Warum die Bayern-Wahl wichtig für die Zukunft von Hendrik Wüst ist
Hendrik Wüst ist gerade in Mode. Der „Spiegel“ nennt ihn einen „neuen Rivalen“ von Parteichef Friedrich Merz. Die „F.A.Z.“ beschreibt, wie Hendrik Wüst mithilfe eines NRW-Staatspreises für Angela Merkel gegen den CDU-Vorsitzenden stichelt. Und Moritz Küpper vom Deutschlandfunk hat gleich ein ganzes Buch über den „strahlenden Schattenmann“ verfasst (das im Herbst erscheint) und sich auch deshalb in seinem „Hauptstadtbrief“ ausführlich mit ihm beschäftigt.
Die Freude an der Spekulation, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident könnte Kanzlerkandidat der Union 2025 werden, ist nicht zu übersehen. Meines Erachtens geht diese Diskussion aber überhaupt nur in eine entscheidende Phase, wenn die Landtagswahl in Bayern am 8. Oktober das für Hendrik Wüst passende Ergebnis liefert.
Die Lage nach einem Sieg von Markus Söder
Der bayerische Ministerpräsident ist flexibel in der Interpretation von Ergebnissen, insbesondere zu seinen eigenen Gunsten. Der Spielraum dafür ist mit Blick auf den 8. Oktober günstig. Bei der vorherigen Landtagswahl 2018 holte die CSU 37,2 Prozent der Stimmen, das bedeutete damals einen Verlust von rund zehn Prozent. Ein weiterer Absturz ist im südlichen Bundesland angesichts der vielen Hochburgen insbesondere in ländlichen Regionen schwer vorstellbar. Eine Rückkehr zu einem Wert, der mit einer Vier beginnt, scheint dagegen im Bereich des Gutmöglichen zu liegen. Die jüngsten Umfragen sehen die CSU zwischen 38 und 42 Prozent. Markus Söder wäre dann der Mann, der für die Union inzwischen selten gewordene Ergebnisse erzielt und der das Maximum aus dem Potential der Partei macht.
Ein solcher Zugewinn wäre zudem mit einem sehr passenden Timing verbunden. Markus Söder könnte noch einmal mehr als ein Jahr lang demonstrieren, wie gerne er bayerischer Ministerpräsident ist – und dann nach gut sieben Jahren im Amt Anfang 2025 erklären, dass er Bayern nun in Berlin vertreten möchte. Der Bundestag wird im Spätsommer oder Herbst 2025 gewählt.
Bringt das Wahlergebnis vom 8. Oktober Markus Söder wieder ins Kanzlerkandidaten-Rennen (aus dem er sich Anfang Mai bei „Markus Lanz“ verabschiedet hat: „Ich stehe da nicht zur Verfügung“), dann träfen bei der Union auf Bundesebene zwei politische Schwergewichte auf einander: Friedrich Merz und Markus Söder. Sich in dieses Duell einzumischen, kann man Hendrik Wüst angesichts der Erfahrung der beiden anderen und ihres Hangs zu gesunder Rücksichtslosigkeit nicht gut raten. Die Gefahr, sich in diesen Auseinandersetzungen als möglicher Kandidat zu verbrennen, ist hoch. Für den Mann aus NRW gäbe es dann vor allem zwei Optionen:
- Er wartet den Ausgang des unions-internen Duells ab und hofft, dass der Sieger nach der Bundestagwahl nicht Kanzler wird. Dann hätte Hendrik Wüst 2029 alle Möglichkeiten und wäre immer noch erst 54 Jahre alt.
- Friedrich Merz könnte erkennen, dass er Markus Söder unterliegt (aus Umfragen wie dieser) und sich deshalb besser hinter einen anderen Kandidaten stellt. Dafür wäre der NRW-Ministerpräsident eine aussichtsreiche Wahl – es setzt aber sehr viel Einsicht und Zurückhaltung bei Friedrich Merz voraus.
Die Lage nach einer Niederlage von Markus Söder
Mit jedem Prozentpunkt, den die CSU am 8. Oktober unter 37 Prozent bleibt, schwinden die Möglichkeiten von Markus Söder. Ganz nah am vorherigen Ergebnis könnte er noch einen übermächtigen Bundestrend verantwortlich machen, aber bei Werten um 35 Prozent bliebe wenig Glanz, der ihn in den Augen der Gesamt-Union zu einem aussichtsreichen Kanzlerkandidaten macht.
