Grüne zieht es auf den Platz des Oberbürgermeisters
Stephan Keller beginnt lächelnd und spricht langsam – aber er hält nicht lange durch. Nach wenigen Minuten haben sich seine Augenbrauen in der Mitte zusammengezogen und seine Hand hämmert im Takt seiner Worte durch die Luft. „Behaupten Sie bitte nie wieder so einen Unsinn“, sagt er. Und: „Verabschieden Sie sich doch bitte von dem Gespenst und den Fake News, dass wir den Hofgarten zubauen wollen.“ (Das Video zu diesem Auftritt finden Sie hier, die Rede des Oberbürgermeisters beginnt bei 1:43:00)
Adressatin dieser Sätze in der jüngsten Sondersitzung zur neuen Oper war Bürgermeisterin Clara Gerlach. Die Grüne vertrat dort erneut die Position ihrer Partei gegen einen Neubau zum jetzigen Zeitpunkt. Dabei zählte sie unter anderem auf, was die Stadt nach ihrer Ansicht nicht mehr leisten kann, wenn sie eine neue Oper baut. Sie hat sich damit wie bei der Sondersitzung 2023 als Gegenpart zum Amtsinhaber präsentiert. Das passt insofern, als Clara Gerlach derzeit die Favoritin für die OB-Kandidatur der Grünen im nächsten Jahr ist. Gewählt und vorgestellt wird die dazugehörige Person voraussichtlich Anfang 2025.
Vor dieser Rede gab es wenig Anlass für Stephan Keller, nervös zu werden. Seitdem schon. Ich habe immer mal wieder von Momenten im Rathaus gehört, in denen der Oberbürgermeister harsch bis unbeherrscht reagiert haben soll. Öffentlich erlebt hatte man das aber nicht. Worte wie „Unsinn“ und „Fake News“ entsprachen einer neuen Kategorie. Mein Eindruck: Die mögliche Kandidatin triggert etwas beim OB, das sich im Wahlkampf 2025 negativ für ihn bemerkbar machen könnte. Das ist einer von mehreren Gründen, warum sich die Chancen von Clara Gerlach im Rennen um die Rathausspitze in jüngster Zeit verbessert haben:
Grüne Grundstärke
Das Ziel der Herausforderin ist zunächst einmal ganz einfach: Es geht nur darum, in der ersten Runde der OB-Wahl stärker als die SPD zu sein.
Anders als auf Landes- oder Bundesebene gibt es auf kommunaler Ebene keine Umfragen, wie die Wählerinnen und Wähler aktuell abstimmen würden. Deshalb kann meine Analyse ausschließlich auf mittelfristigen Entwicklungen und Strukturen basieren. Strukturell ist zu erkennen, dass sich die Grünen in der Mitte Düsseldorfs eine ganze Reihe von Hochburgen erarbeitet haben. So stellen sie zum Beispiel in den drei zentralen Stadtbezirken die Bezirksbürgermeister:innen.
Diese Grundstärke in der Mitte der Stadt hat dazu geführt, dass die Grünen seit 2019 bei Wahlen meist vor der SPD landeten: bei der Europawahl 2019, bei der Wahl zum Stadtrat 2020 und bei der Landtagswahl 2022. Dass die Grünen 2020 nicht auch bei der OB-Wahl vor der SPD landeten, lag am damaligen Oberbürgermeister Thomas Geisel. Bei ihm machte sich der Amtsbonus bemerkbar.
Eben dieser Thomas Geisel kommt nun umgekehrt ins Spiel – zugunsten der Grünen. Der 60-Jährige ist inzwischen zum Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gewechselt. Die neue Partei zeigt aktuell mit einer Menge Wahlplakaten in der Stadt, dass sie kampagnenfähig ist und ernsthafte Chancen auf relevante Stimmanteile hat.
Das aber schadet voraussichtlich der SPD deutlich mehr als den Grünen. Eine Erhebung des ZDF-Politbarometers zeigte Anfang des Jahres, woher die möglichen Anhänger des BSW kommen könnten. Das Wechsel-Potential aus dem Grünen-Lager lag danach bei vier Prozent, das bei den SPD-Wähler dagegen um 15 Prozent. Bestätigt sich dies auch nur in Grundzügen, würde es den zuletzt wiederholt gesehenen Abstand zwischen Grünen und SPD vergrößern.
