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Der Ratssaal leer und der Block voller Fragen (3): Die Opposition

SPD und FDP haben in Düsseldorf viel Freude am Regieren, die Linke macht es sich manchmal zu leicht – und den stärksten Eindruck in der Opposition hinterlässt ein einzelner Ratsherr.
Veröffentlicht am 20. Juli 2023
Ratssaal Düsseldorf
Vor dieser Tür des Ratssaals sind alle gleich, dahinter unterscheiden sie sich in Mehrheitsfraktionen und Opposition. Foto: Andreas Endermann

Schneller, als Schüler:innen hitzefrei bejubeln können, war in der Düsseldorfer Politik 2023 die Sommerpause erreicht. Und weil diese Fülle von Terminen kaum Luft und Zeit ließ, die längeren Entwicklungslinien zu betrachten, mache ich dies nun in einer dreiteiligen Serie. In Folge eins ging es um den Zustand der schwarz-grünen Mehrheit im Stadtrat, in Teil zwei um den plötzlich pokernden Oberbürgermeister, und in diesem Text kümmere ich mich um die Opposition.

Deshalb zunächst ein kurzer Überblick über den Teil des Stadtrats, der keine Mehrheit hat. Er besteht aus fünf Fraktionen (mindestens drei Ratsmitglieder) und einer Gruppe (zwei Ratsleute). Die Fraktionen: SPD (16 Sitze), FDP (8 Sitze), Die Linke (4 Sitze), Die Partei/Klima (3 Sitze) und die AfD (3 Sitze). Die Ratsgruppe ist ein Zusammenschluss einer Vertreterin der Tierschutzpartei und eines Vertreters der Freien Wähler. Dass im Rat mehr Gruppierungen sitzen als im Bundes- oder Landtag, hat seinen Grund darin, dass für den Rat keine Fünf-Prozent-Hürde gilt.

Bevor ich die Fraktionen und die Gruppe im Detail erörtere, noch ein Gedanke zum Begriff Opposition: Man muss an dieser Stelle einmal sagen, dass ein Stadtrat kein Parlament ist, auch wenn er bisweilen so wirkt. Gute Oppositionsarbeit leistet man nach meinem Verständnis deshalb, wenn man sich kritisch-konstruktiv mit Oberbürgermeister, Verwaltung und Ratsmehrheit auseinandersetzt und die Debatten mit guten Ideen bereichert. Das wird den Beteiligten insofern nicht leicht gemacht, als die Grüko recht kategorisch ablehnt, was andere beantragen.

SPD (und Volt)
Es war eine kleine und wahrscheinlich unbewusste Geste: Der SPD-Fraktionsvorstand präsentierte Mitte Juni seine Sicht auf die Operndebatte und die Verhandlungen mit dem Oberbürgermeister über ein Wohnungsbauprogramm. Der Co-Vorsitzende Markus Raub (57) steigerte sich dabei kontinuierlich in seine Leidenschaft für beide Themen – bis die 26 Jahre jüngere Co-Vorsitzende Sabrina Proschmann ihm vorsichtig die Hand auf den Unterarm legte.

Dieser Moment beschreibt die Situation der SPD in doppelter Hinsicht. Ihre Ratsfraktion muss sich um die Zukunft keine Sorgen machen, eher um die Gegenwart. Noch wird sie wesentlich geprägt von Menschen, die schon sehr lange in der Düsseldorfer Politik aktiv sind und die im Zweifel ihren Schwerpunkt darauf legen, bei geöffneten Schwimmbad-Standorten gegen die sommerliche Schließung eines achten Bades zu protestieren (siehe dazu „Der Bademeister“).

Die Wahl von Sabrina Proschmann in die Doppelspitze der Fraktion war ein wichtiges Signal für den Umbruch. Dem folgt nach der Kommunalwahl 2025 ein weiterer, weil sich Markus Raub dann nach 16 Jahren an der Spitze aus dem Vorstand zurückzieht. Mögliche Nachfolger sind die Ratsherrn Hakim El Ghazali und Tobias Kühbacher.

