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Das größte Duell von Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Thomas Geisel

Die FDP und das Bündnis Sahra Wagenknecht haben am Wochenende ihre Listen für die Europawahl aufgestellt. Deshalb treffen nun zwei frühere OB-Kandidat:innen aus Düsseldorf auf nationaler Ebene aufeinander.
Veröffentlicht am 29. Januar 2024
Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Thomas Geisel
Ein Bild aus den kurzen guten Zeiten: Thomas Geisel und Marie-Agnes Strack-Zimmermann während der Verhandlungen zur Ampel-Kooperation im Düsseldorfer Rathaus 2014.

Das Fernduell hatte eine klare Siegerin – und wird sicher auch Thema sein, wenn sich die Kontrahent:innen demnächst auf kurze Distanz begegnen. Die FDP und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) haben Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Thomas Geisel als Spitzenkandidat:innen für die Europawahl nominiert. Der ehemalige Düsseldorfer Oberbürgermeister erhielt dabei das schwächste Ergebnis innerhalb seiner neuen Partei (71,9 Prozent). Die hiesige FDP-Chefin holte dagegen auf dem Parteitag in Berlin rund 90 Prozent der Stimmen und dürfte ihren Mitbewerber bis Juni regelmäßig an den Unterschied von 18 Prozentpunkten erinnern.

Auf nationaler Ebene wiederholt sich nun ein Wettbewerb, den es 2020 in Düsseldorf gegeben hat. Damals forderte Marie-Agnes Strack-Zimmermann als OB-Kandidatin der Liberalen den Amtsinhaber Geisel heraus. Im ersten Wahlgang holte sie 12,5 Prozent und er mehr als doppelt so viel (26,3 Prozent). In der Stichwahl unterlag der gebürtige Schwabe dem heutigen Oberbürgermeister Stephan Keller.

Seitdem hat sich einiges verändert. Die Düsseldorferin ist inzwischen Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag und hat mit ihren sehr klaren Positionen zum Ukraine-Krieg und Waffenlieferungen an das angegriffene Land bundesweite Bekanntheit erlangt. Thomas Geisel sicherte sich in den vergangenen drei Jahren mit Blog- und Gastbeiträgen Aufmerksamkeit jenseits aller Ämter– und steigerte dies zuletzt mit seinem Wechsel von der SPD zum BSW noch einmal.

Die neue Partei hat ihn allerdings mit einer doppelten Last ins Rennen um einen Sitz im Europaparlament geschickt. Bei der Wahl zum erweiterten Vorstand erhielt der Düsseldorfer auf dem ersten BSW-Parteitag 66,1 Prozent – das mit Abstand schwächste Ergebnis aller Beisitzer. Als das Bündnis später über die 20 Listenplätze für Brüssel abstimmte, bewarb sich für jede Position nur ein Mitglied, Thomas Geisel für Rang zwei. Dem stimmten 258 von 359 Wählenden zu, 72 BSWler votierten mit Nein, 29 weitere enthielten sich. Auch das war deutlich schwächer als bei den übrigen 19 Kandidat:innen. Deren Zustimmungswerte lagen zwischen 84,7 und 97,8 Prozent.

Menschen, die früher mit Thomas Geisel zusammengearbeitet haben, hätten den BSW-Parteitag in Berlin mit Neid verfolgt. Dort war nämlich kein Mann mit überproportionalem Selbstbewusstsein und aufgeprägter Freude am Monolog zu erleben wie in den sechs Jahren Amtszeit. Der Ex-Oberbürgermeister trat beinah demütig auf, hielt zwei knappe Reden und bat freundlich darum, ihm das Vertrauen auszusprechen, obwohl die meisten ihn noch nicht kennen.

