Warum ich die SPD vermisse (Teil 2): Die Gegenwart

Nach der Wahl von 2014, die der bis dato in Düsseldorf völlig unbekannte Thomas Geisel gewann, war die SPD wie in einem Taumel. Wie besoffen vom überraschenden Erfolg des Außenseiters, sah sie sich wieder am vermeintlich angestammten Platz, nämlich vorn. Dass sie dort keineswegs und ihre grundsätzlichen Probleme nach wie vor ungelöst waren, wollten oder konnten die Genossen nicht wahrhaben. Die Chance auf einen echten Neuanfang wurde vertan. Dabei waren die Jahre mit oder gegen Geisel keineswegs eine Zeit ohne politische Erfolge. Seine OB-Dialoge in den Stadtteilen kamen meist gut an. Der Rathaus-Chef war da und hörte sich an, was die Leute bedrückte. Oder das Beispiel Schulsanierung: Die SPD schaffte es, ein umfassendes Programm zur Sanierung der Schulen auf den Weg zu bringen. Es läuft immer noch, und am Ende wird über eine Milliarde Euro in die Schulen investiert worden sein. Aber dieser Erfolg wurde bei den Bürgern nicht auf der Plus-Seite des SPD-Kontos verbucht. Mangelnde, falsche Kommunikation war der Grund, von Experten schon frühzeitig erkannt. Es nutzt nichts, den Oberbürgermeister auf Grundsteine klopfen und sanierte Schulen eröffnen zu lassen. Man hätte dazu auch eine Story erzählen müssen, den Medien Futter liefern, den Rat von Profis annehmen sollen und sie nicht verprellen dürfen – und vor allem verhindern müssen, dass auf der Negativ-Seite die plakativeren Neuigkeiten geboten wurden. Die lieferte Geisel reichlich. Unter dem Druck eines drohenden Fahrverbots für Diesel richtete er Umweltspuren ein, ohne den plötzlich drangsalierten Autofahrern Alternativen anzubieten. Die an sich richtige und unbestreitbar notwendige Idee, diese Masse von täglich einströmenden Autos zu verkleinern, wurde angepackt, ohne eine Lösung zu haben. Und völlig egal, ob man sich dem Druck der Deutschen Umwelthilfe (DUH) oder anderen Vorgaben beugte, also nicht allein verantwortlich war – das Debakel klebte an Geisel und der SPD. Komischerweise nicht an den Grünen, eigentlich den Befürwortern solcher Lösungen. Anfangs hatten sie dem Projekt zugestimmt, blieben in dem gesamten Streit um die Umweltspur aber eher still und sprachen sich schließlich dagegen aus. Der Schwarze Peter landete bei der SPD und dem Oberbürgermeister. Warum Geisel sich hinstellte, um einen Pop-up-Radweg zu eröffnen und damit weiteres Verkehrschaos zu verursachen, ist ein bis heute ungeklärter Sachverhalt. Eine Entscheidung des Verkehrsausschusses schrieb der Verwaltung vor, ein solches Projekt zu realisieren. Aber sie zwang den OB nicht dazu, das persönlich zu tun. Die Bilder waren verheerend. Dennoch glaubte man bei der SPD bis zur Wahl 2020, der Amtsinhaber werde es richten, die Wahl gewinnen, seinen Vorteil als Titelverteidiger nutzen. Dass sich die Stimmung längst gedreht hatte gegen den Newcomer von 2014, dass er im Außenauftritt Fehler gemacht hatte, zu häufig wegen spürbar aufgesetzten Verhaltens einen diffusen, wenig authentischen Eindruck hinterließ, man wollte es nicht wahrhaben und wähnte sich sicher. Um so schockierender das Ergebnis der Wahl im September 2020: Acht Prozentpunkte lag Geisel im ersten Wahlgang hinter Herausforderer Stephan Keller (CDU). Bei der Stichwahl kam es noch härter. Geisel verlor krachend mit fast zwölf Prozentpunkten Abstand. Ein klares Ergebnis, keineswegs ein Kopf-an-Kopf-Rennen, und für die SPD musste es wie ein Tiefschlag wirken. Im ersten Wahlgang stimmten bereits 17 Prozent für den Kandidaten der Grünen, knapp 13 für die Kandidatin der FDP, über 30 für den CDU-Bewerber – eine große Mehrheit also klar gegen Geisel. Das bestätigte sich bei der Stichwahl. Aber wo lagen die Gründe? Zwischen SPD und Geisel war und ist bis zuletzt nicht gerade Honeymoon angesagt. Ein Genosse, der sich im Wahlkampf nicht