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Vier Parteispitzen, ein Problem: Zu weit weg vom echten Leben

Die sechs Vorsitzenden von CDU, Grünen, SPD und FDP arbeiten alle im Bundes- und Landtag oder in der Stadtverwaltung. Warum das schwierig ist und was man dagegen tun könnte, schreibe ich in dieser Betrachtung.
Veröffentlicht am 13. März 2023
Parteivorsitzende Düsseldorf
Die Vorsitzenden der vier größten Düsseldorfer Parteien (von oben links im Uhrzeigersinn): Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Annika Stöfer und Oliver Schreiber (SPD), Thomas Jarzombek (CDU) sowie frisch gewählt Sophie Karow und Christian Fritsch (Grüne). Foto: Andreas Endermann

Christian Fritsch hat einen interessanten Lebenslauf: Er ist gelernter Konditor und hat auf dem zweiten Bildungsweg Abitur gemacht. Politisch war er zunächst bei den Grünen aktiv, dann von 2007 bis 2018 in der SPD, bevor er in seine alte Partei zurückkehrte, deren Kreisvorsitzender er nun ist. Die Düsseldorfer Grünen haben ihn und Sophie Karow am Wochenende an ihre Spitze gewählt. So ungewöhnlich der Lebenslauf von Christian Fritsch über weite Strecken erscheint, so gängig ist der jüngste berufliche Eintrag: Seit 2016 arbeitet er beim Land. Das gilt auch für die Co-Vorsitzende. Sophie Karow ist seit Juni 2022 Mitarbeiterin im NRW-Parlament.

Demnach sind alle sechs Chefinnen und Chefs der vier größten Düsseldorfer Parteien hauptberuflich in Politik und Verwaltung tätig: Thomas Jarzombek (CDU) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) sind Abgeordnete im Deutschen Bundestag, Annika Stöfer und Oliver Schreiber (beide SPD) arbeiten im Kommunalen Integrationszentrum der Stadtverwaltung beziehungsweise als Referent für Wohnraumförderung im NRW-Bauministerium – und die beiden neuen Vorsitzenden der Grünen eben wie beschrieben beim Land.

Warum ist das so?

Der Befund ist eindeutig: Wer sich an hervorgehobener Stelle in der Partei oder im Stadtrat engagiert, ist meist bei einer staatlichen Stelle beschäftigt. Spricht man mit Politiker:innen darüber, warum dies so ist, hört man in der Regel eine Gegenfrage: Wie sollte ich das denn sonst machen?

Übersetzt bedeutet das: Wer einen normalen Job hat, besitzt nicht genug Möglichkeiten, um sich intensiv politisch zu engagieren. Arbeitgeber:innen in der Privatwirtschaft können oder wollen engagierte Mitarbeitende oft nicht in dem Maße freistellen, wie es die Termine in Vorstand und Fachgruppen, Unterbezirken und Ortsverbänden erfordert. Daraus folgt zweierlei:

  1. In die Spitzen-Positionen der Parteien kommen auf lokaler Ebene vor allem Menschen, die im Bundes- und Landtag oder in einem Ministerium tätig sind.
  2. Trifft dies (noch) nicht zu, wenn jemand für besondere Posten in Betracht kommt, dann sucht man für sie oder ihn einen Job im öffentlichen Dienst, damit sie oder er die Aufgabe auch tatsächlich übernehmen kann.

Warum ist das ein Problem?

Die Kombination aus politisch geprägtem Beruf und Spitzenposten in einer hiesigen Partei bringt zunächst einmal einen großen Vorteil mit sich: Wenn man weiß, wie Entscheidungsprozesse laufen, wen man wofür anrufen muss und woher man in den gewaltigen Apparaten verlässliche Informationen bekommt, hilft das bei der Arbeit für die Partei sehr.

