Wie die Linke in Düsseldorf um den Wiedereinzug in den Bundestag kämpft

Für wohl keine zweite Partei ist die Wahl am 23. Februar so schicksalshaft. Unterwegs mit einer neuen linken Generation, im alten Wahlkreis von Sahra Wagenknecht.
Von Marc Latsch (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 5. Februar 2025
Haustürwahlkampf Die Linke, Bundestagswahl 2025, Lisa Schubert und Julia Marmulla Foto: Andreas Endermann
Zu Acht starten die Mitglieder der Linken von der Parteizentrale zum Haustürwahlkampf. Auf ihren roten Westen steht „Niemals alleine, immer gemeinsam“.

Lisa Schubert hat es endlich in den Flur geschafft. Sechs Mal musste sie klingeln, um das Gebäude zu betreten. Erst dann öffnete sich die Haustür. Nun steht sie mit ihrem Clipboard in der Hand und der roten Warnweste über ihrem Wollpulli im Gang und redet mit der Frau, die sie hereingelassen hat. Sie sei krank, entschuldigt die sich, fühle sich nicht nach einem Gespräch. Aber die Linke finde sie gut. „Ich bin auf jeden Fall dafür, dass ihr die fünf Prozent erreicht.“ Als sich die Tür wieder schließt, führt Schubert einen kleinen Freudentanz auf.

Am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. Ein Schicksalstag für alle deutschen Parteien, aber für die Linke noch ein bisschen mehr. Schon 2021 war sie fast gescheitert, nun muss sie auch noch ohne und gegen ihre Ex-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht antreten. Die Linke kämpft in diesem Februar um nicht weniger als ihre Existenz. Ein Kampf, der fast verloren schien. Dass es nun doch wieder Hoffnung gibt, könnte ausgerechnet am Rechtsruck liegen. Und daran, dass im Wahlkreis 106 statt Sahra Wagenknecht nun jemand wie Lisa Schubert antritt.

Haustürwahlkampf Die Linke, Bundestagswahl 2025, Lisa Schubert und Julia Marmulla Foto: Andreas Endermann

Zu Acht hatten sie sich zuvor am Konferenztisch im Parteibüro der Linken eingefunden, ihre Taschen gepackt, die Westen mit der Aufschrift „Niemals alleine, immer gemeinsam“ übergezogen und waren zur U-Bahn gelaufen. Auf zum Studierendenwohnheim der HHU. Dorthin, wo die meisten von ihnen und auch ihre Wahlkreiskandidatin Lisa Schubert studieren. Ein schnelles Video vor der Tür, dann in Zweierteams rein ins Gebäude. Vorher mussten sie noch der jungen Frau antworten, die sich in ihrem grauen Bademantel aus dem Fenster gelehnt hatte. „Darf ich mal fragen, was ihr da macht?“, hatte sie gerufen. Und „Ah, geil“ nach dem Outing als wahlkämpfende Linke.

Haustürwahlkampf Die Linke, Bundestagswahl 2025, Lisa Schubert und Julia Marmulla Foto: Andreas Endermann

Lisa Schubert ist in einem kleinen Ort in der Pfalz aufgewachsen. Dort geriet sie in Kontakt mit der Antifa, die gegen Nazi-Aufmärsche demonstrierte, und der Klimabewegung, die sich gegen die Rodung von Waldstücken wie dem Dannenröder Forst einsetzte. Die eher realpolitische Haltung der Grünen hierzu, das sozialdemokratisch geprägte Elternhaus – all das habe dazu geführt, dass nur die Linke als Partei für sie in Frage gekommen sei, sagt sie. „Ich dachte lange, Aktivismus auf der Straße reiche. Jetzt glaube ich, man muss beides machen.“

Schubert wird in der Linken-nahen Studierendengruppe aktiv und tritt nun als 22-Jährige im Süden als Bundestags-Direktkandidatin an. Genau dort, wo Wagenknecht vor acht Jahren der Linken mit 13 Prozent noch einen Düsseldorfer Erststimmenrekord beschert hat. Das und die geteilte Vorliebe für Friedenspolitik und Kapitalismuskritik dürften dann auch schon Schuberts einzige beiden Gemeinsamkeiten mit ihrer prominenten Vorgängerin sein. Angesprochen wird sie auf sie dennoch ständig. „Die einen Leute fragen, hättest du nicht auch zum BSW gehen können? Die anderen fragen, in dem Verein machst du jetzt die Direktkandidatur? Denen erkläre ich dann, dass ich erst Mitglied bin, seitdem sie raus ist.“

Das Studierendenwohnheim ist für Schubert ein Heimspiel. Nach vier Haustürgesprächen, allesamt mit jungen Frauen, hat sie drei potenzielle Wählerinnen getroffen. Nur eine outete sich als überzeugte Grünen-Anhängerin. „Du würdest uns nicht wählen, woran liegt das?“, hatte Schubert sie gefragt, daraufhin Kommunismus-Kritik und einem Plädoyer für gemäßigte Positionen zugehört. Mit einem schüchternen Lächeln im Gesicht hatte sie dennoch hinterhergeschoben: „Ich bin auch Direktkandidatin. Falls du noch wen für ne Erststimme suchst.“ Besser lief es auf der anderen Seite des Innenhofs, wo die Bewohnerin gleich das Gespräch auf den Gaza-Konflikt lenkte. Wenn Deutschland zu kriegerisch und der Kapitalismus zu ungerecht genannt werden, weiß Schubert um ihre Chance auf ein Kreuz.

