Wie viel Silberrückin verträgt Berlin?

Es war nur ein Wortspiel, aber es steckte viel Wahrheit darin. &bdquo;Silberrückin“ stand auf den Plakaten, mit denen Marie-Agnes Strack-Zimmermann 2020 dafür warb, sie zur Düsseldorfer Oberbürgermeisterin zu wählen. Das spielt auf die Farbe der stets kurzen Haare an, die im Laufe der politischen Karriere ein äußeres Markenzeichen der FDP-Chefin geworden sind. Es passt aber auch inhaltlich in erstaunlich vielen Details. Silberrücken sind bei den Gorillas die Anführer ihrer Gruppe, sie kümmern sich um deren Sicherheit, Zusammenhalt und Wohlergehen. Sie entscheiden, wann und wohin die Gruppe wandert, um die besten Futterplätze zu bekommen, sie wehren Bedrohungen durch andere Silberrücken oder Wilderer ab. Die anderen schenken dem Silberrücken ihre volle Aufmerksamkeit, physische Nähe zum Silberrücken ist gleichbedeutend mit höherem Rang in der Gruppe. Das passt zur Silberrückin in Düsseldorf. Sie hatte 2014 die Führung des FDP-Kreisverbandes übernommen. Bis dahin hatte die frühere Bundestagsabgeordnete Gisela Piltz die Partei in Düsseldorf geführt. Marie-Agnes Strack-Zimmermann kündigte vor dem Parteitag eine Kampfkandidatur an, Gisela Piltz stellte sich daraufhin nicht mehr zur Wiederwahl, weil sie eine Abstimmungsniederlage gegen die Herausforderin fürchten musste. Seitdem ist Marie-Agnes Strack-Zimmermann unangefochtene Vorsitzende. Ihre Positionen sind Programm, ihr Umfeld bekleidet die weiteren Ämter in Partei und Fraktion. Und politische Gegner wissen genau, wie gefährlich Verbal-Duelle mit der Liberalen sind. Legendär ist der Moment, in dem sie dem damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Rüdiger Gutt zurief, von ihm habe sie auch schon Geistreicheres gehört, und dieser &bdquo;Stimmt doch gar nicht“ antwortete. So kann einen die Auseinandersetzung mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann überfordern. Teile des politischen Düsseldorfs waren deshalb erleichtert, als die FDP-Chefin 2017 in den Bundestag einzog und sich das Austeilen einteilen musste. Sie beobachteten mit großer Neugier, wie die Mischung aus Härte und Unterhaltungswert in der Hauptstadt ankommen würde. Marie-Agnes Strack-Zimmermann legte in Berlin beeindruckend los. Schon kurz nach der Bundestagswahl war sie in mehreren Talkshows zu Gast und brachte prominenten Politikern bei, sich ihren langen Namen zu merken. Markus Söder (CSU), der das zunächst nicht gemacht hatte, sondern &bdquo;gnädige Frau“ sagte, war der erste, der als zweiter Sieger eine Fernsehsendung verließ. Als die Düsseldorferin ihm ins Wort fiel, bat er darum, ausreden zu dürfen. Sie entgegnete daraufhin: &bdquo;Man sollte bei der Wahrheit bleiben, dann ist ja gut, dann dürfen Sie weiterreden." Wolfgang Bosbach (CDU) erging es wenige Tage damals nur unwesentlich besser. Marie-Agnes Strack-Zimmermann entkräftete dessen Argumentation unter anderem mit Hilfe des damaligen CDU-Innenministers Thomas de Maizière und erläutert, warum eine Rechnung, in der man Zugewanderte und Geflüchtete vermengt, nicht funktioniert: &bdquo;Das ist natürlich völlig Banane." Ich habe damals in einem Text über die Neu-Berlinerin folgende Zeilen geschrieben, die ich immer noch passend finde: &bdquo;Das Kunststück ist eine Art umgekehrte Überzeugungskraft. Strack-Zimmermann überzeugt nicht mit Inhalten, sondern mit der Kraft, mit der sie sie vertritt. Sie scheint die Ideale, von denen sie spricht, wirklich zu haben. Und sie hat diese nicht von politischen Gepflogenheiten oder Karrierezwängen weichspülen lassen – mit Ausnahme ihrer eigenwilligen Definition von Schuldenfreiheit.“ In den folgenden Jahren wurde es ruhiger um die Düsseldorferin. Sie arbeitete sich tief in ihre beiden &bdquo;Ressorts“, Kommunales und Verteidigungspolitik, ein, lernte Gremien und Netzwerke kennen – und widmete parallel einen großen Teil ihrer Kraft einem Traum: Oberbürgermeisterin von Düsseldorf werden. Das klingt angesichts des Parteibuchs selbst für Marie-Agnes Strack-Zimmermann nach zu viel Selbstbewusstsein, erklärt sich aber aus dem Kontext: Bei der Landtags- und der Bundestagswahl 2017 holte die FDP in Düsseldorf 17,4 beziehungsweise 17,6 Prozent der Stimmen. Das war schon nahe an 20 Prozent und damit auch nahe an einem Wert, mit dem man es in die Stichwahl schaffen kann, vorausgesetzt alle vier größeren Parteien stellen eigene Kandidat:innen auf. Das erschien auch insofern machbar, als die Düsseldorfer CDU lange eine:n Bewerber:in suchte und die Chance bestand, es mit schwacher Konkurrenz zu tun zu bekommen. Würde sie den im ersten Wahlgang hinter sich lassen, könnte