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Erst Grüner, dann FDP: Die zwei Leben des Politikers Martin-Sebastian Abel

Vom grünen Theologen zum liberalen Unternehmensberater – kaum ein Ex-Landtagsabgeordneter hat sich so sehr neu erfunden wie der 39-jährige Düsseldorfer. Ein Spaziergang in unruhigen Zeiten.
Von Marc Latsch (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 12. November 2024
Martin Sebastian Abel, erste Grüner, dann FDP-Mitglied in Düsseldorf
Martin-Sebastian Abel, hier vor Schloss Kalkum, ist im Düsseldorfer Norden aufgewachsen.

Auf was ist jemand stolz, der mal Pfarrer werden wollte, der für die Grünen im Landtag saß, der heute Unternehmensberater ist und FDP-Mitglied? An Tag eins nach der erneuten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und dem endgültigen Bruch der Ampel-Regierung in Berlin hat Martin-Sebastian Abel darauf eine herrlich unideologische Antwort. Den Trinkwasserspender im Zoopark, für den er zwei Jahre gekämpft hat. Für den er immer wieder neue Anträge stellte. „Jedes Mal, wenn ich da vorbeigejoggt bin, habe ich gesagt: Ja, meiner.“

Es ist ein trüber Herbsttag im Kalkumer Schlosspark. Das Wetter hat sich der Weltlage angepasst. Und Abel hat in den 36 Stunden zuvor noch ein wenig mehr mitgezittert als der Durchschnitts-Interessierte. Immerhin kennt er zwei von drei Ampelparteien von innen, ist überzeugter Transatlantiker und wollte gerade noch in die USA auswandern. Und doch ist er nicht weniger ratlos. Trump-Sieg, die Art des Ampel-Aus, erstarkte Populisten. Wie das wieder besser werden soll? „Weiß ich auch nicht. Die beste Antwort ist, gute Politik zu machen.“

1989, Abel war gerade vier, brachte ihn der Pessimismus seiner Mutter nach Düsseldorf. „Sie hat angenommen, die DDR gibt es nochmal 40 Jahre“, sagt er und lacht. Also geht es aus Leipzig nach Prag und über die Botschaft rüber in die BRD. Erst landen beide in einer Kaserne in Rheinland-Pfalz, dann bei seiner Großtante in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt. Die Mutter verliebt sich neu, die kleine Familie wohnt in Unterrath, gleich gegenüber vom Hallenbad. Das ist auch der Grund, warum sich Abel gerne im Kalkumer Schlosspark treffen wollte. Kindheitserinnerungen. „Hier konnte man toll spielen.“ Danach ging es zum Kakao nach Kaiserswerth.

Da wir heute nicht spielen wollen und der Boden zu matschig für unsere Schuhauswahl ist, gehen wir aus dem Park ins angrenzende Wohngebiet. Dort spricht Abel über seine „klassische Grünen-Karriere“, wie er es nennt. „Kreissaal, Hörsaal, Plenarsaal.“ Er studierte Theologie, wollte wie sein Onkel Pfarrer werden. Etwas lernen und gleichzeitig etwas Sinnvolles tun. Parallel begann sein politischer Aufstieg. Abel, der schon mit 16 bei den Grünen eintrat, arbeitete im Landtag bei Johannes Remmel sowie Stefan Engstfeld und zog 2012 selbst in das Parlament ein. Mit 27 Jahren – als Nachrücker für Schulministerin Sylvia Löhrmann.

Wer mit Parteiwechslern spricht, erwartet einen großen Bruch. Einen Moment, in dem entweder alte Überzeugungen nicht mehr passten oder – gerade bei Ex-Grünen beliebt – die Partei sich von der Person entfremdete. Bei Abel passen solche Erzählungen nicht. Er kam vor allem über den Umwelt- und Naturschutz zu den Grünen, gesellschafts- und wirtschaftspolitisch war er immer eher ein Außenseiter. Der Realo unter den in Nordrhein-Westfalen dominierenden Parteilinken. Von seinen ehemaligen Kollegen hat er allerdings bis heute eine gute Meinung. „Das muss man den Grünen hoch anrechnen, dass da immer auch ein Platz für mich war im Meinungsspektrum der Partei.“

2017 endete der Grünen-Höhenflug im Landtag. Nur noch 6,4 Prozent der Stimmen, das Ergebnis von 2012 beinahe halbiert. Abel, der erst als Wissenschafts-, dann als Haushaltspolitiker arbeitete, kandidierte eigentlich auf einem guten Listenplatz. Nun reichte selbst der nicht mehr. „Als das passiert ist, war ich ganz furchtbar traurig. Rückblickend muss ich sagen, dass es das Beste war, was mir passieren konnte.“ Abel wird, wie er selbst sagt, der wahrscheinlich erste Theologe bei der NRW.Bank, bildete sich im Bereich nachhaltige Finanzen weiter und lernte bei der Arbeit seine Frau kennen. Sein zweites Leben begann.

