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Andisheh Karami
Andisheh Karami (38) protestiert jeden Tag vor dem Hauptbahnhof gegen das Regime in Teheran. In der Hand hält sie das Foto der 22-jährigen Mahsa Amini, die unter ungeklärten Umständen zu Tode kam, weil sie ihr Kopftuch zu locker trug. Foto: Andreas Endermann

Frau Karamis Kampf gegen die Mullahs

Seit Wochen stellt sich eine Iranerin jeden Tag vor den Hauptbahnhof. Sie demonstriert gegen das Regime in Teheran. Allein – nur mit Fotos, selbstgemalten Bildern, Blumen und Kerzen.
Veröffentlicht am 5. Oktober 2022

Andisheh Karami ist zwar allein dort, aber nicht zu übersehen. Mitten auf dem Platz vor dem Haupteingang des Bahnhofs steht sie zwischen Blumen, Kerzen, Fotos, Postern und gemalten Bildern. Viele Menschen hasten vorbei, die meisten schauen hin, etliche bleiben stehen und lesen: Mahsa Amini. Der Name einer jungen Frau, darüber ihr Foto. Sie erfahren, dass diese 22-Jährige tot ist. Seit knapp drei Wochen, unter nicht geklärten Umständen im Iran ums Leben gekommen. Ihr Tod hat im Land bislang so nicht gekannte Proteste ausgelöst. Hunderttausende sind auf der Straße.

In Düsseldorf demonstriert Andisheh Karami dagegen ganz allein. Aber nicht weniger auffällig, unüberhörbar, obwohl sie keine Parolen schreit und nur sehr leise spricht. Dabei wischt sie sich immer wieder Strähnen des dunklen Haares aus dem sehr ernsten Gesicht, macht Pausen, denkt nach, spricht weiter, mit ruhiger Stimme. Und ich höre zu und bemerke: Sie hat, wenn überhaupt, nur ein oder zweimal höflichkeitshalber für ein, zwei Sekunden gelächelt. Am Ende fehlen mir die Worte. Was soll ich zu dem sagen, was diese Frau erlebt hat und jetzt tut? Ich fühle Wut über den Terror, der im Namen des Islam verübt wird, und Mitleid mit den Menschen im Iran, die das seit Jahrzehnten erleiden. Vor Andisheh Karami, 38, die das hier anprangert, kann ich nur das empfinden: großen Respekt.

Karami kommt vor fünf Monaten nach Deutschland. Ein Stipendium ermöglicht es ihr, eine Zeit hier zu leben und zu versuchen, sich als Autorin zu etablieren. In ihrer Heimat wäre das nicht möglich, jedenfalls nicht offiziell. Frauen, Mädchen in ihrer Heimat dürfen nicht einfach so Autorinnen sein. So, wie sie nicht Auto oder Fahrrad fahren dürfen oder ohne Erlaubnis ausreisen. Wenn sie das erzählt, sind ihre Trauer, die Verbitterung, ihr Zorn deutlich spürbar. Der richtet sich nicht gegen den Islam, das ist ihr wichtig. Sondern gegen die Diktatur einer fanatischen religiösen und korrupten Clique.

Als letzte Erinnerung an ihr Land, kurz vor der Ausreise, berichtet sie davon, wie sie festgenommen wurde. Wegen eines Lochs über dem Knie in ihrer Jeans, das sie mir zeigt. Das legt ein paar Zentimeter Haut frei. Zu viel für die Religionspolizei in Teheran. Nach ihrer Freilassung darf sie ausreisen.

Nun, da seit drei Wochen wegen des Todes der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini zuerst in Teheran, aber inzwischen landesweit eine riesige Protestwelle über das Land rollt, ist Karami buchstäblich hin- und hergerissen. In ihrer Heimat würde sie sofort ebenfalls auf die Straße gehen und sich damit in Lebensgefahr bringen. „They kill my people!“ – sie töten mein Volk, sagt sie, und Tränen steigen ihr in die Augen.

Also protestiert sie hier. Nicht bei Demonstrationen in Düsseldorf oder anderen Städten. Sie macht ihre eigene Eine-Frau-Demo – vor dem Hauptbahnhof. Dort, direkt am Haupteingang auf dem Konrad-Adenauer-Platz, wo tausende Menschen vorbeikommen. Passanten schenken ihr Blumen oder Kerzen, erzählt sie. Die Menschen seien sehr freundlich. Vor allem die Älteren erinnerten sich gut an Zeiten in Deutschland, als es ebenfalls tödlich sein konnte, anderer Meinung zu sein.

Sie jedenfalls will weitermachen, bis sich in ihrem Land grundlegend etwas ändert. Also steht oder hockt sie hier jeden Tag mehrere Stunden und mahnt die Vorbeigehenden, ohne sie anzusprechen, freut sich aber, angesprochen zu werden. Dass sich nach mehreren Unruhen in ihrem Land dieses Mal wirklich etwas ändert, davon ist sie überzeugt. Es habe über die Jahre zwar immer wieder Aufstände gegen das Regime gegeben, aber nie zuvor hätten die so lange gedauert, und nie zuvor wären selbst in den kleinen Städten des Landes die Menschen auf die Straße gegangen. Vor allem die jungen Frauen begehrten auf und seien fest entschlossen, sich nicht weiter unterdrücken zu lassen, meint Karami. Was sie dafür auf sich nehmen, zeigt sie auf einem Video, das sie über einen der wenigen offenen Kanäle erhalten hat. Obwohl das Regime Internetverbindungen und Telefonleitungen gekappt hat, dringen Bilder nach außen. Dieser Film im Display ihres Handys zeigt, wie die Scharif-Universität in Teheran von Revolutionsgarden auf Motorrädern gestürmt wird. Menschen flüchten, suchen Deckung. Das letzte Bild des Videos zeigt zwei Männer auf einem Motorrad, der hinten Sitzende hebt ein Gewehr, zielt in Richtung der Kamera – und das Bild erlischt.

Karami hat Architektur studiert, will aber nun als Autorin und Journalistin arbeiten. Wie und wo, das weiß sie noch nicht, aber ihre Hoffnung ist zurzeit stärker denn je, dass das in nicht allzu ferner Zeit im Iran sein kann. Die Geschichte vom Umsturz des DDR-Regimes kennt sie – aber der ist unblutig verlaufen. Für sie ist es der Beweis, dass Dinge sich ändern können, wenn die Menschen es nicht mehr hinnehmen, rechtlos zu sein.

In eigener Sache:
Wir haben Andisheh Karami gefragt, ob sie nicht ihre Geschichte hier für unsere Leser aufschreiben will. Sie will. Also werden wir bald hier einen Beitrag von ihr haben. Sie verfasst ihn in ihrer Muttersprache, und wir lassen ihn übersetzen.
Wer sie kontaktieren und vielleicht unterstützen will, kann das gern tun. Wir stellen den Kontakt her. Bitte über mich unter [email protected]


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