zu seiner Partei bekennt – undenkbar unter früheren SPD-OB. Aber so war es: Geisel trat 2020 ohne SPD-Logo auf. Unter der Hand nörgelte er an seinen Genossen herum. Und die nörgelten zurück. Beratungsresistent sei er, neige zu Alleingängen, sei (der frühere Oberbürgermeister Dirk Elbers lässt grüßen!) kein Teamplayer, habe die Stadt und ihr Lebensgefühl nie wirklich verstanden und wolle nur immer Recht haben. Kenner der gesamten Truppe nannten den in Ellwangen am Jagst geborenen Geisel intern &bdquo;die Maul-Tasche“ – weil: &bdquo;Du siehst was, hast aber keine Ahnung, was drin ist!“ Inzwischen wissen sie es: nichts, was ihnen geholfen hat. Sich mit Geisel wieder auf der Erfolgspur zu sehen, war eine Illusion. Er war nicht die Lösung, sondern ein neues Problem für die eh geplagte SPD der Landeshauptstadt. Was aber nicht nur an ihm lag: Offenbar kam man nicht zusammen. Womöglich war alles ein riesiges Missverständnis. Dass er in einem spektakulären Brief an alle Mitglieder inzwischen seine Fehler eingeräumt hat, ließ es in der Partei nochmals rumoren. Ohne SPD-Logo anzutreten – ein Fehler. Das Video des Frauenverächters Farid Bang? Noch ein Fehler. Pop-up-Radwege, Umweltspuren? Fehler über Fehler. Zur grenzenlosen Verblüffung der Genossen, aber auch Außenstehender, sah Geisel in diesem Schreiben plötzlich alles ein, was ihm vor der Wahl zwar von einigen prophezeit, aber von ihm nicht akzeptiert wurde. Dass die Kluft zwischen der Partei und ihm größer ist als viele ahnten, machte der Brief schockierend deutlich. Und er dokumentierte einmal mehr den beispiellosen Niedergang der Düsseldorfer Sozialdemokratie. Konsequenzen aus dem Brief? Es gab sie nicht. Bis auf einen bei Facebook ausgetragenen Streit – nicht etwa über den Inhalt oder denkbare Lösungen, sondern darum, dass man dieses Schreiben niemals hätte öffentlich machen dürfen. Interner Streit also, aber keine Lösung des grundsätzlichen Problems. Ein alter Parteisoldat, Frajo Göbel, hält seiner Partei seit langem exakt diese Entwicklung vor und kritisiert sie mit großer Härte. In einem Buch (&bdquo;SPD – der Abstieg“) hat der frühere Sozialdezernent Düsseldorfs und langjährige Fraktionsgeschäftsführer seinen Genossen vorgeworfen, sich von der Basis entfernt und die Sorgen der früheren, aber auch einer neuen Klientel nicht zu erkennen. Man setze die falschen Themen und wundere sich, dass die Wähler Richtung AfD oder CDU abwanderten. Er kritisierte die &bdquo;gesellschaftspolitische Einseitigkeit“, spricht von einem &bdquo;Glaubenskrieg mit dem Thema Verkehrswende“. Die Interessen der rund 300 000 täglichen Pendler habe man ignoriert, stattdessen &bdquo;Autofahrer als Gegner betrachtet“. Darin ist er sich mit anderen Beobachtern einig: Während viele Menschen in der Stadt um ihre Wohnung bangten, voller Angst auf die möglichen Folgen der Digitalisierung (für ihren Job) schielten, war die SPD als einstiger Kümmerer nicht im Dienst, sondern machte oben genannte Negativ-Schlagzeilen. Eine Erneuerung, auch personell, fand in dieser Zeit nicht statt. Blass die Gesichter an der Fraktionsspitze, groß die Gruppe jener, die ihre Botschaften noch mit dem buchstäblich kumpelhaften &bdquo;Glück auf“ beendeten. Ohne zu erkennen, dass sie als Profiteure sozialdemokratischer Politik vergangener Jahre längst den Kontakt zu jenen verloren hatten, deren Interessen sie zu verteidigen behaupten. Göbel rechnet seinen Genossen vor, auf Basis aller Wahlberechtigten in Düsseldorf hätten am Ende nur neun Prozent SPD gewählt. Vor allem die &bdquo;kleinen Leute“ habe man in Düsseldorf nicht erreicht. Die seien oft gar nicht erst zur Wahl gegangen. Den ersten Teil dieser Geschichte finden Sie hier, den dritten Teil hier.

Warum ich die SPD vermisse (Teil 2): Die Gegenwart

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