Ein Stein erinnert an Waldemar Spier – bald auch eine Straße?

Elf Straßen in Düsseldorf erhalten neue Namen. Eine von ihnen könnte dem einzigen nachgewiesenen jüdischen Mitglied von Fortuna Düsseldorf gewidmet werden.
Veröffentlicht am 16. Juli 2021
Dieser Stolperstein ist Waldemar Spier gewidmet und liegt vor dem Haus an der Kölner Straße 248 in Oberbilk. Foto: Andreas Endermann
Dieser Stolperstein ist Waldemar Spier gewidmet und liegt vor dem Haus an der Kölner Straße 248 in Oberbilk. Foto: Andreas Endermann

Wenn Arzu Demir morgens zu ihrem Salon geht, schaut sie vor der Tür nach dem Rechten. Ist mit dem Stein alles in Ordnung? Muss er mal wieder poliert werden? Lautet die Antwort auf die zweite Frage Ja, holt Arzu Demir ein Microfasertuch und sorgt dafür, dass der Stein aus Messing wieder richtig glänzt. Seit gut vier Jahren kümmert sie sich um den Stein an der Kölner Straße 248 und das Andenken von Waldemar Spier, dem er gewidmet ist.

Stolpersteine wie der vor dem Salon von Arzu Demir erinnern an Menschen, die in einer Stadt gelebt haben und dort Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden. Die Steine liegen vor den Häusern, in denen die Menschen gewohnt und gearbeitet haben. Auf den quadratischen Messingtafeln im Gehweg nennt der Künstler Gunter Demnig jeweils den Namen, das Geburtsjahr, den Todesort und das Todesdatum.

Und so erhalten die Betrachter des Stolpersteins an der Kölner Straße die ersten Informationen über Dr. Waldemar Spier: Jahrgang 1889, deportiert 1944 nach Auschwitz. Erlebte dort noch die Befreiung des Konzentrationslagers, starb aber dennoch am 2. März 1945. „Tot an Haftfolgen“ steht auf dem Stolperstein.

Wenn es über den Stolperstein hinaus auch eine Straße gäbe, die nach Waldemar Spier benannt ist, würde das die Möglichkeit eröffnen, sich auf eine weitere Weise mit dem Dritten Reich, dem Nationalsozialismus in Düsseldorf und seinen Opfern zu beschäftigen. Dazu ergibt sich gerade eine passende Gelegenheit: Ein wissenschaftlicher Beirat hat Anfang 2020 einen Bericht vorgelegt, welche Straßen in Düsseldorf Namen von Menschen tragen, die aufgrund ihrer Lebensgeschichte so nicht länger gewürdigt werden sollten, etwa weil sie Betreiber von Kolonialismus, Militarismus, Antisemitismus oder des Nationalsozialismus waren. In die Kategorie „schwer belastet/nicht haltbar“ fielen danach zwölf Straßen.

Diese zwölf Straßennamen wird es bald nicht mehr geben. Der Stadtrat wird nach der Sommerpause einen Antrag verabschieden, die Bürger*innen an dem Prozess zu beteiligen. So sollen die Anlieger*innen Hintergründe erfahren, warum ihre Straße anders heißt, zudem sollen die Düsseldorfer*innen sich bei der Auswahl der neuen Namen beteiligen können. Dabei sollen vor allem bedeutende Frauen berücksichtigt werden, weil die Stadt bisher nur auf relativ wenigen Straßenschildern weibliche Persönlichkeiten ehrt.

Waldemar Spier könnte die männliche Ausnahme von dieser Vorgabe sein. Sein Leben und sein Wirken sind im Rahmen der Möglichkeiten inzwischen sehr gut dokumentiert. Fußball-Zweitligist Fortuna Düsseldorf hat sich für seine Jubiläumsschrift zum 125. Geburtstag im vergangenen Jahr intensiv mit der Rolle des Vereins im Dritten Reich beschäftigt. Die Arbeit mit den Quellen aus der damaligen Zeit ist in der Chronik nachvollziehbar dokumentiert, mehrere Historiker*innen haben die Texte nach Angaben des Vereins geprüft.

