An Heiligabend tut Einsamkeit besonders weh

Bereits Anfang Oktober kamen vermehrt Besucher ins Haus des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) an der Graf-Adolf-Straße. Sie wollten nur mal kurz nachfragen, ob der CVJM denn auch in diesem Jahr wieder zur Weihnachtsfeier an Heiligabend einladen werde. Rainer Wittig war etwas überrascht von der frühen Nachfrage vieler Stammgäste. Doch der 48-Jährige zeigt größtes Verständnis für die besorgten Anfragen in der für viele kontaktarmen Corona-Zeit. &bdquo;Viele Alleinstehende kommen mit der Einsamkeit nicht gut klar. Und Heiligabend tut sie besonders weh.“ Wenn die Nachbarschaft festlich feiert, sitzen viele Menschen oft Tür an Tür alleine. Viele Männer hatten dann noch nicht mal die Kraft, ihre Wohnung ein wenig weihnachtlich zu dekorieren. Das, so Wittig, habe gar nichts mit ihrem sozialen Hintergrund zu tun. Es sind oft ihre Lebensläufe. So hat beim dem einen der Alkoholkonsum das Familienleben kaputt gemacht, ein anderer wurde von der Familie verlassen, ein weiterer habe noch nie Familienleben erlebt. Der leitende Sekretär des CVJM Düsseldorf hat in den vergangenen fünf Jahren auf den Weihnachtsfeiern viele Gespräche mit seinen Gästen geführt. Zu der Veranstaltung kamen regelmäßig 500 bis 600 Teilnehmer in die Düsseldorfer Rheinterrasse, darunter junge Männer zwischen 20 und 30, die Mehrheit jedoch ist zwischen 50 und 70 Jahre alt. Wittig hat dabei Menschen getroffen, von denen er sagt, dass das, was sie erlebt haben, &bdquo;nicht in eine Biographie passt“. So erzählt er von der Geschichte eines Mannes, der als Kind missbraucht wurde und seine Jugend in der Psychiatrie verbringen musste. Einzige Bezugsperson dieses Mannes sei dessen Großmutter gewesen. Die Frau ist dann ausgerechnet an einem Heiligabend gestorben. Ein erschütterndes Schicksal und eine Geschichte, die für Wittig nur sehr schwer zu ertragen ist. Aber sie gibt ihm ebenso Motivation, die Feier immer wieder verlässlich auszutragen. Sie wird übrigens Weihnachten 2021 zum 94. Mal in Düsseldorf stattfinden. Der CVJM-Mann hat recherchiert, dass nach dem Krieg auch schon mal mit 1500 Männern das Christfest begangen wurde. Damals sollte jeder ein Kohlebrikett mitbringen, quasi als &bdquo;Eintrittskarte“ und vor allem als Wärmespender. Ralf Wittig ist erleichtert, als er kurz nach unserem Gespräch vom Ordnungsamt der Stadt die Erlaubnis für die Feier bekommt. Vor Corona saß man mit bis zu 600 Gästen im Radschlägersaal an gedeckten Tischen zusammen. Im vergangenen Jahr gab es im 990 Quadratmeter großen Saal am 24. Dezember als Ersatz vier kleine Feiern mit jeweils 50 Leuten, die im Abstand von zwei Metern auf Stühlen aber nicht an Tischen platziert wurden. Dieses Mal bekommen 300 Männer an 22. und 23. Dezember die kostenlosen Eintrittskarten am CVJM-Haus. Gefeiert wird bei Kaffee und Plätzchen nun in zwei Gruppen, die erste ab 16 Uhr und die zweite um 18 Uhr. Natürlich nur, wenn die Pandemielage es zulässt. Ganz zur Not findet das Treffen mit kleiner Bescherung draußen vor der Rheinterrasse am Joseph-Beuys-Ufer statt. Natürlich können Wittig und der CVJM das Angebot nicht Jahr für Jahr alleine stemmen. 30.000 Euro inklusive Saalmiete und Geschenke kostet die Weihnachtsfeier, die aus Spenden finanziert wird. Mindestens genauso entscheidend für das Gelingen ist die Arbeit von 150 ehrenamtlichen Frauen und Männern ebenso wie vieler Schüler:innen des Marie-Curie-Gymnasiums und Theodor-Fliedner-Gymnasiums. Letztere helfen dabei, im Vorfeld Geschenketüten mit Kaffee, Tee, Schokolade, einem Kalender und schriftlichen Weihnachtsgrüßen an die &bdquo;lieben Unbekannten“ zu bestücken. Viele der Ehrenamtler waren früher selbst Stammgäste der Alleinstehenden-Feier, haben die Rolle gewechselt, vom Gast zum Gastgeber. Für sie gilt an diesem Heiligabend die 2G-plus-Regel. Die alleinstehenden Männer müssen geimpft, genesen oder getestet sein. Wittig ist froh, dass er engagierte Freiwillige gefunden hat, die die Tests vornehmen werden. Sie wurden extra von einem zertifizierten Testzentrum geschult. Trotz aller Hygieneschutz-Bedingungen sollen die Menschen zwei besinnliche Stunden mit Musik, einer Andacht und guten Gesprächen verbringen. Dafür steht das ganze Team, zu dem auch Wittigs Ehefrau Kathleen und seine drei Kinder gehören. Wenn die Alleinstehenden mit Geschenken und einer Mahlzeit zum Mitnehmen in die Christnacht verabschiedet wurden, feiern die Wittigs daheim weiter. Mit Weihnachtspyramide und Räuchermännchen, schließlich stammt Ralf Wittig aus dem Erzgebirge, das aufgrund seiner Bräuche auch &bdquo;Weihnachtsland“ genannt wird. Geschenke werden in der Familie erst am ersten Weihnachtstag überreicht. Denn nach den Begegnungen und Gesprächen mit den alleinstehenden Männern gibt es zu viel zu erzählen, auszutauschen und vielleicht auch zu verarbeiten. Wittig, der aus der Jugendarbeit kommt und danach noch Sozialmanagement studierte, will die Feiern in der Rheinterrasse nicht mehr missen. Er sieht es als seine Pflicht an, für die Männer an Heiligabend da zu sein. Er macht sie auch darauf aufmerksam, dass es gerade in Düsseldorf viele gute Möglichkeiten gibt, Wege aus der Einsamkeit zu finden. Weiterführende Links In Düsseldorf, einer Stadt mit rund 54 Prozent Ein-Personen-Haushalten, gibt es zahlreiche - zumeist kostenlose - Angebote für alleinstehende Menschen. Wer Kontakt sucht oder sich dort einbringen möchte, findet jede Menge Anregungen in der kürzlich neu aufgelegten städtischen Broschüre &bdquo;Zusammen weniger allein - Wege aus der Einsamkeit". Sie ist hier zu finden. Mehr über die Jugendarbeit, Wohnheim und Hotel des CVJM kann man hier lesen.

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