Mit diesen jüngeren Politiker:innen werden sich sehr wahrscheinlich die Themen-Schwerpunkte verschieben. Weniger Kultur, weniger Schwimmbäder, dafür mehr bezahlbares Wohnen, Jugendhilfe und Integration. Die SPD wird wieder roter. Sie muss dazu allerdings mehr Menschen für aktive Rollen gewinnen, für die sie Politik macht. Ohne die Klischees zu sehr strapazieren zu wollen: Der Fraktion gehören keine Betriebsräte, keine Polizist:innen und keine Verkäufer:innen an. Lediglich ein Ratsmitglied hat einen handwerklichen Beruf. Das gilt für die anderen Fraktionen zwar ähnlich, bei der SPD wiegt es aber schwerer.

Die Verhandlungen über das Ja zu den nächsten Schritten für eine neue Oper und 8000 neue Wohnungen haben gezeigt, dass die SPD gerne mitregiert. Sie hat damit zwei Bereiche, in denen sie, wenn der Oberbürgermeister sich an seine Zusagen hält, nun umfassender informiert wird und Einfluss nehmen kann. Das wird bis in die Debatten über den Doppel-Haushalt im Herbst hineinwirken. Die Folgen: CDU und SPD könnten sich weiter als mögliche Partnerinnen für ein Bündnis nach 2025 annähern. Die Sozialdemokrat:innen werden aber auch wieder schmerzlich erfahren, dass sie eigentlich macht-los sind.

In den Reihen der SPD sitzt auch das einzige Mitglied von Volt, Gottfried Panhaus. In der Debatte um die Finanzierung des evangelischen Kirchentags (und der höher-etagigen Frage nach Trennung von Staat und Kirche) hatte er einen großen und guten Auftritt. Sollte er in anderen Themen ähnlich tief drin sein, sollte er sich öfter melden.

FDP
Die Situation bei den Düsseldorfer Liberalen ist genau andersherum als bei den Sozialdemokrat:innen: Die Gegenwart ist noch gut, die Zukunft wird Frustrationstoleranz erfordern. Durch den Abschied der Bundestagsabgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann aus dem Stadtrat im Februar haben sie gelernt, was prominente Abgänge für Fraktion und Partei bedeuten. Der für 2025 angekündigte Rückzug von Fraktionschef Manfred Neuenhaus wird diesen pädagogischen Effekt vertiefen. Ohne diese beiden bekannten Gesichter wird es schwierig, das Wahlergebnis von 2020 (9,2 Prozent) zu wiederholen.

Die übrigen Mitglieder der Fraktion engagieren sich merklich, diese Rollen zu übernehmen – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. In letztere Kategorie fällt etwa Ratsherr Felix Droste, der bisweilen die Nähe zum Alltag in dieser Stadt vermissen lässt. Die Frage, ob Schwarzfahren mit Strafanzeigen verfolgt werden sollten, erörtert er am Beispiel internationaler Düsseldorf-Gäste statt über Menschen zu sprechen, die sich eine Fahrkarte kaum leisten können.

Im Übrigen hat die FDP aber viele Fachspezialisten in ihren Reihen, die Themen mit beachtlicher Tiefe behandeln, etwa Christine Rachner in der Gesundheitspolitik, Mirko Rohloff bei Schulfragen und Felix Mölders im Verkehr. Wer andere Perspektiven sucht und eine kritische Auseinandersetzung mit der Position der Ratsmehrheit, wird in vielen Reden von den Liberalen gut mit kritischen und konstruktiven Gedanken versorgt. Den Oberbürgermeister behandeln sie allerdings mit erstaunlich viel Respekt.

Mit der SPD gemeinsam hat die FDP die Freude am Irgendwie-Mitregieren. Allerdings ist der Phantomschmerz dabei noch deutlicher. Auch Manfred Neuenhaus und Kollegen haben Stephan Keller geholfen, eine Mehrheit für die Oper zu bekommen. Wie wenig relevant das war, zeigte sich darin, dass sie für ihre Ja-Stimmen nichts herausverhandeln konnten.

