Als Helge Achenbach Düsseldorf die Affeninsel bescherte
Um diese Geschichte zu erzählen, kommt nur ein Anfang infrage: Es war einmal. So beginnen bekanntlich immer Märchen. Das hier aber ist keins, aber im Grunde unglaublich. Es ist der wahre Hintergrund von Monkey’s Island, Düsseldorfs erstem und unvergleichlichem Sandstrand. Alles, was danach kam, war und ist Abklatsch.
Also: Es war einmal eine Gruppe von vier nicht mehr ganz so jungen Männern. Anfang der 2000er Jahre treffen sie sich fast jeden Morgen am Rhein und joggen linksrheinisch Richtung Büderich, manchmal bis zur Flughafenbrücke und auf der anderen Seite wieder zurück. Zwei von ihnen, Helge Achenbach und ich, haben im November 2000 den New-York-Marathon geschafft, sind also gut im Training.
Während des Laufens wird viel geredet. Stoff gibt es genug. Bei Achenbach sowieso, aber auch die mitlaufenden Journalisten und ein Autohändler erleben viel in ihren Jobs. Da werden Infos ausgetauscht, es wird getratscht, Neuigkeiten und Gerüchte werden erzählt – running network, sozusagen. Langweilig ist es nie.
Doch das kommunikative Zentrum ist Helge. Er erlebt gerade Glanzzeiten als Kunstberater, jettet durch die Welt, kennt Flick, Burda und Henkel persönlich. Immendorff, Lüpertz, Gursky (in New York dabei gewesen), Richter und Mack sind Duz-Freunde. Die Liste ließe sich leicht fortsetzen.
An einem dieser Tage, es muss um den Jahreswechsel 2002/2003 sein, präsentiert Helge – stets ein sprudelnder Quell neuer Ideen – plötzlich einen Gedanken, den wir anderen für ziemlich bescheuert halten. Aus seinem Büro in einem Hochhaus im Hafen (oberstes Stockwerk, darunter sitzt die Focus-Redaktion NRW) guckt er täglich auf die Hafenspitze der Speditionstraße. Sie ist Brachland, gehört der Stadt, Investoren rangeln um das Grundstück, das mitten im Rheinstrom liegt und ahnen lässt, wie attraktiv es mal sein wird. Aber das ist Zukunftsmusik, der starke Mann im Rathaus, Oberbürgermeister Joachim Erwin, hat noch nicht entschieden.
Dieses Stückchen Land also, das der Flussfeuerwehr als Anlegestelle für ihr Schiff dient (inklusive Holzbaracke als Aufenthaltsraum und Büro) hat es Helge angetan. Er würde es gern pachten und dort ein Café eröffnen.
Ein Café? Wieso ein Café?, fragen wir ihn. Du bist Kunstberater, kein Gastronom, hör auf mit dem Blödsinn. Aber Helge ist nicht der Mensch, der sich durch die Bedenken anderer beirren lässt. Er, der Spinner im positiven Sinne, spinnt weiter. Und lässt uns teilhaben an der Namensfindung. Watergate Café kommt in die engere Wahl, ist aber negativ belastet (Sie erinnern sich? Richard Nixon und dieses Hotel in Washington). Schließlich präsentiert Helge seinen Favoriten: Monkey’s Island. Also Affeninsel. Ich finde die Idee, nun ja, affig und wenig sympathisch. Aber er bleibt dabei. Längst hat er das Bild etlicher Affenfiguren im Kopf, die er dort aufstellen will. Geschaffen von Jörg Immendorff lässt Helge sie seit geraumer Zeit gießen und vertreibt sie in allen möglichen Größen, manche fast mannshoch. Er muss Dutzende davon auf Lager haben.
Um es kurz zu machen: Vor rund 20 Jahren ist irgendwann der Tag gekommen, an dem er das Gelände von der Stadt für einen lächerlichen Betrag pachtet. Mit dem klaren Hinweis, dass er sofort weichen muss, wenn das Grundstück für seine endgültige Verwertung verkauft wird. Das jedoch scheint in weiter Ferne zu liegen.
Wochen vor dem Sommer 2003 geht es los. Viele Tonnen feinsten Sandes werden aus Haltern am See herangeschafft und auf dem mehr als 5000 Quadratmeter großen Gelände verteilt. In großen Bottichen stehen Palmen, Buden und Bänke, grob zusammengezimmert, schaffen Bacardi-Feeling. Aus verborgenen Lautsprechern klingen chillende Sounds, Liegestühle stehen tief im Sand, hübsche Jungs und Mädels servieren bunte Cocktails und kühlen Weißwein in beschlagenen Gläsern. Die frühere Feuerwehrbude wird zum Restaurant, der Künstler Claus Föttinger hilft dort bei der Deko mit seinen Werken.
Die Affeninsel, die in Wahrheit eine Halbinsel ist, wächst binnen weniger Wochen zu einem bis dato nicht gekannten eigenen kleinen Karibikstaat mitten in Düsseldorf. Sie sieht aus, als hätte jemand ein Stück Südsee an den Rhein verpflanzt. Das Konstrukt lebt, buchstäblich. Täglich gibt es etwas Neues, es kommen neue Tresen, neue Liegemöglichkeiten, ein Kinderspielplatz wird angelegt mit Schaukel mitten im riesigen Sandkasten.
