Sahra Wagenknecht bei VierNull: Kanzlerkandidatur im Visier
Sahra Wagenknecht ist gestählt durch hunderte von Interviews und Talk-Shows. Vor allem in den vergangenen Tagen, seit sie die Gründung ihrer neuen Partei in Berlin verkündete, hat sie in zig Mikros gesprochen und stand vor zahlreichen Kameras. Das ist nicht neu für sie, seit Jahren ist sie wie ein Komet im politischen Universum unterwegs, leuchtet mal stärker, mal schwächer. Nun ist sie präsent wie nie zuvor, strahlt dennoch Ruhe aus und scheint resistent gegen Fragen und Anwürfe.
Dieser Eindruck ist live noch stärker als auf dem Bildschirm. Auftritt Sahra Wagenknecht bei ZweiEins, unserem neuen Live-Talk-Format in Düsseldorf: Beherrscht, meist unbewegtes Gesicht, wacher, prüfender Blick, ein kurzes, freundliches Lächeln. Schnell mustert sie die Menschen, nimmt wahr, wo sie gerade ist. Die üppig dekorierte Halle des SetJet an der Wiesenstraße im Stadtteil Heerdt gefällt ihr. Eindeutig: Politisch und auch sonst prominent zu sein, ist etwas, das sie zweifellos beherrscht. Ob ihr Auftritt gut eingespielt, Routine oder einfach nur Talent ist – niemand weiß es.
Doch dann gibt es da eine Frage, mit der sie nicht gerechnet hat: „Sind Sie Vegetarierin?“. Für Sekunden ist eine Irritation spürbar, und daraus folgt eine nicht eingeübte Antwort: „Nein, wirke ich so?“ Dass diese politisch nicht ganz korrekt ist, fällt ihr in derselben Sekunde ein, und sie versucht den Fauxpas zu relativieren. Und zwar so: Sie kenne auch sympathische Vegetarier. Noch mehr Lacher.
Den Menschen Sahra Wagenknecht jenseits der Politik darstellen – die Idee unseres Talks ZweiEins geht auf. 150 Gäste im Saal hören aufmerksam zu, als sie über privates Leben erzählt. Lange Radtouren im heimischen Saarland, Frühstück mit Ehemann Oskar Lafontaine, mit Baguette eines Bäckers von der nahe gelegenen deutsch-französischen Grenze.
An diesem Abend erzählt die 54-Jährige einiges Persönliches, auch über ihre Kindheit und Jugend in der DDR. Die hat sie vor allem in den letzten Jahren vor dem Fall der Mauer als Staat empfunden, der eben nicht den Idealen des Sozialismus entsprach, sondern vieles falsch machte. Diese Skepsis, offenbar auch offen geäußert, hat ihr Ärger eingebracht. Kritik sei unerwünscht gewesen, egal von welcher Seite. Also auch von ihr, der überzeugten Sozialistin. Ein Studienplatz wurde ihr daher verweigert. Dass sie im März 1989 noch in die SED eingetreten ist, begründet sie mit der seinerzeit gehegten Hoffnung, diese Partei, die DDR womöglich mit-reformieren zu können. Ganz klar: Schon damals wollte sie gestalten und verändern. Zum Besseren – nach ihrer Definition.
Das hat sich bis heute nicht verändert: Aus ihrer langjährigen politischen Heimat, der Linken, hat sie sich am Ende selbst vertrieben. Die internen Machtkämpfe, die sie hätte führen müssen, um dort ihre Vorstellungen durchzusetzen, diese Kämpfe wollte sie nicht angehen, keine Kraft dafür nutzlos verwenden, zumal ein Sieg keineswegs sicher gewesen wäre. Also tat sie das, was aus ihrer Sicht bei einer kaputten Beziehung folgerichtig ist: Sie trennte sich.
Und ging eine neue Beziehung ein. Die läuft vorerst unter dem Namen BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) – und wird nach der Bundestagswahl 2025 einen anderen Namen bekommen, wenn es diesen Wiedererkennungseffekt nicht mehr braucht. Dann wird man auch Farbe bekennen. Wie, ist noch offen. Blau hätte sie gern gehabt, aber da war die AfD schneller. Mit dieser Partei will sie auf keinen Fall kooperieren, und sieht am ehesten bei der SPD ein Potenzial für eine Zusammenarbeit.
Spätestens hier fällt auf, wie sich ihre Stimme verändert. Spricht sie über Persönliches, klingt sie sanft und weich. Aber bei Themen wie den wirtschaftlichen Problemen des Landes, soziale Ungerechtigkeit und vor allem bei den Fragen nach ihrem Umgang mit dem Ukraine-Krieg verschärft sich der Ton. Es kommt Schneid in den Klang.
Der Umgang mit der politischen Konkurrenz ist für BSW ein zentrales Thema. Nach der Europawahl stehen dieses Jahr die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an. In allen drei Bundesländern werden hohe Stimmenanteile für die AfD erwartet, es könnte daher passieren, dass das BSW mit seinen Sitzen gebraucht wird, um eine Regierungsmehrheit zu bilden. Am größten sind die Chancen aus Wagenknechts Sicht in Thüringen und Sachsen.
Angesichts der Werte des ZDF-Politbarometers vom 12. Januar (vier Prozent der Befragten wollen auf jeden Fall BSW wählten, 17 Prozent sehr wahrscheinlich) ist Wagenknecht einerseits optimistisch, andererseits zurückhaltend. Sie weiß um schnell drehende Stimmungslagen. Daher zögert sie bei der Frage nach einer Kanzlerkandidatur, legt sich aber mit einem Seitenhieb auf die schwache SPD schließlich fest: Die SPD würde mit 13 Prozent in den Umfragen einen Kanzlerkandidaten aufstellen. Steht das BSW nächstes Jahr auch bei 13 Prozent, werde man ebenfalls einen Kandidaten präsentieren.
Wagenknecht gendert nicht, aber in diesem Fall hätte sie hinten ein -in anhängen können: Dass sie diese Person sein wird, dürfte keiner bezweifeln. Am wenigsten sie selbst.
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