Die Linke
Die Fraktion bringt es auf einen Frauenanteil von 75 Prozent. Das ist tatsächlich an sich schon ein Wert, die drei Ratsfrauen bestätigen das aber zudem konkret mit ihren Stärken: unbeeindruckter Mut (Julia Marmulla), stringente Argumentation (Sigrid Lehmann) und Reden mit hohem Unterhaltungswert (Anja Vorspel).

Die Zeiten, in denen die Düsseldorfer Linke uralte und fundamentalistische Positionen vertrat, sind weitgehend vorbei. Die Fraktion ist ein wichtiger Garant dafür, dass soziale Fragen mindestens auf die Tagesordnung kommen. Zugleich macht sie es sich oft zu leicht. Sie hat über die vielen Jahre in der Opposition so verinnerlicht, dass ihre Vorschläge in aller Regel abgelehnt werden, dass sie Anträge nicht immer zu Ende denkt. Deshalb werfen andere Fraktionen der Linken regelmäßig Populismus vor. Diese Kritik teile ich nicht, aber es schadet einer Sache, wenn sich ein Vorschlag zu leicht aushebeln lässt und dann nur noch Trotz bleibt.

Der Linken würde es daher guttun, mal ein wenig Verantwortung zu übernehmen, etwa einen Ausschussvorsitz oder als Teil einer Mehrheit. Ein linkes Ratsbündnis ist derzeit nicht absehbar, weil sich die Grünen zu weit von den anderen entfernt haben. Aber SPD und Linke arbeiten in der Opposition immer wieder gut zusammen. Alles andere entscheidet die Sitzverteilung nach der Kommunalwahl 2025. Da sind mehr als vier Sitze für die Linken allerdings im Moment schwer vorstellbar.

Die Partei/Klima
Eigentlich darf Satire alles, dennoch möchte ich diesen Satz einschränken. Satire darf nicht unlustig sein. Die Vertreterinnen der Satire-Partei „Die Partei“ sind es leider oft. Die Ironie ist als solche schwer zu erkennen. Das führt dazu, dass bei Anträgen der Fraktion die Frage aufkam, ob dieser nun ernstgemeint oder ein Spaß sei.

In anderen Städten gelingt es der Partei, wichtigere Rollen im linken Spektrum auszufüllen, in Düsseldorf nicht. Sie kann für sich bisher vor allem einige Abstimmungserfolge verbuchen, wenn die Grünen nicht mit der CDU stimmten und der räumlich linke Teil des Saals (aus Sicht des Oberbürgermeisters) geschlossen eine Mehrheit zustande brachte.

Dass die Gesamtfraktion Partei/Klima trotz dieser Kritikpunkte beachtliche zweieinhalb Jahre im Stadtrat erlebt hat, ist dem dritten Mitglied zu verdanken. Lukas Fix von der Klimaliste gehört zu den Entdeckungen dieser Ratsperiode. Er spricht kurz und prägnant, vertritt radikalere Forderungen, die im Kontext des Klimawandels aber mindestens schlüssig argumentiert sind, und ist ehrlich verzweifelt, wenn auch kleine Schritte für den Klimaschutz nicht beschlossen werden.

Ein Beispiel für die Wirkung: Bei Oberbürgermeister Stephan Keller als Sitzungsleiter scheinen immer mal wieder Sympathien für Lukas Fix erkennbar, obwohl die beiden politisch weit auseinanderliegen. Zum Glück hat der junge Politiker Knöpfe im Ohrläppchen und kommt im Sommer in kurzen Hosen in den Rat, sonst würden ihn am Ende sogar konservative Mitglieder des Gremiums mögen.