Vor allem jedoch kommen die Menschen. Zuerst die Düsseldorfer, viele von ihnen aus den Büros des damals aufstrebenden Medienhafens. Dann aus der ganzen Stadt, bald aus dem ganzen Land. Monkey’s Island schafft es in die großen abendlichen Nachrichtensendungen. Der Ort wird zu einer Art Pilgerstätte für alle, die mittags, nachmittags oder abends Lust haben, die Füße in den Sand zu stecken, mit einem Tequila Sunrise auf den Rhein zu gucken und dabei über den Sinn des Lebens zu sinnieren oder anderen Menschen beim Entspannen zuzuschauen. Im Jahrhundertsommer 2003 pulsiert die Insel und sprengt mit ihrer Attraktivität selbst die Vorstellungskraft ihres Erfinders. Der Umsatz steigt und steigt, und im Rathaus lässt sich ein gewisser Joachim Erwin den Vertrag zeigen um – wenig amüsiert – festzustellen, dass dort auf städtischem Gelände gegen eine bescheidene Pacht viel Geld verdient wird. Aber Vertrag ist Vertrag, das weiß der Jurist Erwin, und Achenbach genießt die Vorstellung, „den Jochen“ (so nennt er Erwin immer, die beiden kennen sich lange) ein bisschen zu ärgern.
Wie besoffen vom Erfolg sieht er sich schon als neuen Stern der Düsseldorfer Gastronomenszene, misstrauisch (und neidisch) beäugt von den Platzhirschen. Ihnen fällt es schwer zu akzeptieren, dass ein Amateur nur aufgrund einer brillanten Idee so erfolgreich sein kann in diesem schwierigen Metier. Das kann doch nicht gutgehen, orakeln sie. Ein paar Jahre später behalten sie Recht.
Aber im Sommer 2003 scheint die Sonne auf Monkey’s Island, lässt den Sand glühend heiß werden und die Kassen voll. Es gibt private Feiern und große Gelage, lange vor Tinder sucht und findet man dort wie auch immer Anschluss. Für ein Event soll ein weißer Steinway-Flügel her, aber den Verleiher schreckt die Vorstellung vom Sand im Inneren des edlen Teils. Egal, es wird eine horrend hohe Versicherung abgeschlossen, und ein paar kräftige Jungs schleppen das Klavier aufs Gelände, stellen es auf ein Holzpodest, und abends erklingt es wunderschön in der lauen Sommerluft. Später geht es, unbeschädigt und ohne Sand, problemlos wieder zurück.
Und Helge? „Think big“ ist sein Wahlspruch, und er will aus Monkey’s eine Marke machen. Am neuen Hochhaus GAP 15 neben Graf-Adolf-Straße und Kö wird der Affe sesshaft, ohne Sand zwischen den Zehen. Drei Restaurants entstehen: Alle heißen Monkey’s, in ihnen sollen verschiedene Kochstile umgesetzt werden, das Ambiente ist erlesen. Bald wird vor allem das Hauptrestaurant (dessen Wände der Künstler Martin Denker gestaltet) place to be für eine Klientel, die nicht in Flip-Flops, sondern in High Heels und rahmengenähten Pferdelederschuhen daher kommt. Abend für Abend sitzt an geschickt abgeteilten, mit schallschluckenden halbhohen Wänden separierten Tischen alles, was in Politik, Wirtschaft, Kultur und Medienszene Namen und oft auch Rang hat.
Ab und zu lädt der Hausherr, Helge Achenbach, zu Empfängen und Abendessen. Dann lässt sich so mancher Dax-Vorstand gerne mit juwelenbehängter Begleitung blicken, genießt das vorzügliche Essen oder lauscht Klavierklängen von Udo Jürgens, der bei einem Empfang im weißen Hemd mit offenem Kragen, ein volles Glas Rotwein vor sich, wieder einmal seine Weltklasse als Musiker zeigt. Im Restaurant empfängt Achenbach auch Geschäftspartner und Sammler, knüpft und pflegt Kontakte, nutzt es wie eine Bühne – sozusagen die feine Filiale des wenige Kilometer entfernten Sandstrandes.
Den versucht der Chef auch im Winter verlockend zu halten und lässt eine gigantische Eisbahn aufbauen. Wo im Sommer Strandleben herrscht, ist nun St.-Moritz- oder Lech-Gefühl angesagt. Man kann Schlittschuhe leihen und übers Eis gleiten, oder zuschauen und dabei einen Glühwein trinken. Leider braucht es sehr viel Energie, das Eis am Schmelzen zu hindern, und ein großer Teil des Geldes, das im Sommer verdient wurde, verschwindet im Winter. Aber das ficht den Chef nicht an, er denkt in großen Dimensionen – und verliert sehr viel Kapital.
Der Traum vom Sandstrand endet 2006. Ein Investor hat das Grundstück gekauft und will dort ein Hotel bauen, plus Büroturm. Es entsteht das Hyatt, so wie wir es heute kennen. Vom Monkey’s bleiben zuerst noch die Restaurants und ein Club an der Kö. Aber auch das ist nicht von Dauer. Am Ende ist alles weg, es wurde unfassbar viel Geld verbrannt, wird Achenbach später erzählen.
Aber im Monkey’s gibt es für ihn auch eine schicksalhafte Begegnung. Dort lernt Achenbach den Aldi-Eigner Berthold Albrecht und dessen Frau Babette kennen. Jahre später, nach Albrechts Tod, wird seine Witwe einen Prozess gegen Achenbach anstrengen, an dessen Ende der erfolgreiche Kunstberater 2015 wegen Betrugs verurteilt wird.
Aber das ist eine andere Geschichte, und die erzähle ich im VierNull-Podcast „Kohle, Knast und Kaviar“, mit dem wir heute starten und den Sie hier anhören können:
Weitere Folgen von anderen spektakulären Fällen in und um Düsseldorf werden folgen.