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Irritierend: Wenn Düsseldorfs Oberbürgermeister zum Visionär wird

Stephan Keller hat in seiner Haushaltsrede die politische Konkurrenz abgewatscht, ohne erkennbaren Grund die Idee eines Tunnels vorgestellt und sich gegen ein Zeichen für Toleranz ausgesprochen. Ein Erklärungsversuch.
Veröffentlicht am 23. September 2024
Düsseldorfs Oberbürgermeister Stephan Keller während einer Sitzung des Stadtrats
Oberbürgermeister Stephan Keller während seiner Haushaltsrede im Düsseldorfer Stadtrat.

Mehrere Anlässe, dieselbe Frage: Warum macht er das? Oberbürgermeister Stephan Keller hat mit seinen Auftritten in der ersten Ratssitzung nach der Sommerpause eine ganze Reihe von Politiker:innen und Beobachter:innen mit Fragezeichen im Gesicht hinterlassen. Gleich mehrere Aktionen schienen nicht zu seinem bisherigen Verhalten zu passen. Auch diejenigen, die ihm politisch näherstehen, wirkten erstaunt. Und nicht auf die gute Weise.

Die irritierenden Momente

Der Tunnel Die September-Sitzung des Stadtrats hat in der Regel eine feste Tradition: Der Oberbürgermeister und die Kämmerin stellen ihren Entwurf für den städtischen Haushalt vor. Erst in einer Pressekonferenz, dann mit Reden im Rat. Diese Tradition pflegten Stephan Keller und Dorotheé Schneider auch 2024 – aber nicht nur.

Der Rathaus-Chef präsentierte zudem die Idee, die Bundesstraße 7 im Stadtteil Heerdt in einen Tunnel zu verlegen. Auf dem Deckel dieses Tunnels könnten dann Wohnhäuser entstehen, Stephan Keller sprach von einer neuen Mitte für Heerdt. Das Irritierende: Das Ganze ist kaum mehr als eine vage Idee. Bis sie vielleicht einmal Wirklichkeit wird, vergehen noch viele Jahre. Mit dem städtischen Haushalt hat sie also noch lange nichts zu tun.

Die Einleitung Üblicherweise verbindet der Oberbürgermeister die Betrachtung der finanziellen Lage der Stadt mit einem Blick auf den größeren nationalen und internationalen Rahmen. Das nutzt er dann auch, um den Betroffenen von Kriegen und Konflikten der Solidarität der Stadt zu versichern. Dazu zählen die Menschen in der Ukraine und im Nahen Osten ebenso wie die Mitglieder der hiesigen Jüdischen Gemeinde.

In diesem Jahr zeigte Stephan Keller in diesem Teil seiner Rede aber ungeahnte Liebe zur Länge. Das Ganze nahm so viel Raum ein, dass der Redner zwischendurch schon beruhigen musste: „Ich komme gleich zum Haushalt.“

Die Generalabrechnung Die ersten Vorhaben, die mit dem nächsten Etat finanziert werden sollten, präsentierte der Oberbürgermeister als konkrete Problemlösungen – und als Kontrast zu zahlreichen Themen, die sonst auf der Tagesordnung stehen.

Anfangs klang dies noch nach Kritik an den populistischen Anfragen und Anträgen der AfD. Dann aber merkte man, dass Stephan Keller sich den Stadtrat flächendeckend vornimmt (mit Ausnahme seiner CDU). Anträge von SPD, FDP, Partei/Klima und Tierschutz/Freie Wähler versah er mit der Frage, ob das denn nun wirklich die drängenden Themen der Stadt sind. Es ging um E-Ladesäulen, die Klimabilanz des städtischen Kantinenessens und Pärchenfiguren für Ampeln in der Innenstadt.

Gleich doppeltes Ziel der oberbürgermeisterlichen Sinnfragen waren die Grünen. Sie mussten sich auch noch mehrfach ideologische Verkehrspolitik vorwerfen lassen. Zur Erinnerung: Die Grünen bilden mit Stephan Kellers CDU eine Kooperation im Stadtrat.

Die Beanstandung Eine der letzten Entscheidungen des Tages betraf die erwähnten Ampelfiguren. Mehrere Fraktionen hatten beantragt, dass Rot, Gelb und Grün bei einigen Fußgänger-Ampeln in der Innenstadt in den Umrissen von gleichgeschlechtlichen Pärchen oder Radschlägern leuchten – als Zeichen von Toleranz und Weltoffenheit.

Stephan Keller hatte schon Stunden vorher verdeutlicht, wie er abstimmen würde. Zudem erklärte er, er werde die Entscheidung beanstanden. Das bedeutet, dass er sie für einen Verstoß gegen geltendes Recht hält. In solchen Fällen ist er verpflichtet, die Umsetzung eines Beschlusses vorläufig zu stoppen und diesen juristisch überprüfen zu lassen.

Die möglichen Erklärungen

Wunsch nach einer Vision Seit seinem Amtsantritt begleitet Stephan Keller ein Kritikpunkt. Er sei Verwaltungsexperte, aber kein Politiker mit großen Plänen. Er selbst hat in den vergangenen Tagen wiederholt vom Bürgerdialog zur Theodor-Heuss-Brücke erzählt. Dabei sei gesagt worden, er habe keine Vision.

