Volt: Die neue politische Kraft im Stadtzentrum
Die erste Gemeinsamkeit ist schnell gefunden. Gottfried Panhaus und Anne Hahn kommen beide mit dem Fahrrad zum Treffpunkt vor der bunt bemalten Fassade des Bilker Bunkers. Und sie sind beide unzufrieden mit den Abstellmöglichkeiten dort. „Da hätten wir doch schon ein erstes lokales Thema“, sagt Panhaus und lacht. Sie sind hier, um an diesem Nachmittag über ihre Partei, Volt, zu sprechen und deren Erfolge bei der Europawahl. Denn die war nirgends in Düsseldorf so stark wie hier, am Rand von Bilk.
11,8 Prozent der Urnenwähler im Wahlbezirk 3602 setzten ihr Kreuz bei dieser paneuropäischen Kleinpartei. Bei den Stadtteilen lag das nahe Friedrichstadt mit 8,6 Prozent vorne. Überhaupt waren es die innerstädtischen Bezirke 1, 2 und 3, in denen die Partei punkten konnte. Ein Großteil der knapp 13.000 Volt-Wähler leben dort. Stadtweit reichte es zu rund 4,8 Prozent der Stimmen. Warum das innerstädtische Gefälle so groß ist und wofür Volt eigentlich steht, will ich bei einem Spaziergang durch ihre Hochburg herausfinden.
Panhaus und Hahn sind nicht nur beide mit dem Fahrrad unterwegs, sie sind auch beide ziemlich zufrieden. „Mit dem Ergebnis sind wir da, wo Volt hingehört“, sagt Panhaus. Bei der Landtags- und Bundestagswahl hatte die Partei 2021 und 2022 einige Enttäuschungen erlebt, auch wegen der Fünf-Prozent-Hürde, die wohl so manchen Wähler abschreckte. „Jetzt einfach mal wahrgenommen werden, sogar einen eigenen Balken in den Umfragen zu haben“ sei schon wichtig gewesen, betont er, während wir uns an der Düssel entlang langsam durch den Wahlbezirk bewegen.
Gottfried Panhaus, 58 Jahre alt, Strohhut und kleinmaschig bunt gemustertes Hemd, ist der bislang höchste kommunale Funktionsträger bei Volt. Er ist das einzige Mitglied der Partei im Düsseldorfer Stadtrat und dort Teil der SPD-Fraktion. Der zweiter ursprünglicher Volt-Ratsherr, Mark Schenk, ist gleich ganz zu den Sozialdemokraten gewechselt. Panhaus sitzt in vier Ausschüssen und ist stellvertretender Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses. Dort habe er viel Hintergrund-Wissen erlangen können, sagt er. Das helfe bestimmt auch im nächsten Wahlkampf.
Anne Hahn, 44 Jahre alt, weißes Oberteil und blaue Jeansjacke, ist erst nach der vergangenen Kommunalwahl Volt-Mitglied geworden. Sie kommt gerade von ihrer Willkommensklasse mit ukrainischen Geflüchteten, denen sie Deutsch beibringt. Am Bilker Bunker hatte sie uns daher auch sofort in den Innenhof geführt, um über die dortigen Kreativangebote für Jugendliche zu berichten. „Das kennen noch viel zu wenige“, hatte sie dazu gesagt. Hahn ist seit vergangenem Herbst bürgerschaftliches Mitglied der SPD-Fraktion und kann so an deren Sitzungen teilnehmen.
An der Düssel sprechen wir darüber, warum sich beide ausgerechnet bei Volt engagieren. Panhaus war vor langer Zeit CDU-Mitglied, wie er mit einem verlegenen Lachen sagt, Hahn stand nur einmal kurz vor einem dann doch nie erfolgten SPD-Eintritt. Es ist vor allem der paneuropäische Ansatz, der sie von Volt überzeugt hat. Die Partei trat bei der Europawahl mit einem länderübergreifenden Wahlprogramm an, träumt von einer „europäischen Republik“. Panhaus erwähnt Trump-Wahl und Brexit als politische Erweckungsmomente, heute gefalle ihm bei seiner Partei vor allem das Dynamische und Bunte. Auch neue Ideen zur Digitalisierung spielten da eine wichtige Rolle. „Das ist vielleicht manchmal ein wenig chaotisch, aber im Kern auch authentisch.“
Insgesamt, schätzen beide, gibt es um die 20 bis 30 Volt-Aktive in der Stadt. Allein nach der Europawahl hätten sich nun 25 neue Interessenten bei den Düsseldorfern gemeldet. Die meisten Aktiven wohnen genau dort, wo viel Volt gewählt wird: in Friedrichstadt und den umliegenden Teilen des Stadtbezirks 3. Dort seien die Menschen besonders international, umweltbewusst und zukunftsgewandt, sagt Hahn. Dazu wurde in den Vierteln auch besonders viel plakatiert, der Platz vor den Bilker Arcaden, genau zwischen den Hochburgen, war ein beliebter Ort für die Wahlkampfstände. Ein Ort, an dem sich häufig frustrierte Grünen-Wähler bei Volt outeten. „Das hat sicherlich eine Rolle gespielt“, sagt Panhaus.
