Keine Lust mehr auf Schule: Warum immer mehr Lehrer:innen die Flucht ergreifen
Jeder, der mal zur Schule gegangen ist, kennt dieses Gefühl: Sommerferien. Unendlich viel Zeit für Urlaub, Freibad und Nichtstun. Wie schön das war – man wusste es erst viel später richtig zu schätzen. Andrea Bauer* hatte schon viele Sommerferien, aber die kommenden sind für sie ganz besondere. Denn im Gegensatz zu ihren Kolleg:innen wird sie anschließend nicht wiederkommen. Sie hat gekündigt und will mit 54 Jahren etwas neues machen. Das klingt gewöhnlich – ist es aber nicht. Denn Bauer ist verbeamtete Lehrerin, hat viele Jahre an Düsseldorfer Schulen unterrichtet.
Um Lehrer:innen soll es hier also gehen. Mehr als 180.000 gibt es allein an allgemeinbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen. „Notfalls studier‘ doch Lehramt“, das habe ich nach meinem Abitur in den Nullerjahren und auch später häufig gehört. Gemütlicher Job, viel Urlaub, wenig Arbeit – als Kind zweier Lehrkräfte** habe ich diese Klischees immer aufmerksam verfolgt. Aber offenbar ist der Beruf gar nicht so muckelig – wenn er es denn überhaupt mal war. Denn immer mehr Lehrer:innen verlassen den Öffentlichen Dienst. Allein an Schulen in NRW gab es im Jahr 2022 laut Schulministerium rund 800 Aussteiger, davon knapp 300 verbeamtete Lehrer:innen – das sind etwa dreimal so viele wie vor zehn Jahren. Warum?
Die Robert-Bosch-Stiftung führt in regelmäßigen Abständen eine Befragung der Lehrkräfte durch, die bisher letzte im vergangenen Jahr. Die Ergebnisse im Schnelldurchlauf:
- Am meisten belastet die Lehrerschaft die Bewältigung der Corona-Pandemie und ihrer Auswirkungen, der Lehrkräftemangel und das Verhalten der Schüler:innen.
- 71 Prozent haben das Gefühl, den Schüler:innen nicht die nötige Unterstützung bieten zu können.
- 84 Prozent geben ihre Arbeitsbelastung mit hoch und sehr hoch an.
- 79 Prozent arbeiten häufig oder sehr häufig am Wochenende.
- 60 Prozent können sich in ihrer Freizeit nicht richtig erholen.
- 62 Prozent leiden täglich oder häufig unter körperlicher Erschöpfung.
- Was auffällt: In NRW ist der Anteil der Lehrer:innen, die ihre Belastung als sehr hoch beschreibt, deutlich höher als in anderen Bundesländern.
Eines ist da fast etwas paradox: Viele Lehrer:innen geben dennoch an, ihren Job grundsätzlich zu mögen. Auch Andrea Bauer. Die Grundschullehrerin hat 1993 ihr Referendariat gemacht. Von einer Grundschule in Düsseldorf-Golzheim wechselt sie 2007 nach Kaarst. Schon damals arbeitet sie übergangsweise in Teilzeit, weil sie sich häufig vom Schulalltag überfordert fühlt. 2013 kehrt sie nach Düsseldorf zurück, zunächst an eine Grundschule in Bilk. Was sie stört: immer mehr Bürokratie und Verwaltungsaufgaben, ständig wechselnde und wachsende Lehrpläne, zunehmender Druck von Schulleitung und Eltern. Die Vorgaben seien immer komplexer und strenger geworden, die Freiheit und Kreativität der Lehrkräfte eingeschränkt. Zu wenig Zeit, zu viel Gleichschritt und Korsett. Bauer fehlt Wertschätzung, sie fühlt sich wie eine Marionette. Die Schulleitung interessiere sich nicht für die Probleme von ihr und anderen Lehrkräften.
Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.
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