Düsseldorfer Neo-Nazi täuschte auch seine Kollegen

Neulich habe ich hier berichtet, wie ich dem Zahnarzt Gernot Mörig auf den Leim gegangen bin und erkennen musste, dass er völkischem Gedankengut anhängt. Ähnlich erging es zwei Ärzten, die mit ihm vor 2018 in der gemeinsamen Praxis zusammenarbeiteten – und ahnungslos waren. Was ihnen nicht alle glaubten.
Von Hans Onkelbach (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 19. Januar 2024
Zahnarztpraxis ZahnGesundheit Oberkassel
Die beiden Zahnärzte David Sonntag (links) und Robert Svoboda in der Praxis, in der bis 2018 auch Gernot Mörig arbeitete.

Ein Treffen von Rechtsextremen in Potsdam machte zuletzt Schlagzeilen in allen deutschen Medien. Vor allem, weil dort über die zwangsweise Remigration von Menschen gesprochen wurde, deren Herkunft nicht deutsch ist. Mittendrin: Gernot Mörig, bis 2018 Zahnarzt in Oberkassel. Er hatte das Treffen in Potsdam organisiert. Aufgedeckt hat dies das Recherche-Netzwerk Correktiv, mit dem auch VierNull kooperiert.

Ich lernte Mörig 2017 in Salzburg kennen, traf ihn danach ein paar Mal und war angetan von diesem gebildeten, sympathischen Mann. Erst jetzt, Jahre später, habe ich von seinen Ansichten erfahren: Der Mann ist Neo-Nazi, propagiert völkisches Gedankengut und hat seine gesamte Familie zu diesen Ideen gebracht. Nichts davon habe ich gewusst – und das zu erkennen, hat mich tief berührt. Den Bericht dazu finden Sie hier.

Ähnlich erging es seinen Kollegen aus der Zahnarztpraxis an der Schanzenstraße. Robert Svoboda (55) und David Sonntag (56) waren ebenfalls ahnungslos, bis sie durch den Correctiv-Bericht von den anderen Seiten ihres früheren Kollegen hörten. Im Gespräch schildern sie mir, wie es ihnen danach ging. Sie wirken ratlos, fühlen sich belogen, betrogen – und erleben nun sogar von verschiedenen Seiten den Vorwurf, sie teilten das Gedankengut des Ex-Kollegen. Zu dem sie seit sechs Jahren keinen Kontakt mehr haben. Mörig lebt inzwischen am Chiemsee.

Anders als bei mir waren sie ihm näher, haben dauernd und über einen langen Zeitraum mit ihm gearbeitet, glaubten ihn gut zu kennen. Dass sie tatsächlich wussten, wer er war, würden sie heute so nicht mehr sagen. Damals jedoch respektierten sie ihn als guten Arzt, lernten und wussten fachlich eine Menge von ihm, aber eben nicht alles.

Im Nachhinein wird klar, wie er diese Täuschung schaffte. Mörig hat es offenbar perfekt verstanden, seine rechtsextremen Aktivitäten geschickt zu tarnen. Schon vor Jahren gelang es ihm, verdächtige Eintragungen im Internet löschen zu lassen. Außerdem wären die Ärzte ohnehin nicht auf die Idee gekommen, ihn zu googeln. Wozu auch? Es gab keinen Anlass, etwas zu suchen. Sie wären nicht auf die Idee gekommen, ihn zu verdächtigen – nichts sprach anfangs für extremes Denken.

Das hing auch mit seinem Ruf zusammen. Mörig galt als Koryphäe auf speziellen Gebieten der Zahnmedizin. Seine Praxis an der Schanzenstraße, in der er zuletzt nur Privatversicherte behandelte, lief hervorragend. Die Patienten waren begeistert von diesem Arzt, den sie als verbindlich, kompetent und freundlich wahrnahmen. Das Vertrauen in ihn war groß. Wie man heute weiß, aus gutem Grund: Mörig beherrschte die „Neurolinguistische Programmierung“, abgekürzt NLP. Das ist eine Kommunikationsstrategie, mit der man Menschen sprachlich geschickt für seine Zwecke überzeugen, beeinflussen, man kann auch sagen: manipulieren kann. Fachleute definieren sie so: „NLP ermöglicht es, eigene und fremde Verhaltensweisen besser zu verstehen, und trägt dazu bei, dass Kommunikation gelingt. Deshalb kommt NLP dort zum Einsatz, wo das eigene Potenzial, Beziehungsgestaltung und Kommunikation von Bedeutung sind, und setzt weitreichende Entwicklungen in Gang.“

Mörig setzte diese Technik ein, um neue Patienten davon zu überzeugen, bei ihm zu bleiben. Die Erfolgsquote soll seinerzeit nahe 100 Prozent gelegen haben, wie seine früheren Partner berichten. Über eine Stunde, erinnern sich seine Ex-Kollegen, habe er sich jeweils Zeit genommen.