Nach einer Weile verlassen wir den räumlich ziemlich begrenzten Rekord-Wahlbezirk in Bilk für einen kleinen Abstecher ins benachbarte Unterbilk. Anne Hahn, die auch als Stadtführerin arbeitet, will mir dort das Bachplätzchen zeigen. Das sei ein gutes Beispiel dafür, wie sich Volt Innenstadtverschönerung vorstelle. Durch die Begrünung des Platzes und die im vergangenen Jahr geschaffene Mobilitätsstation sei die Umgebung enorm aufgewertet worden und es gebe noch einen wichtigen weiteren Aspekt dabei. „Hier ist es super einfach, den Leuten zu sagen, wir brauchen gar kein Auto in der Stadt.“
Beim Spaziergang wird schnell klar, wen Volt anspricht und wen eben nicht. Es sind vor allem die Menschen in den guten Wohnlagen der Innenstadt, die die Partei gewählt haben. Dort wo die Bevölkerung eher jung, international, gebildet und sozial abgesichert ist. Im Stadtbezirk 10 gaben hingegen nur rund zwei Prozent der Wähler Volt ihre Stimme. Am Bundesschnitt von 2,6 Prozent und anderen Großstadt-Hochburgen wie Köln mit mehr als sieben Prozent Stimmanteil lässt sich erkennen, dass die Partei in manch ländlichem Raum eine noch kleinere Rolle spielt. Gottfried Panhaus kennt diese Probleme. Volt kämpft sowohl mit einem Stadt-Land-Gefälle als auch damit, Wählerschichten jenseits der urbanen Eliten zu erreichen.
Passend dazu ist kurz nach der Europawahl eine Polemik in der Taz erschienen. Matthias Kalle nennt Volt darin eine „Expat-Schnösel-Partei“, die für Europa sei, um ohne Ausweiszeigen mit Papas Tesla pünktlich zum Semesterauftakt in Aix-en-Provence zu sein. Außerdem geht es um den Namen des deutschen Volt-Spitzenkandidaten Damian Hieronymus Johannes Freiherr von Boeselager und dessen ehemaligen Job bei der Unternehmungsberatung McKinsey. Kalle, so schreibt er, habe „große Bauchschmerzen“, solch einen Mann zu wählen.
Der Text ist haltlos, oberflächlich, übertrieben, ungerecht und gemein, das schreibt der Autor selbst. Er ist aber ein Anhaltspunkt, warum es Volt in Stadtteilen wie Garath schwer hat. Panhaus und Hahn kennen den Text und lachen erst einmal, als ich sie auf unserem Weg durch den Florapark darauf anspreche. Sie verteidigen ihren Spitzenkandidaten, der seinen Titel selbst nie offiziell nutze. Aber sie sehen den Punkt. „Es gibt eine bestimmte Zielgruppe, die sich leichter damit tut, für ein politisches Amt auf Einkommen und Karriere zu verzichten“, sagt Panhaus. Gerade als kleine Europa-Partei wie Volt erreiche man zuerst diejenigen, die sich ein solches Experiment auch leisten können. Er selbst ist gelernter Chemiker und arbeitet heute als freiberuflicher Unternehmensberater.
Im Europawahlkampf hat die Partei ihre Ressourcen auf die Innenstadt konzentriert. In den Außenbezirken gab es keine Wahlkampfstände. „Wir haben das wirklich auf dem Schirm. Das ist ein Punkt, bei dem wir auch selber denken: Genau das müssten wir mal machen“, sagt Panhaus. Vor der Kommunalwahl hatten ihn die Regularien hingegen an den Stadtrand gezwungen. Aus jedem der 41 Wahlkreise brauchte Volt zwölf Unterschriften, um überall wählbar zu sein. Die letzten kamen aus Wittlaer, sagt er. „Subjektiv am schwierigsten war es aber in Hassels und Garath.“ Spannend sei es gewesen, Einblicke in die anderen Lebensrealitäten dort zu erhalten.
Ein Erfolgsfaktor für Volt war sicherlich auch die Plakatkampagne. Mit Slogans wie „Sei kein Arschloch“ fiel die Partei auf – positiv wie negativ. „Ich bin viel angesprochen und angeschrien worden“, sagt Anne Hahn. Aufmerksamkeit war ihnen damit gewiss. In den sozialen Medien häuften sich die Anfragen von Menschen, die gerne ein eigenes Exemplar für zu Hause wollten. Im Kommunalwahlkampf soll die Strategie laut Hahn allerdings angepasst werden. „Wir müssen wirklich lokale Themen anpacken und die dann cool formuliert aufs Plakat bringen.“
Als wir wieder am Bilker Bunker angekommen sind, will ich von den beiden noch wissen, was ihre Hoffnungen fürs kommende Jahr sind. Kommunal sehen sie wieder das Potenzial für fünf Prozent, im Bund dürfte es etwas schwieriger werden. „Wichtig ist es, mit einem möglichst breit aufgestellten Team in Fraktionsstärke in den Stadtrat zu kommen“, sagt Panhaus. Hahn hofft dabei auf möglichst viele Frauen in den Ausschüssen und Bezirksvertretungen.
Einen Aspekt betonen sie am Ende besonders. Gerade nach dieser Wahl, bei der neben Volt vor allem die radikale Rechte Stimmen hinzugewonnen hat. „Als internationale Partei ist es für uns wichtig, das Positive von Migration zu betonen“, sagt Hahn. Und diese als Chance, nicht als Bedrohung anzusehen. Das könnte zur vielleicht wichtigsten Aufgabe für Volt werden.