Den Grünen täte jemand dieses Formats jedenfalls gut. Die Mitglieder der Klimaschutzbewegung, die für diese Fraktion im Rat sitzen, sind in den vergangenen zweieinhalb Jahren brav geworden oder stumm geblieben. Lukas Fix mahnt stetig weiter, wie weit fortgeschritten der Klimawandel bereits ist und wie dringend radikalere Umbrüche erfolgen müssten.

AfD
Die Fraktion am rechten Rand des Rats legt den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf Überschriften. Ihre Anfragen und Anträge sind so formuliert, dass sie Tatsachen suggerieren. Dabei geht es um Geflüchtete, Diversität, Klimawandel, Erziehung und Kriminalität. Die Antworten auf die Anfragen tauchen anschließend so gut wie nie in der weiteren politischen Arbeit auf, die Anträge werden mit einer Rede begründet, dann folgt die erwartbare Ablehnung. Die beabsichtigte Provokation ist in Überschrift und Text des Tagesordnungspunkts bereits erfolgt, und die AfD scheint ihr Tagewerk damit erledigt zu haben.

Die drei Mitglieder der Fraktion erscheinen dabei unterschiedlich. Chefin Uta Opelt klingt, als hätte sie bei der Bundesvorsitzenden Alice Weidel den Intensivkurs „Unnatürlich sprechen“ belegt. Wolf Rüdiger Jörres ist vom Erfordernis der freien Rede ge- und überfordert. Dennoch lassen beide keine Fragen aufkommen, warum sie auch in einer immer weiter radikalisierten Bundes-AfD Mitglied geblieben sind.  

Andrea Kraljic erscheint anders. Sie bleibt zum Beispiel am Tisch stehen, an dem sich die Ratsmitglieder in die Anwesenheitsliste eintragen, grüßt diejenigen, die dort vorbeikommen, und versucht, Gespräche mit ihnen zu beginnen. In einer Sitzung bedankte sie sich für den Hinweis, dass das muslimische Zuckerfest ansteht, und sagte, sie werde eine Veranstaltung zum Fastenbrechen gerne besuchen.

Tierschutz/Freie Wähler
Ratssitzungen beginnen immer mit Anfragen aus aktuellem Anlass, und das ist die große Stunde der Gruppe Tierschutz/Freie Wähler. Sie sorgt also für einen gewissen Erkenntnisgewinn und bringt gelegentlich unangenehme Entwicklungen in der Stadt zur Sprache.

Auch im weiteren Verlauf der Sitzungen sind die beiden Ratsleute Claudia Krüger und Torsten Lemmer fleißige Redner:innen. Torsten Lemmer ist dabei einfach selbst das Programm, allerdings ruhiger als früher, weil er inzwischen älter geworden ist und in mehreren anderen Städten noch ähnlich für Freie-Wähler-Fraktionen wirkt. Claudia Krüger bemüht sich bis hin zu gefährdeten Wurm-Arten um den Tierschutz. Sie hat aber das Pech, dass dieses Thema im Vergleich zu Klima- und Umweltschutz so in den Hintergrund getreten ist, dass sie im Rat keine große oppositionelle Wirkung erzielt.

Fazit
Ich habe in der nun endenden Serie zur Düsseldorfer Politik im Sommer 2023 sicher nicht mit Kritik gespart. Deshalb möchte ich noch eine letzte Erkenntnis aus der intensiven Beschäftigung mit dem Stadtrat aufschreiben: Ich kenne die Politik in einer Reihe anderer Kommunen. Dort wird es immer schwieriger, Menschen zu finden, die freiwillig für den Rat kandidieren und nicht zugleich verhaltensauffällig sind oder über zu viel Tagesfreizeit verfügen. In Düsseldorf ist das anders. Sicherlich ist der Rat mit 90 Mitgliedern etwa ein Drittel zu groß. Aber der Kern derjenigen, der hier politisch arbeitet, bringt viel Fachwissen sowie andere Kompetenzen ein und verbringt sehr viele Stunden in Vorbereitungsrunden, Sitzungen und Nachbesprechungen. Diese Qualität des Rates ist eine Düsseldorfer Stärke, über die ich bei aller Kritik froh bin.


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