Mit Blick auf Waldemar Spier haben die Autoren einige bisherige Annahmen widerlegt. Im Wikipedia-Eintrag zum Stolperstein an der Kölner Straße steht etwa bis heute, Waldemar Spier sei Obmann der Fortuna gewesen, gelte als Architekt der Meistermannschaft von 1933 und sei zum Rücktritt gezwungen worden. Die Recherchen bestätigten keinen der genannten Punkte. In der Jubiläumsschrift ist Waldemar Spier dennoch ein längerer Abschnitt gewidmet, weil er das einzige nachgewiesene jüdische Mitglied des Vereins in den 30er Jahren war. Ob es weitere gab, ist nicht mehr nachvollziehbar, weil Mitgliederdaten aus der Zeit vor 1945 nicht mehr vorhanden sind und weil die Konfessionen der Mitglieder nicht erfasst wurden.

Was wir nun über Waldemar Spier wissen: Er kam am 16. Oktober 1889 in Düsseldorf zur Welt, besuchte zunächst das Königliche Gymnasium (Vorgänger des heutigen Görres), zog dann nach Süddeutschland, wo er Abitur machte und Zahnmedizin studierte. Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er als Feldarzt gedient hatte, kehrte Waldemar Spier nach Düsseldorf zurück und eröffnete eine Zahnarztpraxis – zunächst an der Ellerstraße, später zog er zur Kölner Straße 248.

In den Sitzungsprotokollen von Fortuna taucht Waldemar Spier erstmals 1931 auf. Er wird in den Spielausschuss gewählt, ein Gremium, dessen Funktion heute nicht mehr nachvollzogen werden kann. In Protokollen aus Februar und Juni 1933 wird er noch einmal erwähnt, zudem existiert ein Glückwunschtelegramm Waldemar Spiers an die Meistermannschaft vom Abend des 11. Juni 1933. Wie es dann weiterging, ist nicht geklärt. Für einen Rücktritt, freiwillig oder erzwungen, gibt es keine Belege. Wohl aber deutliche Hinweise auf sein Ansehen. Im ersten Protokoll nach dem Zweiten Weltkrieg (20. Oktober 1945) werden seine Verdienste ausdrücklich gewürdigt und des Verstorbenen gedacht. In der Sitzung erinnert Fortuna an alle Opfer des Krieges, Waldemar Spier wird dabei namentlich genannt.

Die Geschichte von Waldemar Spier zeigt, wie die Nationalsozialisten Leben zerstört und Bürger*innen aus der Gesellschaft gerissen haben. Am Beispiel eines Mannes, der sich wie viele in einem Fußballverein engagierte, wird dies besonders anschaulich und auf traurige Weise nachvollziehbar. In der Pogromnacht am 9. November 1938 verwüstet die SA die Wohnung des Ehepaar Spiers und nimmt Waldemar Spier in „Schutzhaft“. Er kommt einen knappen Monat später frei und lebt noch mehrere Jahre in Düsseldorf.

Ohne sein Zutun wird er 1943 Vorsteher der Jüdischen Gemeinde beziehungsweise dessen, was von ihr übrig ist. In diesem Zusammenhang verhaften die Nazis ihn erneut und deportieren ihn nach Auschwitz. Waldemar Spier lebt noch, als die Rote Armee am 27. Januar 1945 das Vernichtungslager befreit, ist aber an Fleckfieber und Hungertyphus erkrankt. Daran stirbt er am 2. März.

Um die Geschichte von Waldemar Spier mit Hilfe eines Straßennamens zu erzählen, würde sich eine Straße in Flingern oder Oberbilk besonders eignen. Unter den erwähnten elf bietet sich danach eine an: die Porschestraße.

Arzu Demir kümmert sich um den Stolperstein, der an Waldemar Spier erinnert. Foto: Andreas Endermann
Arzu Demir kümmert sich um den Stolperstein, der an Waldemar Spier erinnert. Foto: Andreas Endermann

Quellen/Weiterführende Links

Jubiläumsschrift 125 Jahre Fortuna Düsseldorf, Seite 184-211.

Der Abschlussbericht zu den Straßennamen

Liste der Stolpersteine in Düsseldorf


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