“Wir hatten die Wahl zwischen einer schlechten und einer noch schlechteren Lösung. Wir haben die weniger schlechte genommen“
Im Moment sehen die beiden einander häufiger als ihre Ehemänner: Sara Nanni, sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, und Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Düsseldorfer FDP-Chefin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags. Durch den Krieg in der Ukraine sind sie nun ständig im Einsatz. Informationen sammeln und bewerten, Debatten führen, Entscheidungen vorbereiten, treffen oder kontrollieren und sehr viel kommunizieren. Am Dienstagabend haben sie die Fragen unserer Redaktion und unserer Leser:innen zum Konflikt und der damit verbundenen Politik beantwortet.
Die Diskussion
Kommunikation ist aus Sicht der beiden entscheidend, um weitere Eskalationen des Konflikts zu verhindern, etwa den Einsatz von Atomwaffen. Die Gefahr bestünde weniger in einer aktiven Entscheidung für einen Nuklearschlag, weil alle Beteiligten wissen, dass auf einen Erst- ein Zweitschlag folgt. Die größere Gefahr liege in einem Missverständnis. Deshalb sei es sehr wichtig, dass die Spitzen des Militärs einander kennen und in Kontakt blieben – und dass die Nato ihre Alarmbereitschaft nicht hochgestuft habe. So könne man ihre Handlungen nicht mit einem möglichen Nuklearschlag in Verbindung bringen.
Ein ebenso wichtiges Beispiel für gute Kommunikation sei der geschlossene Auftritt der Europäischen Union. „Es wird meines Erachtens noch viel zu wenig gelobt, wie schnell und einig die EU die Sanktionspakete gegen Russland auf den Weg gebracht hat“, sagte Sara Nanni.
Kritisch sehen dagegen beide die Berichterstattung der deutschen Medien. Es gebe bereits seit acht Jahren Krieg in der Ostukraine, mehr als 14.000 Menschen seien dadurch getötet worden, in Deutschland sei dies aber kaum wahrgenommen worden. Auch jetzt habe sich die Berichterstattung schon wenigen Tagen wieder stark auf innenpolitische Fragen vom Milliarden-Paket für die Bundeswehr bis zur Frage der Wiedereinführung der Wehrpflicht verlagert. Nur kurz hinzuschauen und sich dann wieder auf den deutschen Kontext zu konzentrieren, sei ein Grund dafür, dass die deutsche Öffentlichkeit so überrascht von den Entwicklungen sei.
Die Frage eines Lesers, ob die Waffenlieferungen an die Ukraine dazu führten, dass es ein zweites Syrien gebe, also einen dauerhaften Konflikt mit enormen Verlusten und Zerstörungen, verneinten die beiden Sicherheitspolitikerinnen. Sie erklärten das zunächst mit Blick auf die beiden Kriegsparteien. Für die russischen Soldaten gäbe es keine oder keine gute Erzählung, warum sie in diesen Konflikt ziehen, ihnen fehle der Grund und die Motivation. Auf ukrainischer Seite sei dies ganz anders. Die Armee habe sich durch viele Freiwillige vergrößert, zudem sei die Soldat:innen hochmotiviert, ihre Heimat und ihre Freiheit zu verteidigen.
Das heißt: Die Ukrainer:innen würden so oder so kämpfen, man könne sich nicht hinstellen und ihnen sagen, sie sollten besser kapitulieren. „Wir hatten die Wahl zwischen einer schlechten oder einer noch schlechteren Lösung. Ich glaube, wir haben die weniger schlechte Lösung gewählt, indem wir Ukrainer in ihrem Kampf gegen einen imperialistischen Überfall unterstützen“, sagte Sara Nanni.
Die beiden Politikerinnen
Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist in Düsseldorf eher für Attacke als Ausgleich bekannt. In den vergangenen Tagen war sie aber überraschend oft auch als Diplomatin zu erleben. Aufgrund ihrer exponierten Rolle gab sie zahlreichen Medien Interviews, aufgrund ihres Naturells hat sie dabei deutlich formuliert, aufgrund der Koalition musste sie bisweilen verschiedene Positionen mit derselben Vehemenz vertreten.
Die Düsseldorferin hat den Angriff Russlands und Präsident Wladimir Putin stärker kritisiert als viele andere deutsche Politiker:innen. Dadurch lag die Vermutung nahe, dass sie auch früh Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet hat. Gesagt hat sie das nicht, aber es war am Sonntagabend aus ihren Worten in einem Interview mit dem Fernsehsender „Welt“ zu hören. „Besser spät als nie“, sagte sie auf die Frage der Moderatorin, warum Deutschland sich erst spät für Waffenlieferungen entschieden habe. Wer Marie-Agnes Strack-Zimmermann kennt, weiß, dass genau das ihre rheinische Formulierung für „Ich hätte es gerne anders gehabt, aber das können wir jetzt auch nicht mehr ändern, also halten wir uns damit auch nicht mehr auf“ ist.