Und noch an einer anderen Stelle scheint sich die grüne Grundstärke zu intensivieren. Die Partei kann auch in der Fläche agieren. Das heißt: Sie hat in Hochburgern der CDU, zum Beispiel im Düsseldorfer Norden, inzwischen eine nennenswerte Zahl aktiver Mitglieder, um etwa regelmäßig mit Wahlkampfständen vertreten zu sein. Es steht wahrlich nicht zu erwarten, dass die Grünen 2025 plötzlich Direktmandate in Angermund oder Wittlaer holen, aber erhöhte Präsenz schadet ihnen gewiss auch nicht.
Polarisierung
Der Altersunterschied zwischen Clara Gerlach und Stephan Keller beträgt nur sechs Jahre – es wirkt aber bisweilen, als wären es deutlich mehr. Sie wirkt im Vergleich jünger, moderner, fröhlicher. Das erklärt die Gefahr der am Anfang beschriebenen Szene: Die Wähler:innen müssen nicht den Namen Clara Gerlach kennen. Es kommt vor allem darauf an, dass sie auf den ersten Blick erkennen, dass es eine Alternative zum OB gibt. Das reicht erstmal. Folglich müsste sich der Wahlkampf der Grünen auf maximale Polarisierung konzentrieren.
Dafür gibt es neben der persönlichen Wirkung mindestens zwei weitere Ansätze: Empathie und die Oper. Stephan Keller wird zuallererst als Beamter wahrgenommen. Er hat gefühlt immer eine Krawatte an, auch wenn das gar nicht stimmt. In seinen nun dreieinhalb Jahren Amtszeit hat er erkennbar Freude an dem Job gefunden und sich deshalb auch ein gutes Stück geöffnet. Dennoch kann man gegen ihn gut jemanden positionieren, der zuhört, das Gehörte nachempfindet und dabei eine positive Lebenseinstellung vertritt. Ob Clara Gerlach das gelingt und sie in guter Grünen-Tradition zu viel Freude am Belehren hat, ist offen. Aber ehrlich demonstrierte Empathie wäre ein Weg für sie.
Die Position der Grünen zur neuen Oper ist kompliziert, aber zumindest im Wahlkampf macht das nichts. Die Partei sagt im Moment Nein zur neuen Oper, aber nicht grundsätzlich. Sie möchte das vorhandene Gebäude sanieren, nochmal über andere Standorte reden und ein Haus haben, das mehr ist als eine Oper.
Um diese inhaltliche Gemengelage jemandem in Ruhe und schlüssig zu erklären, braucht man mehr Zeit, als ein Wahlkampfstand an einem Ort steht. Nimmt man die Position aber stark verkürzt wahr – und das ist im Kommunalwahlkampf eher Regel als Ausnahme – dann sind die Grünen und Clara Gerlach diejenigen, die gegen eine Milliarden-Oper waren, die der Oberbürgermeister unbedingt will. Das kann für einen erheblichen Teil der Wählerschaft attraktiv sein.
Erfahrung
Es gab in den vergangenen Wochen noch einen besonderen Moment in einem politischen Gremium. Im Februar war Stephan Keller krank und konnte deshalb die Ratssitzung nicht leiten. Das übernahmen seine Stellvertreter:innen: Bürgermeister Josef Hinkel – und Bürgermeisterin Clara Gerlach.
Letztgenannte zeigte in dieser Zeit, dass sie seit 20 Jahren dem Stadtrat angehört und aus dieser Erfahrung Souveränität geworden ist. Sie ging mit den formalen Fragen genauso vertraut um wie mit den Themen. Sollten die CDU und der OB die Strategie verfolgen, die Herausforderin als unerfahren und deshalb risikobehaftet darstellen zu wollen, müssen sie diesen Ansatz seit Februar mindestens ernsthaft überdenken.
Fazit
Stephan Keller ist der Favorit für 2025. Aber Clara Gerlach hat gute Chancen, es als erste Grüne in die Stichwahl zu schaffen. Dann wird es spannend, denn dann kommt es darauf an zu mobilisieren. Die Herausforderin muss Wähler:innen von BSW, Linke und insbesondere die voraussichtlich schock-erstarrten Sozialdemokrat:innen bewegen, noch einmal wählen zu gehen und für sie zu stimmen.
Die Wahltermine 2025 stehen noch nicht fest. Aber sollten die Bundestags- und Stichwahl am selben Tag stattfinden, wäre das mit Blick auf die Mobilisierung von Wähler:innen erneut keine schlechte Nachricht für Clara Gerlach.
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