Düsseldorf: Spitze der Union uneins wegen Merz
![Thomas Jarzombek im Kommunalwahlkampf 2020](https://www.viernull.de/wp-content/uploads/bis-images/23491/200925-thomas.jarzombek-andreas.endermann-001-1920x9999.jpg)
Einerseits gab es Empörung über das Verhalten des Friedrich Merz inklusive Demos in vielen Städten, andererseits Akzeptanz. Nachdem der CDU-Kanzlerkandidat die Sache mit der Brandmauer Richtung AfD auf einmal nicht mehr ganz so blickdicht sah, kochte die Stimmung auf beiden Seiten hoch. Inzwischen weiß man: Es hat dem Sauerländer nicht geschadet, in Umfragen hat er sogar leicht zugelegt.
Im Getöse ist jedoch nur am Rand vermerkt worden, dass der Vorgang in Berlin einen Zwist in der Düsseldorfer CDU verursacht (oder sichtbar gemacht) hat, von dem bisher wenig nach außen drang. Denn Oberbürgermeister Stephan Keller kritisiert Merz so: „Ich bin zutiefst beunruhigt, weil sich meine eigene Partei mit einer Gruppe zusammengetan hat, die im Kern antisemitisch und antidemokratisch ist, und das ist inakzeptabel“. Das sagte der Rathaus-Chef bei einem Auftritt des europäischen Forums für Rabbiner und Gemeindevorsitzende bei der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf.
Der Vorsitzende des CDU-Kreisverbands Düsseldorf, Thomas Jarzombek, sah das anders. Mit einem ausführlichen Statement stellte er sich demonstrativ hinter Merz und verteidigte das Verhalten. Wenn man die Frage der illegalen Migration nicht löse, drohe Deutschland eine große Gefahr, schrieb der 51-Jährige und verwies auf Entwicklungen in Frankreich. Die CDU habe mehrere sehr kritische Passagen über die AfD in ihren Antrag geschrieben. Es sei daher absurd, dass die AfD dem Ganzen zugestimmt habe.
Im Vergleich der Aussagen bedeutet das: Zwei der Top-Leute der CDU in Düsseldorf sind bei einem fundamental wichtigen Thema gegensätzlicher Ansicht. In der Fraktion im Rathaus, ebenfalls keineswegs einig, erklärt man das mit normaler Meinungsvielfalt innerhalb einer Partei. Aber in Wahrheit steckt mehr dahinter. Die Diskrepanz hat auch was mit Distanz zu tun, und zwar der in Kilometern.
Thomas Jarzombek
Der Bundestagsabgeordnete ist weit weg von Düsseldorf und längst zum Berufs-Politiker ohne Plan B geworden. Er lebt von seinem Mandat und hat mit seiner Heimatstadt nur noch wenig zu tun – es sei denn, es ist Wahlkampf. Dann versucht er, hier Nähe zu demonstrieren. Bestes Beispiel war 2021 eine Fahrradbrücke am Mörsenbroicher Ei, für die sich Jarzombek stark machte und bei der er den Eindruck erweckte, er könne das ernsthaft auf den Weg bringen.
Nach seiner Wiederwahl ins Parlament reagierte er eher gelangweilt auf die Nachfrage zu dem „Projekt“. Nun hat er es wiederentdeckt. In einer Antwort zu unserer Aktion „Deine Stimme, Deine Themen“ schreibt er: „Ferner setze ich mich bereits seit langem für die Fahrradhochbrücke über das Mörsenbroicher Ei ein und sehe bislang dazu auch keine Alternative. Absurderweise ist es so, dass dieses Vorhaben, zu dem sich sowohl Oberbürgermeister Dr. Stephan Keller wie auch Hendrik Wüst (zu dem Zeitpunkt als Verkehrsminister) positiv geäußert haben, ausgerechnet von den Grünen sowohl in der Stadt wie auch im Land ausgebremst wird. Möglicherweise stört es die Kollegen der Grünen, dass für einen solchen Fahrradweg weder Autospuren noch Parkplätze wegfallen würden.“
In einem Flyer, den er jetzt in seinem Wahlkreis verteilen ließ, nennt Jarzombek Golzheim als Wohnort. Dass er dort eine Adresse hat, mag stimmen, aber er lebt längst mit Frau und Kind an der Spree. Die hiesige Partei, deren Vorsitzender er seit 2014 ist, nutzt er strategisch geschickt als Home-Base. Diese und eine fest zusammenhaltende Gruppe von Unterstützern (von mir mal unter der Überschrift „Düsseldorfs schwarzer Block“ vorgestellt) helfen ihm immer wieder, als Kandidat aufgestellt zu werden. Die Chancen stehen gut, dass er bei der Wahl am 23. Februar erneut das Direktmandat holt.