In solchen Situationen zeigt sich auf zweierlei Weise, welche Erfahrung die Düsseldorfer FDP-Chefin in den vergangenen Jahren gesammelt hat. Erstens: Marie-Agnes Strack-Zimmermann war eine der führenden Figuren der Ampel-Kooperation im hiesigen Stadtrat. Dass man dabei drei Positionen in Einklang bringen muss (beziehungsweise sogar vier, wenn der Oberbürgermeister noch eine andere Sicht vertritt), hat sie mindestens anfangs genervt. Bei Oberbürgermeister Thomas Geisel auch bis zum Schluss. Inzwischen kennt sie diese Suche nach der gemeinsamen Haltung als natürliches Phänomen eines Dreier-Bündnisses und wirkt gelassener, wenn sie Verzögerungen oder Meinungswechsel erläutert.
Die zweite Erfahrung: Man kann seinem Spitznamen treu bleiben und trotz flexibel agieren. Als Marie-Agnes Strack-Zimmermann für das Amt der Oberbürgermeisterin kandidierte, stand auf einigen ihrer Wahlplakate „Silberrückin“. Das ist ein schönes Wortspiel, aber auch eine ziemlich treffende Beschreibung einer Politikerin, die auf der kommunalen Ebene dank ihres weit überdurchschnittlichen rhetorischen Talents viele Debatten-Siege erlebt hat und deshalb nicht Gefahr läuft, an einem Mangel an Selbstbewusstsein zu leiden. Nach ihrem Einzug in den Bundestag 2017 musste sie das Ausleben des Selbstbewusstseins in einem neuen Kontext lernen. Das ist offenbar gelungen, für sie und für allen anderen.
Es zeichnete sich in den Koalitionsverhandlungen früh ab, dass die SPD das Verteidigungsressort bekommt. Deshalb ist es müßig darüber zu spekulieren, ob Marie-Agnes Strack-Zimmermann sogar Verteidigungsministerin hätte werden können. In ihrer Partei war sie jedenfalls die Nummer eins für dieses Thema, erhielt deshalb den Ausschussvorsitz und hat möglichen Kritikern in gewohnter Manier wenig Luft und Raum für Zweifel gelassen.
Sara Nanni ist die erfahrene Neue im Bundestag. Sie ist erstmals ins Parlament gewählt worden, kannte aber die Menschen schon, mit denen sie jetzt zusammenarbeitet. Friedens- und Sicherheitspolitik war bereits in der Jugend im heimischen Münsterland ihr Thema und hat dann so gut wie alle weiteren Stationen geprägt: Master in Friedens- und Konfliktforschung, wissenschaftliche Studien zu Friedensarbeit, militärischer Transformation, Salafismus und Radikalisierung. Zudem Mitglied von Amnesty International, der Plattform Zivile Krisenprävention, der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, des Vereins „Women in International Security“ und des Forums Neue Sicherheitspolitik der Heinrich-Böll-Stiftung.
Und deshalb wurde die 34-Jährige auch direkt zur sicherheitspolitischen Sprecherin ihrer Fraktion gewählt. Wir haben im Winter über ihre Ziele für die (ersten) vier Jahre in Berlin gesprochen. Eins davon lautete, den vermeintlichen Gegensatz von Friedens- und Sicherheitspolitik aufzulösen. „Ich unterstelle allen, die mit Frieden und Sicherheit beschäftigt sind, dass sie das Gleiche wollen. Man kann die verschiedenen Bereiche versöhnen, das braucht aber noch ein bisschen mehr gegenseitige Wertschätzung.“.
Zudem möchte die Grünen-Politikerin die Situation für die Friedens- und Konfliktforschung verbessern. Politik brauche ausführliches Wissen von Menschen, die sich kontinuierlich mit ihren Themen beschäftigen und nicht nur in einem Projekt für einige wenige Jahre, sagte Sara Nanni im Dezember. „Wir haben einen zu starken Hang zur Projektisierung, wir machen uns dadurch ein Stück weit handlungsunfähig.“ Die angestrebte kontinuierliche wissenschaftliche Arbeit soll die Grundlage sein, um gute Entscheidungen für die außen- und sicherheitspolitischen Fragen zu treffen, die sich wie in kaum einem anderen Politikfeld ad hoc ergeben. Die vergangenen Tage und die schwierige Einordnung der Aussagen und Ankündigungen bestätigen Sara Nannis Ansatz auf bittere Weise.