Angela Erwin: Bruder gefährdet ihre Karriere
Um die Dimension dieser Aussagen zu erfassen, muss man den Text mehrfach lesen. Am Ende steht ein Satz von großer Wucht: „Ich habe meine Familie immer verteidigt, mich vor sie gestellt, Prügel für sie kassiert. Obwohl ich für eben diese Familie immer nur ein Klotz am Bein war, eine Last. Dies ist mit dem heutigen Tag vorbei.“
Das schreibt Markus Erwin (42), Sohn einer der bekanntesten Familien Düsseldorfs. Sein Vater ist der 2008 verstorbene Oberbürgermeister Joachim Erwin (CDU), Mutter Hille trat und tritt kaum in der Öffentlichkeit auf. Aber seine Schwester Angela ist eine seit Jahren stetig nach oben kletternde Unions-Politikerin. Seit 2017 ist sie Mitglied des Landtags, dort Vorsitzende des Innen-Ausschusses, steht an der Spitze der NRW-Mittelstandsunion der CDU und wird für weitere Ämter gehandelt. Dass sie demnächst Innenminister Herbert Reul beerbt, war für viele bisher denkbar.
Markus‘ sehr langer und inzwischen wieder gelöschter Beitrag ist hoch emotional und zielt auf Mutter und Schwester. Hier einige Zitate (wir übernehmen die Textpassagen so, wie er sie geschrieben hat – also auch mit allen Fehlern):
„In meiner Familie wurde nie ehrlich miteinander gesprochen. Probleme wurden aus dem Weg geräumt, wurden nicht ausgesprochen, wurden nicht gelöst. Probleme wurden am Ende totgeschwiegen“
„Ich habe nie Liebe erfahren, ganz im Gegenteil, ich war nie gut genug. Speziell für meine Mutter. Meine Mutter hat sich immer nur dafür interessiert, was die Öffentlichkeit über uns denkt und da war ich immer der böse. Mein Vater dagegen hat mir Liebe gezeigt.“
„Während meine Schwester im Grunde wie jeder Politiker nichts geleistet hat, trotzdem aber immer die Gute von uns beiden war. … Am Ende war sie Politikerin, unterstützt durch das Geld von Familie, Netzwerk und natürlich basierend auf dem Nachnamen meines Vaters.“
„Ich hasse meine Mutter dafür. Speziell weil meine Familie so unfassbar viele schmutzige Dinge in ihrem Leben gemacht hat, gerade was Geld angeht, kriminelle Sachen, Steuerhinterziehung.“
„Und statt Probleme mal anzusprechen und ehrlich miteinander umzugehen. Was wird stattdessen in dieser Familie ganz viel gemacht? Getrunken, viel getrunken! …Da passt ganz gut zu, dass meine Schwester damals wie es in der Zeitung zu lesen war mit zwei Komma irgendwas Promille besoffen am Steuer erwischt wurde. … Ich wurde dafür kritisiert, während meine Schwester unzählige Male nicht mehr Herr ihrer Sinne von ihrem Ehemann aus Oberkassel torkelnder Weise nach Hause gebracht wurde oder meine Mutter Irgendwann schon nicht mehr wusste bei irgendwelchen Saitta festen, wo sie denn gerade überhaupt ist.“
„Als Kinder waren wir ziemlich oft in der Schweiz im Urlaub. Am Anfang jedes Urlaubs musste ich ins Hotel in Zürich, während meine Schwester mit meiner Mutter zur Bank nach, ich glaube es war Basel, gefahren ist. Geld holen. Einige Stunden später waren sie wieder da, und es ging die große Shopping Tour los. Teure Klamotten, Schmuck, Uhren. Geld spielt keine Rolle. All dieser Schmuck und die Uhren, die meine Schwester so zahlreich und stolz bei festlichen Anlässen getragen hat und es noch heute tut, wurden so bezahlt. Unversteuert, alle samt. Zwar ist das alles lange her und verjährt, aber moralisch ist das für einen Politiker, speziell für einen Rechtspolitiker, sehr fragwürdig.“
„Aber der Zeitpunkt ist gekommen, wo ich nicht mehr bereit bin das alles zu schlucken, wo ich aufarbeite was alles falsch gelaufen ist. Und wo ich an erkenne, dass vieles davon nicht meine Schuld war und dass das Unglücklichsein, das ich in meinem Leben seit langer Zeit spüre, nicht meine Schuld ist, sondern die Schuld einer toxischen Kindheit. Die zu allererst von meiner Mutter getrieben war. Und viel davon hat mit Geld zu tun, schmutzigen Geld.“
„Hiermit versichere ich an Eides statt dass alle Angaben der Wahrheit entsprechen.“
Zur Einordnung
Die Familie Erwin
Markus und Angela sind die Kinder des 2008 gestorbenen Oberbürgermeisters Joachim Erwin. Sie ist 44, er 42. Erwin trat 1999 für die Wahl zum Amt des OB an – gegen die Amtsinhaberin und Favoritin Marlies Smeets (SPD). Erwin gewann und nutzte die neuen Kompetenzen des Rathaus-Chefs sofort aus. Damals war das Kommunalrecht in NRW geändert worden, die Frauen und Männer an den Spitzen der Kommunen waren nicht mehr nur Repräsentanten ihrer Städte, sondern Chefs der Verwaltung mit umfassender Macht. Erwins Frau Hille ist eine geborene Schüßler. Sie und die beiden Kinder tauchten seinerzeit mit Joachim Erwin auf riesigen Wahlplakaten auf, darunter folgender Spruch an die Wähler: „Sie sind meine zweite Familie.“
Die Familie Schüßler
Das Unternehmen Schüßler Plan wurde in den 1950er Jahren vom Ingenieur Willi Schüßler gegründet und expandierte über die Jahrzehnte zu einem der größten Baubetreuer Deutschlands. Die Firma überwacht und organisiert komplexe Bauvorhaben. Schüssler war in Düsseldorf maßgeblich beim Bau der Arena oder beim Rheinufertunnel und den Düsseldorf Arkaden in Bilk dabei. Sie hat Kunden in ganz Deutschland, anderen europäischen Staaten und in den Emiraten.