Wie sich eine vermutlich auch von Keller gewollte strengere Migrationsregelung vor Ort auswirkt, ist nicht Jarzombeks Thema. Er ist weder persönlich noch als Politiker betroffen. Für ihn geht es darum, zum fünften Mal einen Platz im Bundestag zu erlangen. Dem Parlament gehört er mittlerweile seit 16 Jahren an, was ihm schon jetzt eine Altersversorgung von rund 5000 Euro sichert.
Darüber hinaus kann er hoffen, womöglich noch einmal Karriere zu machen. Immerhin gäbe es bei einer Beteiligung der CDU an der nächsten Bundesregierung reichlich Stellen in Ministerien zu besetzen. Das verstärkt Jarzombeks Chancen, obwohl er bisher ohne nennenswertes beziehungsweise regelmäßig wechselndes Profil aktiv ist. Auf dem Papier sieht seine bisherige Arbeit so aus: Zwischen 2009 und 2013 war er Mitglied im Familien- und im Verkehrsausschuss, in den Jahren danach Vorsitzender der Arbeitsgruppe Digitale Agenda seiner Fraktion. 2018 bis 2021 nannte er sich Koordinator der Bundesregierung für die Luft- und Raumfahrt, von 2019 bis 2021 wurde er Beauftragter des Wirtschaftsministeriums für die Digitale Wirtschaft und Start-ups. Und in der nun endenden Legislaturperiode war er Sprecher der Union im Bildungsausschuss.
Stephan Keller
Der Oberbürgermeister ist durch sein Amt in einer anderen Position. Als Kommunalpolitiker muss er in seiner Stadt das organisieren und bezahlen, was Berlin beim Umgang mit Geflüchteten entscheidet. Keller erscheint nicht als sozialpolitischer Romantiker und weiß, was geleistet werden kann und was nicht. Er hat nicht den Inhalt des vorgelegten Gesetzes kritisiert, sondern den Weg zur Mehrheitsbeschaffung – nämlich den mit der AfD. Weder deren Vokabular noch deren Ziele vor allem beim Thema Migration teilt der „überzeugte Demokrat mit klarem Kompass“ (so ein Kommunalpolitiker einer anderen Partei) und hat das auch immer wieder deutlich gemacht.
Stephan Keller war für die Karriere von Thomas Jarzombek an einer Stelle von besonderer Bedeutung. Die CDU hatte 2014 überraschend den Posten des Oberbürgermeisters verloren. Dirk Elbers unterlag gegen SPD-Herausforderer Thomas Geisel. Der noch recht neue Parteivorsitzende Jarzombek wirkte damals, als hätte er nicht mal mit einer Stichwahl gerechnet, geschweige denn mit einer Niederlage. Die wurde ihm deshalb in Teilen zugeschrieben. Eine vergleichbare Pleite hätte er sich bei der OB-Wahl 2020 nicht leisten dürfen.
Den früheren Düsseldorfer Verkehrsdezernenten Stephan Keller, der inzwischen Stadtdirektor in Köln war, zur Kandidatur zu überreden, war nicht ohne Risiko, zahlte sich aber aus. Weil er die Rathausspitze für die Union zurückgewann, war Jarzombek als Parteichef vorerst gefestigt. Das ermöglichte ihm die Bundestags-Kandidaturen 2021 und 2025.
So hat sich ein einseitiges Bild entwickelt. Keller ist aufgrund seines Jobs permanent sichtbar, Jarzombek selten. Dass das auch anders geht, haben seine Vorgänger auf dem Posten des Kreisvorsitzenden gezeigt: Wolfgang Schulhoff (gestorben 2014) hatte das Amt von 1989 bis 2003 inne und saß zu dieser Zeit auch im Bundestag. Dennoch war er präsent in Düsseldorf, nicht zuletzt wegen seiner Arbeit an der Spitze der Handwerkskammer. Auch Klaus-Heiner Lehne, von 2003 bis 2014 an der Spitze der hiesigen Christdemokraten, zeigte Verbundenheit zur Stadt – trotz seines Mandats im EU-Parlament.
Die Arbeit des Oberbürgermeisters wird von einem wesentlichen Teil der Düsseldorfer mindestens anerkannt und fördert damit auch das Renommee seiner Partei. Stephan Keller ist das Gesicht seiner Partei in der Stadt. Er erfüllt eine Aufgabe, die Thomas Jarzombek zumindest in Teilen erfüllen müsste. Das jedoch tut er nicht.