Corona, Krieg und Karneval
In diesen Zeiten ist das Thema Karneval sicher nicht an der Spitze der Relevanz. Dennoch: Dieses Winterbrauchtum spielt eine große Rolle im Leben vieler tausend Menschen. Sie haben in der vergangenen und der jetzigen Session Einschränkungen hinnehmen müssen und, wenn auch grummelnd, sie auch hingenommen. Und nun kam der Krieg in der Ukraine. Das alles hat Folgen – konkrete, aber auch mentale.
Der Karneval ist auf zwei Ebenen betroffen:
- Die Einschränkungen durch die Pandemie.
- Der moralische Druck durch die Frage, ob Frohsinn in Kriegszeiten überhaupt möglich und akzeptabel ist.
Die Folgen der Pandemie
Bräuche wie der Karneval sind über viele Generationen gewachsen. Wer Düsseldorf als Karnevalshochburg bezeichnet, dies meist zusammen mit Köln und Mainz, der trifft damit durchaus den Kern. Schon im 19. Jahrhundert begann das, was wir als heutiges Winterbrauchtum erleben. Basierend auf religiösen Kalendern (Aschermittwoch ist sieben Wochen vor Ostern, die gänzlich unfröhliche Fastenzeit beginnt), und auf Bräuchen aus antiken Zeiten war der rheinische Karneval anfangs vor allem Spott auf preußische Einflüsse. Uniformen, Orden, Säbel – die rheinischen Narren nahmen Preußens Gloria und Militärbesoffenheit auf die Schippe. Wir gegen die, sozusagen.
Das ist ein wichtiger Aspekt jeden Brauchtums: Es ist identitätsstiftend. In der Gruppe mit gemeinsamen Interessen zusammen zu sein, vermittelt ein Gefühl von Stärke und Geborgenheit, hält nicht nur wegen gemeinsamer Ideale und Ziele zueinander. Womit wir bei den Folgen wären: Mangels persönlicher Treffen, gemeinsamer Feste, Biwaks, Sitzungen, Kostümpartys fehlt tausenden Menschen seit der Session 2020/2021 dieses Gefühl. Die Kommunikation ist geschrumpft bis nahe Null. Es wurde zwar auf verschiedene Weise versucht, Ersatz zu schaffen, aber nichts kann ersetzen, was vorher normal und alltäglich war. Vor allem in der Zeit zwischen dem 11.11. und Aschermittwoch.
Auch nicht organisierte Karnevalisten wurden zum Verzicht gezwungen. Termine wie der Sessions-Auftakt am 11. November, Weiberfastnacht mit Rathaussturm und anschließender Siegesfeier in der Altstadt, das Kö-Treiben am Karnevalssonntag und, als Höhepunkt, der riesige Rosenmontagszug sind für zigtausende Menschen wichtige Termine im Kalender. Solche Rituale sind willkommener Bruch im Alltag, stiften Spaß und Gemeinschaftsgefühl: Das Rathaus akzeptiert die jecke Herrschaft, im Rosenmontagszug zeigen die Mottowagen von Jacques Tilly die auf die Spitze getriebene, sehr ursprüngliche Aufgabe des Narren: Alles und jedem einen glasklaren Spiegel vorzuhalten.
Karneval ist zudem abseits der großen Öffentlichkeit, im Kleinen von Bedeutung. Nur ein Beispiel: Das Prinzenpaar besucht in jeder Session viele Dutzend Schulen, Krankenhäuser, Seniorenwohnheime, Pflegeinrichtungen. Das heißt: Viele Menschen werden mit Aufmerksamkeit beschenkt. Und wer einen solchen Auftritt erlebt hat, der wird bestätigen, welche soziale Bedeutung das hat.
Und es kommt noch eine wirtschaftliche Dimension hinzu: Die Jecken tragen jedes Jahr einen hohen dreistelligen Millionenbetrag in die Stadt. Der Karneval ist enorm wichtig für Gastronomie, das Taxigewerbe, Hotels und Einzelhandel.
Alles das ist verloren gegangen.
Die Folgen des Kriegs
Ein offenbar empörter Zeuge von feiernden Jugendlichen postete in den vergangenen Tagen bei Facebook diesen Kommentar: „Wer jetzt Karneval feiert, verhöhnt die Menschheit.“ Ist das zutreffend? Auch wenn es für viele schwer erträglich sein dürfte, lautet die Antwort nein. Wer da mit Kostüm und Pappnase feiert, will – bis auf wenige Ausnahmen vielleicht – niemanden verhöhnen. Das häufigste Argument für den Trotz-Frohsinn: Ob ich feiere oder nicht, wird den Krieg nicht beeinflussen. Das ist richtig.
Denn es ist Teil unserer Freiheit, zu entscheiden, ob ich das mache oder nicht, wie ich es vor mir selbst rechtfertige oder nicht. Weil Narrenfreiheit auch in schwierigen Zeiten ausgelebt werden darf, soll und muss. Anders gesagt: Den Karneval zu feiern, geht nicht nur bei Sonnenschein, denn er feiert das Leben, egal was gerade passiert. Während der Krieg den Tod feiert.
Das Festhalten am närrischen Brauchtum ist ein positives Zeichen nach außen. Wie eine Art Antikriegsdemo mit der Clownsmaske. So wie es die Kölner am Rosenmontag machen wollen. Aus ihrem Zug wird eine Friedenskundgebung, die Mottowagen werden dabei ebenfalls präsentiert.
Die Folgen für die Zukunft
Womöglich gibt es die nicht – und wir erleben eine Session 2022/2023, die sich nicht von denen vor Corona unterscheiden. Vorausgesetzt, Corona spielt tatsächlich keine Rolle mehr. Was zwar wahrscheinlich, aber keineswegs sicher ist.