Aus dem Wohngebiet führt der Weg über eine Landstraße aufs offene Feld. Links vom Weg sind die Protestslogans einer Bürgerinitiative zu sehen, die sich gegen die Bebauung der Fläche einsetzt. Abel zeigt auf ein Haus am Rand der Felder. Gleich dahinter hätten sie mal gewohnt, sagt er. Seine Frau und er haben ein aufregendes Jahr hinter sich. Kurzzeit-Auswanderung in die USA, mehrere Jobwechsel, Hochzeit (mit Oberbürgermeister Stephan Keller als Standesbeamten) und Abels Parteiaus- und eintritt. Der hatte auch etwas mit einem Start-up zu tun.

Nach seinem Ende als Berufspolitiker wird Abel vom Theologen zum Unternehmensberater. Er studiert noch einmal, kämpft sich durch die Zahlen. Seine Frau, die selbst Bankerin ist, unterstützt ihn dabei. Manches ist aber auch gar nicht so anders als in seiner ersten Karriere. „Ich kann mit Menschen arbeiten und das, was ich gelernt habe, auch anwenden. Ich bin hilfreich für andere.“ Das bereite ihm Freude. Und dennoch erfindet sich Abel vor rund einem Jahr schon wieder neu. Seine Frau und er packen ihren Besitz in einen Übersee-Container und fliegen in die USA. Es soll nicht nur einfach eine lange Reise werden. Sie wollen bleiben.

„Den Container haben wir im Mai final wieder ausgepackt“, sagt Abel beim Spaziergang zwischen den Feldern. „Das war eine wilde Zeit.“ Mit einem Start-up im Bereich Landwirtschaft und Biotech wollten sie den US-amerikanischen Markt erobern. Doch die Theorie ließ sich nicht so gut auf die Praxis übertragen. Am Ende fehlte das Geld. Abel, der nach mehreren Forschungsreisen ein großer USA-Fan geworden ist, musste den Traum vom dauerhaften Auswandern erst einmal aufgeben. „Irgendwann mussten wir uns eingestehen: Da haben wir uns vertan, alles wieder zurück.“

Die Beinahe-Auswanderung beschleunigt einen Prozess, der sich ohnehin angedeutet hatte. Der Außenseiter-Grüne Abel fühlte sich in seiner Partei gerade wirtschaftspolitisch immer weniger zuhause. Wenn er ohnehin nicht mehr in Deutschland leben würde, könne er auch gleich austreten, dachte er sich.

Nach seiner Rückkehr merkte er, wie ihm etwas fehlte. Wenn er Zeitung las oder Nachrichten schaute, mochte er immer das Gefühl, selbst dazuzugehören. Schon zu Landtagszeiten hatte es lose Abwerbeversuche des FDP-Fraktionschefs Joachim Stamp gegeben. Nun, zurück in Deutschland, mit einer Frau, die selbst FDP-Mitglied ist, entschließt sich Abel kurz vor der Europawahl zum Wechsel. Er wollte noch ein, zwei Wähler mobilisieren, sagt er. Was er nicht wollte und bis heute durchgehalten hat: schlecht über die Grünen reden.

Die Themen springen nun mehrfach über den Atlantik. Es geht um die US-Wahl, die Abel mit dem Freundeskreis des Amerikahauses verfolgte und deren Eindeutigkeit dort niemand erwartet hatte. Es geht um das Regierungsende in Berlin, das Abel mit halber Parteibrille beurteilt. Ihn regt an diesem Nachmittag vor allem die Rede des Bundeskanzlers über Christian Lindner und der FDP-Austritt von Verkehrsminister Volker Wissing auf. Er sagt aber auch: „Ich glaube da verlieren alle“, inklusive seiner nicht fehlerlosen neuen Partei.

Zwischendurch legt Abel eine Pause von der großen Politik ein. Dann zeigt er mir, wo Kaiserswerth beginnt und Wittlaer endet oder freut sich über einen kleinen Bauernhof, vor dem eine Gruppe Gänse auf uns wartet. „Das finde ich halt so gut hier im Norden.“

Nach seinem bitteren Ausscheiden aus dem Landtag trifft Abel eine Entscheidung. Selbst wenn er noch nachrücken sollte, er würde verzichten. Sein Fokus liegt nun ganz auf seiner neuen Karriere. Doch natürlich beschäftigt ihn die Politik bis heute. Und wer mit ihm über seine Erfolge spricht, hört auch nicht nur vom Trinkwasserspender im Zoopark, sondern auch von seinem Kampf gegen Tierversuche und für nachhaltige Finanzen. Besonders dann, wenn sein Einsatz Folgen bis in die Gegenwart hatte. Abel hat genaue Vorstellungen davon, was er heute im Landtag anders angehen würde und welche Themen besonders drängen. Vor allem Bürokratieabbau und Digitalisierung treiben ihn um. Steht also doch noch ein Comeback an?

Als ich Martin-Sebastian Abel diese Frage stelle, sind wir bereits zurück im Schlosspark. Unser Spaziergang ist fast beendet. Er braucht eine Weile, um konkret zu antworten, spricht stattdessen lieber über die große Bedeutung der Kommunal- und Landespolitik. Dann sagt er, dass er nichts ausschließen werde. Im Bundestagswahlkampf wird Abel allerdings nur das tun, was einfache Parteimitglieder eben tun: Plakate kleben. „Ich habe viel ausprobiert. Manches hat super funktioniert, manches hat gar nicht funktioniert. Und ich bin mit dem Ausprobieren jetzt eigentlich noch nicht fertig.“


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