Haustürwahlkampf Die Linke, Bundestagswahl 2025, Lisa Schubert und Julia Marmulla Foto: Andreas Endermann

Bei der Wahl 2021 wurden Gregor Gysi, Gesine Lötsch und Sören Pellmann zu den Rettern der Linken. Nur weil sie die notwendigen drei Wahlkreise in Berlin und Leipzig direkt gewannen, zog die Partei trotz nur 4,9 Prozent über die Grundmandatsklausel in den Bundestag ein. Auch 2025 ist die „Mission Silberlocke“ die geplante Lebensversicherung. Neben Gysi treten auch Ex-Fraktionschef Dietmar Bartsch und der frühere Thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow in strategisch wichtigen Wahlkreisen an. An der Basis ist die Überzeugung groß, dass Plan A aufgehen wird. Doch auch Plan B wirkt Anfang Februar plötzlich wieder realistisch. Die Partei, die zwischenzeitlich in den Umfragen auf zwei bis drei Prozent abgestürzt war, wird von den ersten Instituten wieder oberhalb der Fünf-Prozent-Hürde gesehen.

Haustürwahlkampf Die Linke, Bundestagswahl 2025, Lisa Schubert und Julia Marmulla Foto: Andreas Endermann

Zwei Tage vor dem Haustürwahlkampf im Studierendenwohnheim sitzt Julia Marmulla in einem Café in der Nähe des Carlsplatz. Marmulla kommt gerade von der Arbeit und muss gleich weiter in den Stadtrat, dessen Mitglied sie ist. Es sind anstrengende Wochen für die junge Mutter, die im nördlichen Bundestagswahlkreis für die Linke als Direktkandidatin antritt. „Ich bin der Überzeugung, dass wir das schaffen“, sagt sie. 60 bis 80 Menschen seien gerade für die Linke in Düsseldorf aktiv. Gerade der Haustürwahlkampf der jungen Studierenden-Gruppe rund um Schubert mache ihr Mut. „Wir haben tatsächlich eine ziemlich gute Mobilisierung.“

Haustürwahlkampf Die Linke, Bundestagswahl 2025, Lisa Schubert und Julia Marmulla Foto: Andreas Endermann
Julia Marmulla

Marmulla, die vor allem in Rom aufgewachsen ist, wurde 2018 Mitglied der Linken. Nach der Rückkehr nach Deutschland habe sie erst die Armut im Land schockiert und dann die Gerechtigkeitsfrage weiter politisiert. Mit Sahra Wagenknecht habe auch sie nie etwas anfangen können, sagt sie. Die Flügelkämpfe in Düsseldorf seien zum Glück schon ein paar Jahre vor der BSW-Gründung ausgefochten worden. „An die verschwende ich heute keinen Gedanken mehr.“ Viel mehr beschäftigt sie hingegen der gesellschaftliche Rechtsruck. Ihrer Analyse zu Folge haben sowohl die Medien als auch die Parteien selbst versagt, ihre eigene nimmt sie da nicht aus. „Wir müssen zeigen, dass unsere Antworten am Ende des Tages griffiger sind.“

Haustürwahlkampf Die Linke, Bundestagswahl 2025, Lisa Schubert und Julia Marmulla Foto: Andreas Endermann

Es ist die Woche der Brandmauer-Debatte. Rund eine Stunde bevor Lisa Schubert an der HHU ihre Flyer verteilt, spricht ihre Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek im Deutschen Bundestag. Dass dort erstmals mit den Stimmen der AfD einem Antrag zugestimmt wurde und der migrationspolitische Konsens weiter nach rechts rutscht, könnte am Ende ausgerechnet der Linken helfen. So viel Raum ließen ihr die anderen Fraktionen nur selten. Fünf Minuten lang spricht Reichinnek, die Redeausschnitte verbreiten sich schnell in den Sozialen Medien. „Trennt euch von eurem Kanzlerkandidaten, er zerstört alles, wofür eure Partei stehen will“, richtet sie sich an die Basis der Union und kritisiert die Aussetzung des Familiennachzugs als unchristlich. Dass die Mitte des Parlaments in diesen Tagen nur noch getrieben wirkt und auch das BSW an Profil verliert, wird nicht nur für die AfD, sondern auch für die Linke zur Profilierungschance.

„Ich bin zurzeit nicht in so einer Mut-Stimmung. Wir müssen wirklich schauen, dass nicht noch mehr Demokratie kaputtgeht“, hatte Marmulla im Café gesagt. Da wirkte das, neben der langjährigen internen Zerstrittenheit, wie das größte Mobilisierungsproblem der Partei in diesen Wochen. Während die Rechte von einer anderen Gesellschaft träumte und sich der Konsens dorthin verschob, befand sich die Linke in einem reinen Rückzugskampf. Ihre eigentlich populären Inhalte wie der Mietendeckel oder die Wiedereinführung des Neun-Euro-Tickets spielten in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle. Doch jetzt, Anfang Februar, wird die Verteidigung plötzlich zum Vorteil.

