 Millionen Euro Baukosten rund sieben Millionen Euro zurückfließen, also gut 16 Prozent. Mehr dazu finden Sie hier.

St. Gallen: Die Stadt in der Schweiz hat in den vergangenen Jahren für rund acht Millionen Euro ein neues Theater errichtet. Während der Bauzeit gab es ein Provisorium, das anschließend für 5,9 Millionen Euro nach Ingolstadt ging. Es wurden also rund 75 Prozent der ursprünglichen Baukosten wieder reingeholt. Mehr dazu hier.

Düsseldorf: Die Oper hat hier 2006 und 2007 schon einmal nicht an gewohnter Stelle, sondern in der ROM (Rheinoper Mobil) gespielt. Die Konstruktion am Rhein kostete damals 1,7 Millionen Euro, später erlöste die Stadt 350.000 Euro, also etwa 20 Prozent.

Wenn man aus den drei genannten Prozentwerten (16, 75 und 20 Prozent) sehr grob einen Durchschnitt bildet, kommt man auf die 30 Prozent, auf die die Stadt bei der geplanten Übergangs-Oper hofft. Das ist allerdings meine Interpretation, denn die Stadt macht keine Angaben, wie sie die 30 Prozent ermittelt hat.

Zudem muss ein solcher Verkauf von Teilen überhaupt erstmal gelingen. Die Stadt nennt in ihrer Argumentation nur erfolgreiche Projekte. Dass so etwas schiefgehen kann, war ebenfalls in Düsseldorf zu erleben. Beim so genannten Lüpertz-Pavillon, ein Holztempel für die Quadriennale 2006, versprach man sich auch anschließende Einnahmen. Käufer:innen fanden sich aber nicht, 2014 verschenkte die Stadt das Bauwerk – nachdem sie es damit ins Schwarzbuch des Steuerzahlerbunds geschafft hatte. Mehr dazu in diesem Artikel.

Was kostet das Gesamtprojekt?
Die jetzige Debatte vermittelt einen Eindruck, welche finanziellen Dimensionen das Projekt neue Oper mit sich bringt. Ein paar „kleinere“ Beispiele: Zu den 75 plus X Millionen Euro für die Übergangs-Oper kommen unter anderem 6,5 Millionen Euro für den Architekten-Wettbewerb, 29,5 Millionen Euro für Vorentwurfs- und Entwurfsplanung und 16,8 Millionen Euro für die Verlegung des Entwässerungssammlers und einer Stromleitung am Hofgarten.

Die mit Abstand größte Summe fällt schließlich für den Neubau an. In der jetzigen Ausschreibung gibt es dazu keine Angaben der Stadt, also auch keinen Höchstbetrag. Schätzungen gingen vor einigen Jahren von einem hohen dreistelligen Millionenbetrag aus. Angesichts der gestiegenen Baukosten seitdem und zu erwartenden weiteren Anstiegen in den Jahren bis zum Baustart, kann das Projekt leicht die Grenze von einer Milliarde Euro überschreiten.

Welche anderen Möglichkeiten gibt es?
Der Stadtrat hatte die Verwaltung beauftragt zu prüfen, wo eine Übergangs-Oper möglich ist. Das Rathaus demonstriert nun großen Fleiß. Theater in Nachbarstädten wurden ebenso untersucht wie 46 Orte in der Stadt – von Großmarkt über Kaufhof und Karstadt am Wehrhahn bis zur Ballonwiese im Volksgarten. Die Ergebnisse:

Theater in anderen Städten: Duisburg, Neuss, Krefeld und Mönchengladbach kommen laut Stadt alle nicht in Betracht. Mal, weil dort in den erforderlichen Jahren Sanierungsarbeiten anstehen, mal, weil sie durch ihren eigenen Spielplan ausgelastet sind.

Orte in der Stadt: Von den 46 geprüften blieben am Ende nur zwei übrig: CCD Ost und das Castello in Reisholz. Bei allen anderen stellte man meist fest, dass der Bebauungsplan nicht zulässt, dort eine Übergangs-Oper zu schaffen. Bei der Mitsubishi Electric Halle und beim Dome lautete das Gegenargument schlicht, dass es dort ja einen Betrieb gibt. Bei der Abwägung von CCD Ost und Castello entschied sich die Verwaltung für das erstgenannte Gebäude.

Wie stehen die Fraktionen im Stadtrat dazu?
CDU und FDP sind für eine neue Oper und alle damit verbundenen Schritte, die kleinen Fraktionen und Gruppen im Stadtrat dagegen. Die Schlüsselrolle fällt Grünen und SPD zu.

Grüne: Die zweitgrößte Fraktion im Stadtrat hat bei der Entscheidung über den Neubau im vergangenen Sommer mit Nein gestimmt. Sie findet, dass das Projekt zum jetzigen Zeitpunkt nicht angebracht ist. Später befürworteten die Grünen die Machbarkeitsstudie zur Übergangs-Oper – mit der Begründung, man wolle die Suche nach der bestmöglichen Zwischenlösung unterstützen. Das Ergebnis dürfte der Fraktion nicht gefallen. Deshalb rechne ich damit, dass die Grünen den jetzigen Plänen fürs Interim nicht zustimmen.

SPD: Die Sozialdemokrat:innen haben im vergangenen Sommer einen Deal mit Oberbürgermeister Stephan Keller gemacht. Sie haben ihm die erforderlichen Ja-Stimmen für den Neubau-Beschluss verschafft, im Gegenzug hat er auf ihr Betreiben ein großes Wohnungsprogramm gestartet. Ich rechne daher damit, dass die SPD bei der Auslobung des Architekten-Wettbewerbs mit Ja stimmt.

Spannender wird es bei der Übergangs-Oper. Dazu ist von den Sozialdemokrat:innen bisher nur lautes Schweigen zu vernehmen. Die genannten Kosten sind für eine Zustimmung eigentlich zu hoch, die Pläne widersprechen dem SPD-Wunsch nach einem schlichten Lösung. Andererseits neigt die Fraktion bisweilen zu einer staatstragenden Vernunft. Dann könnte es am Ende heißen: Die Oper müsse doch irgendwo unterkommen, wenn das die beste der schlechten Lösungen ist, stimme man zähneknirschend zu.

Ein Punkt wird ein solches Ja der SPD allerdings erschweren. Es ist für lange Zeit die letzte Chance, politisch Einfluss auf das Projekt als Ganzes zu nehmen. In den nächsten Jahren wird der Stadtrat ausschließlich über die Ergebnisse des Architekten-Wettbewerbs befinden. Die nächste große Entscheidung ist dann der Ausführungs- und Finanzierungsbeschluss für den Neubau. Derzeit erwarteter Termin: erstes Quartal 2028.


Lust auf weitere Geschichten?