sie in der Stichwahl alle bürgerlichen Stimmen auf sich vereinen und den damaligen Amtsinhaber Thomas Geisel schlagen. Das erschien als einmalige Möglichkeit, deshalb entschied Marie-Agnes Strack-Zimmermann irgendwann im Jahr 2018 oder 19 anzutreten. Soweit die Theorie. Die Wirklichkeit entwickelte sich in die andere Richtung. Die FDP verlor wieder an Zustimmung, die Grünen wurden stärker, die CDU fand in Stephan Keller ihren OB-Kandidaten. Marie-Agnes Strack-Zimmermann aber blieb bei ihrem Ausgangsgedanken und setzte mehr und mehr Kraft ein, um sich gegen die Entwicklung zu stemmen. Sie wirkte müde, hatte nicht mehr das Tempo und die Frische, die bei den anderen geschätzt-gefürchtet war. Am Ende landete sie mit 12,5 Prozent auf dem vierten Platz, das waren 0,3 Prozentpunkte weniger als bei den Bundestags-Erstimmen 2017. Offenbar hat sie sich danach gut erholt, denn seit einigen Monaten ist sie auf der Berliner Bühne präsenter denn je. Sie ist eindrucksvoll in den Talkshows zurückgekehrt, unter anderem bei &bdquo;Markus Lanz“ mit dem Satz &bdquo;Kevin Kühnert ist nicht die hellste Kerze auf der sozialdemokratischen Torte“. Und sie hat bei Twitter die Marke von 9000 Tweets überschritten. Dort veranschaulicht sie in wenigen Zeichen, was eine Breitseite ist, weil die volle Breite des politischen Spektrums etwas abbekommt. Vier Beispiele: &bdquo;Ich fordere die CDU auf, Friedrich Merz aus allem, was mit &bdquo;Zukunft“ zu tun hat, auszuschließen.“ &bdquo;Liebe @ABaerbock, sollte man wissen: Es ist nicht Aufgabe der Verteidigungsministerin, vor Ort den schweren Einsatz der #Bundeswehr zu behindern und Vollkornbrote zu schmieren, sondern in Berlin in ihrer Rolle als Oberbefehlshaberin die Einsätze zu koordinieren. &bdquo;Wieder dünne Wahlkampfplattitüden. Eine “Eingreiftruppe” hat EU mit 2 Battlegroups bereits. AKK sollte nicht Bewerbungsschreiben als Ministerin verfassen, sondern zu ihrer Verantwortung stehen und wie die Kollegen aus GB & den NL angesichts des AFG-Desasters Konsequenzen ziehen. &bdquo;Vorteil, wenn man nicht Union wählt: Die Union und speziell die CSU würden auf schockierende Weise feststellen, dass das Verkehrsministerium ja gar kein Selbstbedienungsladen für Absurdität und den eigenen Wahlkreis ist, sondern eigentlich für Infrastruktur im Bund (!) da ist.“ Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat vor kurzem im Podcast der Düsseldorfer Jonges (den ich moderiere) ihren Wechsel nach Berlin mit dem Wechsel von der Grund- auf die weiterführende Schule verglichen. In der vierten Klasse fühle man sich groß und stark, in der fünften Klasse fange alles von vorne an. Und heute? &bdquo;Jetzt, vier Jahre später, fühle ich mich da, als ob ich da lange bin.“ Die Selbsteinschätzung deckt sich mit den Eindrücken und führt zu der Frage, was die nächsten vier Jahre mit sich bringen. Fragt man Menschen aus der FDP-Bundestagsfraktion danach, sagen die, sie gehen davon aus, dass Marie-Agnes Strack-Zimmermann Teil der Fraktion bleibe, es sei denn, sie &bdquo;erliege der Versuchung“. Versuchung meint in diesem Zusammenhang einen Job in der Spitze eines Ministeriums. In den Spekulationen um das nächste Kabinett, die derzeit eine Art Volkssport in den Medien sind, taucht beim Verteidigungsministerium immer mal wieder ein sehr langer Name aus Düsseldorf auf. Das erscheint insofern nicht wahrscheinlich, als die Ressorts meines Erachtens anders verteilt werden – und zwar unabhängig davon, ob es eine Ampel- oder eine Jamaika-Koalition gibt: Die Grünen werden das Außenministerium bekommen, die SPD wird dann die Verteidigung für sich reklamieren, um ein wichtiges internationales Ressort innezuhaben. Das wiederum schließt überhaupt nicht aus, dass Marie-Agnes Strack-Zimmermann dann zum Beispiel einen Posten als Staatssekretärin erhält. Die Vorzüge einer Ampel kennt die Düsseldorfer FDP-Chefin. Im Stadtrat haben die Liberalen von 2014 bis 2020 zusammen mit SPD und Grünen die Mehrheit gestellt. Die Zusammenarbeit zwischen den drei Fraktionen lief vertrauensvoll und gut – auch dank des gemeinsamen Sündenbocks in Person von Oberbürgermeister Thomas Geisel. Zugleich blieb der FDP reichlich Raum, sich als einzige bürgerliche Kraft in der Ampel zu profilieren. Dieses Wissen werden die Liberalen in Berlin in den kommenden Wochen gut gebrauchen können. Sie benötigen aber auch reichlich Diplomatie – und da könnte die Expertin für Verteidigung etwas zu gut im Angreifen sein.

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Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.

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