Es ist also sogar politisch klug, wenn mindestens eine Person im Vorstand diese Erfahrung und Kontakte mitbringt. Zum Problem wird es aber, wenn die Parteispitze ausschließlich mit solchen Personen besetzt ist. Denn dann sind alle Beteiligten Teil einer Blase. Sie haben dieselben Themen, Probleme und Rituale. Sie befinden sich in einem mindestens ziemlich sicheren Arbeitsverhältnis mit einem guten Einkommen und ganz überwiegend akademisch geprägten Kolleginnen und Kollegen.

In einer solchen Blase ist es schwierig zu bemerken, dass man sich mit bestimmten Themen überhaupt nicht beschäftigt. Die Beteiligten bestätigen sich wechselseitig in ihrer Wahrnehmung, weil niemand andere Themen, Probleme und Rituale anspricht. Alle reden über dieselben Dinge – und zugleich niemand über die Fragen, die für einen wesentlichen Teil der Bevölkerung alltäglich und relevant sind. Dazu zählen zum Beispiel die Arbeitsbedingungen in Unternehmen, Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder hohe Mieten und Energiepreise. Wenn Düsseldorfer Spitzenpolitiker:innen über solche Punkte sprechen, verfallen sie erschütternd oft in Klischees.

So bitter es klingt, aber es wäre schon ein Fortschritt, wenn die hohen Repräsentant:innen der Parteien bei der Rheinbahn, den Stadtwerken oder der Sparkasse arbeiten würden. Das wäre im Vergleich mit Politik und Verwaltung ein anderer Arbeitsalltag, einer, der mit dem vieler Bürger:innen vergleichbar wäre.

Das ist doppelt bedauerlich: Die Themen der Betroffenen werden nicht aus eigener Anschauung nachvollzogen und daher schlechter vertreten. Zudem wirken die Spitzenpositionen nicht erreichbar für andere Bevölkerungsgruppen. Vielmehr scheint es, dass man nur mit bestimmten Voraussetzungen für die Aufgaben in Frage kommt und dass diejenigen, die die Parteien vertreten, lieber unter sich bleiben möchten.

Wie kann man das ändern?

Ich möchte nicht bei der Kritik stehen bleiben, sondern vier Vorschläge machen, wie die Parteien die Situationen verbessern könnten:

1. Andere Uhrzeiten: Zu der beschriebenen Gruppe von Führungspersonen haben sich Strukturen entwickelt, die zu deren Alltag passen. Ein Beispiel dafür sind die Uhrzeiten. Wenn Gremien um 16 oder 17 Uhr tagen, schließt das einen Teil der Bürger:innen aus – vor allem, wenn deren Arbeitgeber sie nicht freistellen. Die Parteien müssen schauen, welche Zeiten für potenziell Engagierte in Betracht kommen.

2. Echte Entlastungen: Selbst wenn die Uhrzeiten zum Feierabend passen, heißt das nicht, dass interessierte Personen frei von Herausforderungen sind. Ein einfaches Beispiel: Jemand erscheint für einen wichtigen Posten in der Partei interessant, die Person muss aber nach der Arbeit ihre Kinder aus der Betreuung holen und beaufsichtigen. In solch einem Fall könnte es helfen, wenn die Parteien anbieten, den Babysitter zu bezahlen.

3. Anreize für Arbeitgeber: Dass Chefinnen und Chefs jemanden nicht für die politische Arbeit so freistellen, wie es erforderlich wäre, ist ebenso bedauerlich wie in sich logisch. Hier würden Gespräche mit den Vorgesetzten helfen, um herauszufinden, welche Anreize sie benötigen, um das Engagement mehr zu unterstützen.

4. Feste Posten für „Externe“: Die Parteien könnten sich angesichts des Befunds, der auch auf die Besetzung der Ratsfraktionen zutrifft, freiwillig verpflichten, ihre Gremien gemischter zu besetzen. Wenn ein Vorstandsposten mit jemandem besetzt werden muss, der nicht in Politik oder Verwaltung arbeitet, werden die Parteien anders suchen – und dabei vielleicht einige der drei zuvor genannten Punkte praktisch umsetzen.


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