Mein Bekannter, der Neo-Nazi
Es war ein Tag, den ich nicht vergessen werde, denn er war perfekt. Ein Freund machte vor wenigen Jahren während der Festspiele Ferien in der Nähe von Salzburg und hatte Karten für den „Jedermann“ besorgt. In der Hauptrolle: Tobias Moretti. Den wollten wir unbedingt sehen. Zumal die weibliche Hauptrolle, die Buhlschaft, von der großartigen Stefanie Reinsperger gespielt wurde, seinerzeit Lebensgefährtin eines engen Freundes. Bevor wir zur Freilichtbühne auf dem Domplatz gingen, trafen wir uns bei lauer Abendluft im Garten eines Restaurants zu einem Aperitif. Dabei wurde mir ein Mann vorgestellt, den ich bis dato nicht kannte: Gernot Mörig, Zahnarzt aus Oberkassel. Er war mit seiner Frau dort und wir verstanden uns auf Anhieb. Das Gespräch war angeregt und interessant.
Mörig hatte offenbar großes Interesse daran, mich näher kennenzulernen. Anfangs meinte ich zu erkennen, warum: Als Düsseldorfer Zahnarzt suchte er die Nähe zu mir, dem Journalisten aus seiner Heimatstadt. So etwas ist mir oft passiert, und aus der Erfahrung heraus wusste ich, damit umzugehen. In seinem Fall fand ich es nützlich für beide Seiten: Er erzählte mir von einem neuen Verfahren, das er gemeinsam mit einem Kollegen entwickelt hatte, scheinbar unrettbare Zähne zu reanimieren. Weil solche Gesundheits-Themen immer gut laufen (wie wir Journalisten sagen), vereinbarten wir locker, uns bald in Düsseldorf zu treffen.
So kam es auch. Ich war in seiner Praxis an der Schanzenstraße, er demonstrierte mir seine angeblich neue Methode. Daraus wurde ein Bericht in der „Rheinischen Post“, für die ich in dieser Zeit noch arbeitete. „Zurück zu den Wurzeln“ lautete die Überschrift.
In den Tagen danach sprachen wir mehrfach miteinander. Mörig lud mich zum Essen ein und versuchte, ein Treffen zu viert auf seinem Bauernhof in Bayern zu organisieren, wo er meist lebte. Ob wir tatsächlich gemeinsam gegessen haben, weiß ich nicht mehr, der Besuch in Bayern kam nicht zustande. Ich wäre gern hingefahren, hatte aber keine Zeit. Danach endete der Kontakt. Mit der Praxis hat er kurz darauf jede Verbindung abgebrochen, seine Adresse in Düsseldorf hat er aufgegeben.
Zu keiner Zeit hatte ich bei unseren Treffen nur ansatzweise den Eindruck, der Mann könnte in seinen Ansichten extrem sein. Vermutlich, weil wir nicht über Politik gesprochen haben. Wenn ja, wäre mir sicher aufgefallen, wie er denkt. So hatte ich keine Ahnung. Nun habe ich erfahren, dass der Mann ein Neonazi ist. Man könnte auch sagen: ein Nazi. Denn ich habe ein Zitat von ihm gefunden, in dem er „Ich bin seit meinem sechsten Lebensjahr dabei“ sagt. Dabei heißt: Er war und ist in Gruppen, gegen die die AfD liberal wirkt, ganz klar in völkischem, nazi-nahem Gedankengut verhaftet. Das gilt übrigens für die gesamte Familie: Seine Frau und alle Kinder sind ebenfalls in dieser Szene aktiv.
Das erste Treffen mit ihm war ein Tag, den ich – siehe oben – nicht vergessen werde. Nun wurde mir ein weiterer Grund dafür geliefert. Das alles zu erfahren hat mich berührt: Ein solches Gedankengut bei einem gebildeten, klugen und kultivierten Mann vorzufinden, ist für mich schockierend. Obwohl ich von ähnlichen Fällen gehört hatte, ist die Erfahrung eine andere, wenn man es so hautnah erlebt. Und die historische Parallele ist ebenfalls frappierend: Ohne Industrielle, reiche Gönner und andere einflussreiche Menschen wäre Hitler damals niemals an die Macht gekommen.