Warum dennoch so viele gegen ihn stimmten, darüber kann ich derzeit nur spekulieren. Thomas Geisel hat in den wenigen Wochen, die es das BSW und ihn als Mitglied gibt, bereits einige Positionen öffentlich bekannt gemacht. Wenn man diese daraufhin anschaut, welche zu Nein-Stimmen führen könnten, kommen aus meiner Sicht zwei Aspekte in Betracht: Er hat an einigen Stellen Sympathie für die Politik von Gerhard Schröder geäußert. Der frühere Bundeskanzler ist aber auch in BSW-Kreisen nicht sonderlich beliebt. Zudem wirken einige neue Standpunkte von Thomas Geisel so überraschend, dass ein Teil des Parteitags sie als nicht glaubwürdig empfunden haben könnte.

Die Migrationspolitik ist ein mögliches Beispiel dafür, ein weiteres fand sich in der Wochenzeitung „Der Freitag“. Dort schrieb Thomas Geisel kurz vor dem Parteitag in einem Gastbeitrag über seine Zeit bei der Treuhand, die nach der Wiedervereinigung rund 15.000 Unternehmen der ehemaligen DDR abwickelte. Der Düsseldorfer erklärt in seinem Artikel, es sei falsch gewesen sei, in den Anfangsjahren der Treuhand eine Menge von Betrieben „plattgemacht“ zu haben, „die mit vergleichsweise geringem Aufwand hätten erhalten bleiben können“.

Eine Folge dessen sei, dass heute fast zwei Drittel der Grundstücke und Immobilien in Ostdeutschland in westdeutscher Hand seien. Das Fazit des Textes lautet daher, dass man sich bewusst machen müsse, „dass die gerade im Osten weitverbreitete Unzufriedenheit eben nicht das Ergebnis politischer Propaganda, sondern politischer Fehlentscheidungen ist“. Auch hier stelle ich mir die Frage, ob die BSW-Mitglieder, die mit Nein stimmten oder sich enthielten, Thomas Geisel seine Position nicht abgenommen haben und ihm stattdessen seine Arbeit für die Treuhand anlasten. 

Marie-Agnes Strack-Zimmermann erlebte ein anderes Parteitags-Wochenende. Sie stand im Mittelpunkt, während Geisel neben Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und dem BSW-Posterboy Fabio de Masi nur eine kleine Rolle hatte. Und sie holte anders als er ein gutes Ergebnis und verband dieses mit einer erneuten Ansage an Olaf Scholz: „Jetzt geht es darum, so viel FDP wie möglich nach Europa zu transportieren – und da kann ich nicht Rücksicht auf den Kanzler der Bundesrepublik Deutschland nehmen.“

Dass die Düsseldorfer FDP-Vorsitzende sich im Wahlkampf nicht auf Sachargumente beschränken, sondern Thomas Geisels schwachen BSW-Start auskosten wird, hat seinen Ursprung in den 10er Jahren. Marie-Agnes Strack-Zimmermann war seit 2009 erste Bürgermeisterin und galt als einflussreiche Vertraute des damaligen Oberbürgermeisters Dirk Elbers. Der Wahlsieg Thomas Geisels 2014 überraschte auch sie. Dennoch ging sie mit ihrer Fraktion ein Bündnis mit SPD und Grünen sowie dem neuen Rathauschef ein.

Schon ein Jahr später wurde sichtbar, was die Zeit bis 2020 prägen sollte. Die Liberale und der Sozialdemokrat kamen schlecht miteinander zurecht. Thomas Geisels Vorstoß, die Tour de France nach Düsseldorf zu holen, versagte die FDP ihre Zustimmung. Und bei der Haushaltsrede des Oberbürgermeisters im September 2015 verließ die Spitze der Liberalen-Fraktion den Ratssaal. „Die ersten 20 Minuten der Rede waren schier unerträglich – weil Geisel nicht seine Visionen für die Stadt aufgezeigt hat, sondern darin rumrührte, dass er den Kö-Bogen eigentlich doof findet“, sagte Marie-Agnes Strack-Zimmermann damals der „Westdeutschen Zeitung“.