Dann oder, wenn Markus Söder seinen Verzicht dauerhaft ernstmeint, wäre zunächst der Weg frei für Friedrich Merz – aber auch für Hendrik Wüst, etwas zu riskieren. Der Parteichef wird im Wahljahr 70, seine Sympathiewerte sind überschaubar. Selbst in Phasen, in denen die Union starke Umfragewerte hat, liegt er im Politbarometer hinter Bundeskanzler Olaf Scholz. Die Partei steht gut da, ihr Vorsitzender nicht, obwohl er sie wieder zu Umfragewerten über 30 Prozent geführt hat.
Hendrik Wüst könnte sich im Kontrast dazu als Kandidat präsentieren, der jüngere und weibliche Wähler für die Union gewinnen kann, ohne ältere und konservative zu verschrecken. Das starke Wahlergebnis von NRW 2022 wäre sein Beweisstück. Dass er in seinem Bundesland eine schwarz-grüne Regierung führt, wäre ein weiteres Argument für einen modernen Kandidaten.
Auf den Fall, dass es sich lohnen könnte, etwas zu riskieren, bereitet sich Hendrik Wüst offenbar vor. Das belegen verschiedene Sticheleien gegen Friedrich Merz. Sie wirken alle noch ganz harmlos, sind aber durchaus ernste Tests, wie die Union reagiert, wer dem Chef zur Seite springt und wer schweigt oder schmunzelt.
Andere Bewerber:innen sind derzeit kaum zu sehen. Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, wirkt zu streberhaft, Boris Rhein aus Hessen ist selbst in seinem Bundesland nicht überragend bekannt – und muss auch erstmal die nächste Landtagswahl gewinnen. Michael Kretschmer aus Sachsen und Reiner Haselhoff aus Sachsen-Anhalt gelten ebenfalls nicht als Politiker, die mit guten Argumenten in das Duell mit Friedrich Merz ziehen würden.
Die Folgen für NRW
Hendrik Wüst wird sich aus den beschriebenen Gründen bedeckt halten. Er muss nicht mit großen politischen Erfolgen punkten, sondern seinen Ruf als (relativ) junger Sympathieträger pflegen. Das bedeutet, er darf vor allem keine Fehler machen. Dass er diese Kunst auf hohem Niveau beherrscht, hat er unter anderem während der Proteste in Lützerath bewiesen, die ihm kaum einen Kratzer zugefügt haben, oder bei der Abi-Panne. Er entschuldigte sich für die Probleme bei den Abschlussklausuren und sagte, so etwas dürfe nicht passieren, ganz gleich, woran es gelegen habe. Wenn man Hendrik Wüst mit einem Satz beschreiben wollte, wäre dieser ein wirklich sehr geeignetes Beispiel.
Moritz Küpper, der das erwähnte Buch über Hendrik Wüst schreibt, fasst es so zusammen: „Wer langjährige Mitstreiter, Weggefährten, aber auch Gegner nach dem politischen Überzeugungskern fragt, erzeugt oft eine längere Pause. Gutes Regieren, lautet danach die Antwort.“
Die größte Gefahr geht für Hendrik Wüst im Moment von der maroden A45-Talbrücke im Sauerland aus. Die Entscheidung über Sanierung oder Neubau beziehungsweise die Frage nach der Priorisierung von Projekten betreffen seine Zeit als Verkehrsminister. Der Untersuchungsausschuss des Landtags zu dem Thema wird ihn eine ganze Weile begleiten.
Mittelfristige Folge für NRW wäre die Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger in der Staatskanzlei. Aktuell erscheint Kommunalministerin Ina Scharrenbach als aussichtsreichste Kandidatin. Zu den ungeschriebenen Aufgaben ihres Amts zählt das Verteilen von Schecks im ganzen Land, wo es sich deshalb und wegen ihrer enormen Willenshärte viele nicht mit ihr verscherzen möchten.
Da Hendrik Wüst und Ina Scharrenbach nicht als tief freundschaftlich verbunden gelten, wird der NRW-Ministerpräsident darauf achten müssen, eigene Leute in wichtigen Positionen zu haben. Wie man das macht, hat er bereits geübt, als er den Vorsitz der Mittelstandsvereinigung der CDU abgeben musste. Nachfolgerin wurde die Düsseldorfer Landtagsabgeordnete Angela Erwin, die zum Kreis der Vertrauten zählt und auch für die möglichen Entwicklungen ein passendes Ziel hat. Das findet man in der Überschrift eines Textes meines Kollegen Hans Onkelbach: Angela Erwin hat den Job des NRW-Innenministers im Visier.
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