Das neue Wissen verdanke ich Kolleginnen und Kollegen des Medienhaus Correctiv. Sie haben am 10. Januar die Ergebnisse einer Recherche zu einem Treffen von Rechtsextremen und ranghohen AfD-Mitgliedern veröffentlicht. Gernot Mörig hat sich auf Nachfrage von Correctiv als der „alleinige Veranstalter“ dieses Treffens in Potsdam bezeichnet. Die gesamte Geschichte von Correctiv ist hier zu finden. Ich habe daraus folgende Dinge über meinen früheren Bekannten erfahren:
Zu dem Treffen gab es mindestens zwei Einladungen, beide hat Mörig unterschrieben. In der einen Einladung ist die Rede von einem „exklusiven Netzwerk“, dem man beitreten kann, dazu wird eine Mindestspende in Höhe von 5000 Euro empfohlen. Geldsammeln scheint nach dieser Einladung eine zentrale Aufgabe des Netzwerks zu sein. Wen und was der Absender dabei im Sinn hat, zeigt Correctiv mit einem Zitat aus der Einladung: „Es bedarf Patrioten, die aktiv etwas tun und Persönlichkeiten, die diese Aktivitäten finanziell unterstützen.“
In der zweiten Einladung wird Mörig noch deutlicher. Man wolle in Potsdam über ein „Gesamtkonzept, im Sinne eines Masterplans“ sprechen. Vorstellen werde die dazugehörige Idee „kein Geringerer“ als Martin Sellner. Der Österreicher ist ein rechtsextremer Aktivist und gilt als das Gesicht der Identitären Bewegung.
Das Team von Correctiv hat durch seine Recherchen auch die Teilnehmer und Inhalte des Treffens ermittelt. Mit dabei waren neben den Genannten unter anderem:
- Roland Hartwig, persönlicher Referent von AfD-Parteichefin Alice Weidel
- Gerrit Huy, Bundestagsabgeordnete der AfD
- Ulrich Siegmund, Fraktionsvorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt
- Tim Krause, Vorsitzender der AfD im Kreis Potsdam
- Simone Baum und Michaela Schneider, beide aus dem Vorstand der Werteunion NRW
- verschiedene Unternehmer und Mediziner
Hauptredner Sellner kam offensichtlich schnell zum Thema. Er nennt es „Remigration“. Sein Ziel ist es, „die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Dabei hat der Österreicher drei Bevölkerungsgruppen im Blick: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und „nicht assimilierte Staatsbürger“. Da die Anwesenden insbesondere bei deutschen Staatsbürgern an der Umsetzbarkeit zweifelten, wurde Sellner noch deutlicher. Man müsse einen „hohen Anpassungsdruck“ auf die Menschen ausüben, zum Beispiel über „maßgeschneiderte Gesetze“.
In seiner Antwort auf die Fragen von Correctiv sagt Gernot Mörig, er haben die Aussagen Sellners anders in Erinnerung. Hätte er solche Aussagen bewusst wahrgenommen, wären sie „nicht ohne Widerspruch von mir geblieben“. Wie beschrieben, bezeichnet er sich aber als „alleiniger Veranstalter“, das heißt er hat ausgesucht, wer eingeladen wird und worum es inhaltlich geht. Und er schrieb von einem Masterplan.
Die rechtsextreme Haltung zieht sich durch das Leben von Gernot Mörig. Er war zum Beispiel „Bundesführer“ (so hieß das wirklich) des „Bundes Heimattreuer Jugend“, in deren Abkürzung sicher nicht zufällig die Buchstaben H und J aufeinanderfolgen. HJ war die Abkürzung für die Hitler-Jugend der NSDAP, immer ausgesprochen als HaJott. Nur wenige Kilometer vom Treffpunkt – dem Landhaus Adlon am Lehnitzsee in Potsdam – entfernt liegt die Villa, in der 1942 führende Nazis bei der Wannseekonferenz die „Endlösung der Judenfrage“ besprachen. Also stellt sich auch in diesem Punkt die Frage: eine zufällig ausgewählte Adresse?
Für die Umsetzung der Ideologie will Mörig offenbar Geld sammeln. Das hatte er in der ersten Einladung deutlich gemacht. Bei dem Treffen in Potsdam soll er darauf hingewiesen haben, dass man Geld auch bar in einem Umschlag dezent seiner Frau Astrid geben könne. Zudem soll er mit den Namen verschiedener Unternehmer geworben haben, die bereit sein, das Netzwerk zu unterstützen. Einer von ihnen trägt einen berühmten Namen und war in Potsdam dabei: Alexander von Bismarck, Nachfahre des früheren Reichskanzlers.
Ich habe gestern versucht, Gernot Möhrig zu erreichen. Unter der mir bekannten Handynummer ging er nicht ran. Aber die Nachricht, die ich ihm hinterließ, hat er beantwortet: Auf Anraten seines Anwalts lehne er jede Stellungnahme ab, da „sehr viel Halbwahrheiten, Unwahrheiten und Tatsachen gemischt wurden“.