In ähnlicher Stimmung trafen die beiden im OB-Wahlkampf 2020 aufeinander. Ich habe damals als Redaktionsleiter der WZ gemeinsam mit meinem Kollegen Alexander Schulte eine Interviewreihe gemacht, die „Jeder gegen Jeden“ hieß. Dazu luden wir jeweils zwei der vier aussichtsreichsten Bewerber:innen zum Streitgespräch ein. So kam es zum Aufeinandertreffen der nun wieder konkurrierenden Politiker:innen.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann eröffnet den Schlagabtausch mit folgenden Sätzen: „Wir arbeiten seit sechs Jahren zusammen. Ich finde, dass das ganz gut hingehauen hat mit der SPD und den Grünen. Aber was ich bedauere, ist, dass Ihnen, Herr Geisel, völlig egal ist, was der Rat macht.“ Der damalige Oberbürgermeister verteidigte sich mit dem Hinweis, die Impulse für seine Arbeit seien aus der Politik gekommen. Die FDP-Chefin erwiderte daraufhin: „Mir ist der Impuls aus der Politik zur Umweltspur neu, mir ist auch der Impuls zur Tour de France neu.“

Immerhin schafften wir ein versöhnliches Ende. Wir fragten beide, nach dem schönsten gemeinsamen Moment der zurückliegenden sechs Jahre. Die Befragten überlegten lange, dann sagte die Liberale: „Was ich als wirklich sehr gut empfunden habe war 2015, als Flüchtlinge nach Düsseldorf kamen und der Oberbürgermeister die Verwaltung so aufgestellt hat, dass wir uns völlig unkompliziert um die Flüchtlinge kümmern konnten, dass eine Flüchtlingsbeauftragte eingesetzt wurde, die neben dem OB den Überblick hatte. Ich war in diesem Moment sehr froh, dass Sie der Oberbürgermeister waren. Das ist menschlich und organisatorisch tadellos gelaufen. Das sage ich ohne Wenn und ohne Aber. Wir haben im Rat Diskussionen geführt, da kamen Bemerkungen aus anderen Parteien heraus, die waren nicht schön.“ Thomas Geisels Reaktion: „You made my day.“ (Das ganze Interview können Sie hier nachlesen).

In den kommenden Monaten werden die beiden neben der persönlichen Vorgeschichte auch mindestens ein Thema haben, bei dem die Wählerinnen und Wähler zwei klar unterschiedliche Angebote bekommen. In der Außen- und Verteidigungspolitik plädiert Marie-Agnes Strack-Zimmermann für Waffenlieferungen an die Ukraine und eine möglichst starke Position gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Thomas Geisel hingegen sagte auf dem Parteitag, er wolle im Europaparlament verhindern, dass Europa für eine neue Blockkonfrontation instrumentalisiert werde – und „missbraucht“, um Russland zu demütigen. Es sei zudem falsch, der Ukraine eine EU-Beitrittsperspektive eröffnet zu haben. Das Land erfülle die Voraussetzungen nicht ansatzweise.

Auf das zweite Wahlkampf-Duell folgt voraussichtlich die zweite Alltags-Rivalität. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass beide nach Brüssel wechseln. Für das Europaparlament gibt es keine Fünf-Prozent-Hürde. Etwa zweieinhalb Prozent genügen, um zwei Sitze zu erhalten. So viele Stimmen braucht das BSW, damit Thomas Geisel künftig auf europäischer Ebene agiert. Auch die in Umfragen schwächelnde FDP müsste sich keine Sorgen um Marie-Agnes Strack-Zimmermann machen, sollte eine Vier vor dem Komma stehen.

Spannend wird vielmehr, wer von den Düsseldorfer:innen auf nationaler Ebene am Ende vorneliegt. Und da sprechen die Umfragewerte aktuell sogar eher für den Mann, der im Fernduell unterlegen war.

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