Nach Erwins Amtsantritt gab es immer wieder den Vorwurf der Interessenskollision. Konkret nachweisbar waren Begünstigungen jedoch nie, zumal Schüßler schon ein großes Unternehmen war, als Erwin noch keiner kannte. Auch SPD-Politiker bescheinigten dem Unternehmen, führend in der Branche und daher optimal für große Düsseldorfer Projekte zu sein. Bei Erwins Wahlkampf 1999 war es ein offenes Geheimnis, dass viel Geld von Schüßler gekommen war. Schüßler Plan wurde nach dem Tod des Seniors 2016 bis 2023 von Norbert Schüßler geleitet, Hilles Bruder. Die Familie gilt als eine der wohlhabendsten Düsseldorfs, unter anderem gehören ihr viele Immobilien in Rath. Wenn Markus von seinem Großvater spricht, meint er Willi Schüßler. An ihm hat er offenbar sehr gehangen.
Angela Erwin
Die 44-Jährige ist ein CDU-Gewächs: Junge Union, Parteivorstand, Landtagsmandat. In den 2010er Jahren war sie mit Hendrik Wüst liiert. Der wurde später Landesminister und ist heute Ministerpräsident. Die Beziehung von damals ist irgendwann friedlich zu Ende gegangen, Wüst unterstützt sie nach wie vor, etwa, als sie den erwähnten Posten in der Mittelstandsvereinigung der Partei erhielt.
Erwin ist außerdem wichtiger Teil einer CDU-Seilschaft, zu der noch der Landtagsabgeordnete Olaf Lehne, der Parteivorsitzende Thomas Jarzombek sowie die Stadtratsmitglieder Rolf Tups, Giuseppe Saitta und Andreas Hartnigk gehören. Einige kennen sich noch aus Junge-Union-Zeiten. Mehr dazu lesen Sie in meiner Geschichte „Der schwarze Block„.
Angela Erwin werden Ambitionen auf Ministerposten nachgesagt, aber sie soll auch schon mit einer Kandidatur für das Amt des Düsseldorfer Oberbürgermeisters geliebäugelt haben, also auf den Spuren des Vaters sein.
Markus Erwin
Anders als seine Schwester tauchte er fast nie im Umfeld oder als Begleitung Erwins auf. Es gab allerdings einige Schlagzeilen wegen Ärger mit der Polizei und an der Schule. Da er aber kaum präsent war, spielte das alles keine Rolle. Er studierte in Italien, lebte lange in London und zeitweise mit seiner Frau und der Tochter in einem linksrheinischen Luxus-Wohnviertel unmittelbar neben seiner Schwester.
Angela Erwin hat auf meine Bitte um eine Stellungnahme für sich und ihre Mutter so geantwortet: „Markus hat ein gesundheitliches Problem. Wir haben ihm bereits mehrfach angeboten, seine Probleme gemeinsam zu lösen. Er kann auch weiterhin auf uns zählen. Aus Respekt vor Markus und Verantwortung ihm gegenüber geben wir keine weitere Erklärung ab.“
Fazit
Die Äußerungen von Markus Erwin werden keine unmittelbaren Folgen haben. Mittel- und langfristig dürfte das anders sein. Dass Angela Erwin in absehbarer Zeit noch einmal ernsthaft als Anwärterin für ein Ministeramt oder als Düsseldorfer OB-Kandidatin gehandelt wird, ist zu bezweifeln. Der Post ihres Bruders stand ungefähr zwölf Stunden im Netz, aber viele haben ihn gesehen und weitergeleitet. Das heißt: In der CDU ist die Aussage jetzt bekannt.
Überraschend war für Kenner der Szene übrigens lediglich der Zeitpunkt und der Stil. Denn einiges, was Markus Erwin anspricht, kursierte in politischen Kreisen, wurde aber nie offen angesprochen. Oder es gab Gerüchte, und die schon seit Jahren. Dass sich die Veröffentlichung auf die Karriere der Angela Erwin auswirkt, ist jedenfalls wahrscheinlich. Ignorieren wird man das in der CDU auf keinen Fall können oder wollen. Zumal sie dort etliche Gegner hat. Die sehen sich nun bestätigt.