Mit ihren 36 Jahren dürfte Marmulla die mit Abstand Älteste sein, die an diesem kalt-düsteren Winterabend durch die Gänge und Innenhöfe des Studierendenwohnheims geht. Sie ist aus dem Norden dazugekommen, um Lisa Schubert im Wahlkampf zu unterstützen. Die mögliche Zielgruppe der Linken wird in diesen Tagen immer deutlicher: progressive Wähler, die sich zunehmend politisch heimatlos fühlen. „Ich rufe alle linken SPDler auf, uns zu wählen, damit ihre SPD nicht noch weiter nach rechts rückt“, sagt Marmulla.

Haustürwahlkampf Die Linke, Bundestagswahl 2025, Lisa Schubert und Julia Marmulla Foto: Andreas Endermann

Wenn jemand die Grünen „nicht mehr wirklich links“ nenne, seien das Signalworte für sie, sagt Schubert. Nach jeder Tür, ob geöffnet oder nicht, schreibt sie sich Notizen auf den Zettel auf ihrem Clipboard. Haustürwahlkampf, das ist auch Statistik für die kommenden Wahlen. Wo lohnt es sich und wo nicht?

Anja Vorspel ist an diesem Tag nicht dabei. Der Wahlkampf muss erstmal ohne Marmullas Co-Fraktionssprecherin im Düsseldorfer Stadtrat auskommen. Die ist nämlich vergangene Ostern aus der Partei ausgetreten. Der Zeitpunkt war kein Zufall, sondern hatte auch mit der Haltung ihrer Ex-Partei zum Ukraine-Krieg zu tun. Rund um die klassischen Friedensmärsche sei ihr das wieder deutlich geworden, sagt sie. „Die waren sauer“, erinnert sich Vorspel an die Austritts-Reaktion ihre Kollegen. „Aber vor lauter Grünen-Bashing haben die ganz vergessen, auf die CDU zu gucken oder auf die AfD. Das sind für mich die Hauptgegner, nicht die Grünen.“ Dort war Vorspel einst selbst Gründungsmitglied. Als wir Ende Januar telefonieren, weiß sie noch nicht, welche ihrer beiden Ex-Parteien sie dieses Mal wählen soll.

Vorspel und die Linke, das war immer eine komplizierte Angelegenheit. Als sie 2017 Parteimitglied wird, war sie über die offene Liste der Partei bereits in den Düsseldorfer Stadtrat eingezogen. Sie hat von Anfang an große Schwierigkeiten mit der „Wagenknecht-Fraktion“, wie sie sie nennt. Denjenigen, die anders als sie null Bezug zur Ökologie gehabt hätten. Wenn sie in der Fraktion über Sachfragen stritten, sei es nie um soziale Themen gegangen. Dort waren sich immer alle einig. Doch mit ihren Vorstellungen der Verkehrs- und Umweltpolitik habe Vorspel es schwer gehabt, sagt sie. „Meine Hoffnung war, dass es ohne Wagenknecht besser wird. Das habe ich aber nicht so richtig gespürt. Deswegen bin ich ausgetreten. Vielleicht war ich zu ungeduldig.“

Haustürwahlkampf Die Linke, Bundestagswahl 2025, Lisa Schubert und Julia Marmulla Foto: Andreas Endermann

Die ersten Häuser des Studierendenwohnheims sind komplett durchgeklingelt. Im Innenhof spricht Lisa Schubert nun über ihre persönliche Zukunft. Das Direktmandat im Düsseldorfer Süden wird sie nicht gewinnen. Doch die Studentin der Sozialwissenschaften kandidiert auch auf Platz 14 der NRW-Landesliste ihrer Partei. Vorhin im Konferenzraum hatten sie herumgerechnet, dass wohl irgendetwas zwischen neun und zehn Prozent Linken-Stimmen für Schuberts Bundestagseinzug reichen könnte. Höchst unwahrscheinlich, aber eben doch nicht völlig undenkbar. „Ich mache mir schon Gedanken darüber“, sagt sie. „Aber ich plane jetzt nicht mein komplettes Leben deswegen um. Ich bin ein Mensch, der sich viel offenhält.“ Und die Bachelorarbeit lasse sich notfalls auch in Berlin schreiben.

Am Dienstag, kurz vor Erscheinen dieses Textes, meldet sich auch Anja Vorspel noch einmal per Mail. Sie wolle etwas zu unserem Telefonat ergänzen, schreibt sie. „Ich werde am Wochenende an Infoständen der Linken teilnehmen, habe eben nach der aktuellen Planung gefragt.“ Trotz allem wird sie am 23. Februar ihrer Ex-Partei die Stimme geben.

Haustürwahlkampf Die Linke, Bundestagswahl 2025, Lisa Schubert und Julia Marmulla Foto: Andreas Endermann

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