Die Kooperation zwischen Mörig, Svoboda und Sonntag entstand so: Svoboda, damals Zahnarzt in Monheim, war 2012/2013 auf der Suche nach einer eigenen Praxis und kam mit Mörig zusammen. Der plante seinerzeit, sich bald zur Ruhe setzen, und es war klar, dass er einen Nachfolger suchte. Tatsächlich entschied er sich für Svoboda, 2014 vereinbarte man die Übernahme der Praxis. Der junge Kollege wurde Partner, der ältere sollte in absehbarer Zeit ausscheiden, blieb aber zuerst noch, um die auf ihn eingeschworenen Patienten vom Neuanfang zu überzeugen und sie zu binden. Das klappte auch.

Den zweiten Zahnarzt, David Sonntag, kannte Mörig von der Heinrich-Heine-Universität. Dort war Mörig als Dozent tätig und suchte einen Facharzt für ein besonderes zahnmedizinisches Gebiet. Sonntag war Spezialist dafür, und so kam es zur Zusammenarbeit.

2018 schied Mörig aus, Svoboda machte ohne ihn weiter, die Kooperation mit Sonntag blieb. In dieser Zeit fiel erstmals auf, dass es bei Mörig womöglich rechtsextreme Ansichten gab. Denn die Heine-Uni wurde informiert, dass er in einem Buch Thesen vertreten hatte, die sich an die NSDAP-Ideologie anlehnten. Ein Student hatte das herausgefunden und die Uni-Leitung informiert. Daraufhin beendete die Hochschule einen Lehrauftrag Mörigs, kommunizierte das aber nicht nach außen – aus Angst vor einem Skandal.

Seinen Kollegen in der Praxis, die ihn darauf ansprachen, erklärte Mörig das als Jugendsünde. Auch die Tätigkeit seiner Kinder in rechtsextremen Gruppen sei lange vorbei, es habe sich um eine romantisierende Verklärung gehandelt. Aber auch das sei Vergangenheit. Beide Ärzte sagen heute, sie hätten an diesen Aussagen nicht gezweifelt. Nun jedoch wurde ihnen klar, dass der damalige Verdacht berechtigt war und ist. Mörig und seine gesamte Familie sind in einem eindeutig braunen Umfeld unterwegs.

In den Tagen nach dem Correctiv-Bericht erlebte die frühere Praxis Mörigs einen Shitstorm. Per E-Mail, auf dem Anrufbeantworter und auf anderen Wegen gab es Dutzende von Beschimpfungen. Aber auch Zuspruch aus der rechtsextremen Ecke – für den Gesinnungsgenossen Mörig. Offenbar hatten viele nicht erkannt, dass er seit 2018 nicht mehr dort arbeitet und beschimpften (oder lobten) Mitarbeiter und die beiden Ärzte als Nazis. Auf dem Praxisschild am Eingang waren eines Morgens Anti-Naziaufkleber, die Lage wurde bedrohlich. Svoboda spricht offen von Angst, die er verspürte.

Das Praxisteam klebte ein klarstellendes Schild an den Eingang und führte zahlreiche Gespräche. Vor allem wies man daraufhin, dass die Mitarbeiter zu einem großen Teil Migrationshintergründe haben, von Fremdenfeindlichkeit also keine Rede sein könne. Svoboda selbst hat tschechische Wurzeln – und fragt sich heute, wieso Mörig ihn damals überhaupt als Nachfolger akzeptiert hat.

Inzwischen haben die Beschimpfungen nachgelassen. Patienten verlor man nicht, sagt Svoboda, im Gegenteil: Eine Frau habe angerufen, das Verhalten ausdrücklich gelobt – und um einen Termin für eine Zahnbehandlung gebeten.

Zahnarztpraxis ZahnGesundheit Oberkassel
Nach vielen Beschimpfungen hat man am Eingang der Praxis eine Erklärung befestigt, in der man sich von Mörig distanziert.

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