Zumindest diesen Vorwurf kann man der Tunnel-über-der-B7-Idee für Heerdt nicht machen. Der Vorschlag befindet sich noch in einem sehr frühen Stadium und hat einige Schwächen. Aber er ist geeignet, eine große Debatte auszulösen und wäre – sollte er jemals realisiert werden – ein Vorzeige-Projekt.

Aber warum stellt er es ausgerechnet jetzt vor? Aus meiner Sicht gibt es zwei mögliche Erklärungen:

1. Der restliche Haushalt ist unspektakulär. Die Stadt investiert weiter in Schulen und Kitas, in Digitalisierung, Klimaschutz, Sicherheit und Sauberkeit. Das alles geschieht meist auf dem bisherigen finanziellen Niveau oder darunter. Ein wesentlicher Grund: Die Personalkosten (und mit ihnen die Versorgungsaufwendungen) steigen nach dem jüngsten Tarifabschluss massiv. Das und anderes bremsen andere Haushaltsaktivitäten. Die Stadt muss ihre Rücklagen verbrauchen und neue Kredite aufnehmen, um das bekannte Niveau zu halten. Zum Angeben taugt all das nicht, da erreicht man mit Animationen eines eventuellen Bauprojekts mehr.

2. Anfang Oktober trifft sich die Immobilienbranche auf der Messe Expo Real in München. Düsseldorf hat dort oft neue spektakuläre Vorhaben präsentiert. Die Tunnel-Idee wäre ideal für diesen Termin gewesen. Dass der Oberbürgermeister sie nun aber schon öffentlich gemacht hat, lässt mich spekulieren, ob er noch etwas Besseres für München hat.

Freude am Staatsmännischen Manchmal wirkt der Düsseldorfer Oberbürgermeister wie eine kleinere Version des Bundespräsidenten. Dann geht es um Repräsentation und die richtigen Signale. Der Rathaus-Chef trifft internationale Vertreter:innen und eröffnet große Veranstaltungen wie die Invictus Games. Er vereinbarte eine Städtepartnerschaft mit dem ukrainischen Chernowitz, erklärte seine unbedingte Unterstützung Israels und der jüdischen Gemeinde und rief nach dem Anschlag von Solingen zu einem interreligiösen Gebet auf.

Stephan Keller spricht gutes Englisch und hat ein Gespür für den richtigen Ton zur jeweiligen Situation. Düsseldorf gibt dank ihm ein gutes Bild nach außen ab. Der Oberbürgermeister hat erkennbar Freude an diesem Teil seines Jobs – und der Tatsache, dass er sich so angenehm vom Alltag unterscheidet.

Leiden am politischen Betrieb Der Düsseldorfer Stadtrat ist ein besonderer Ort. Die Mitglieder verwenden viel Zeit auf die Arbeit dort und haben dabei auch den Drang zum öffentlichen Beschäftigungsnachweis. Deshalb gibt es viele Anfragen und Anträge, deshalb verlaufen die Debatten bisweilen nach dem Prinzip „Es ist zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem“. Phasenweise kann man das als Folklore betrachten, es ist aber auch wirklich anstrengend – gleichermaßen für Beobachter:innen wie für den Oberbürgermeister. Ihm merkt man das immer besonders an, wenn er im Schnelldurchlauf einen wesentlichen Teil der Tagesordnung zügig abarbeiten möchte und ihn die Ratsmitglieder dadurch bremsen, dass sie zu einem Punkt Redebedarf anmelden.

Dieser Schmerz hat sich jetzt wohl mit seiner an sich berechtigten Populismus-Kritik vermischt. Die Länge der Liste von Negativbeispielen und der Ton seiner Rede zeigten, wie ihn das Ganze nervt. Für Rücksicht auf jetzige oder künftige Bündnispartner bleibt da kein Raum. 

Jurist bleibt Jurist Die Frage der Ampelpärchen führte zu einer seltenen Konfrontation. „Hilft eine Ampelfigur irgendeinem Opfer von geschlechterbezogener Diskriminierung?“, fragte Stephan Keller in seiner Rede.

FDP-Fraktionschef Manfred Neuenhaus ist ein fundierter Kritiker weiter Teile des Rates, den Oberbürgermeister schont er dabei aber oft. Diesmal aber betonte er, dass er mit Blick auf die Ampeln mit der Rede nicht einverstanden sei. Gleichgeschlechtliche Paare trauten sich oft nicht, bedenkenlos in der Öffentlichkeit aufzutreten. Für sie seien Zeichen der Toleranz deshalb wichtig.

Stephan Keller demonstriert die Offenheit Düsseldorfs sonst regelmäßig. Hier aber dominiert der Jurist in ihm. Trotz positiver Beispiele aus anderen Städten fürchtet er, der Beschluss sei rechtlich nicht zulässig und würde im Fall eines Gerichtsprozesses kassiert.

Fazit
Im aktuellen Verhalten von Stephan Keller zeigen sich bekannte Muster in stärkerer Ausprägung, kombiniert mit dem Wunsch nach mehr Anerkennung. Die bisherige Amtszeit war wesentlich geprägt von der Strategie, keine Fehler zu machen. Das wollte der Oberbürgermeister vermutlich gar nicht ändern. Seine irritierenden Aktionen waren vielleicht noch keine Fehler, aber mindestens Momente der Schwäche.


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