Anime-Meisterwerk „Monster“ beginnt in Düsseldorf
Könnte es vielleicht das Marien-Hospital sein? Dort gibt es, das habe ich neulich gesehen, ein paar mit Backsteinen gesäumte Flure. Aber ein eindeutiger Beweis ist das nicht. Welche Düsseldorfer Klinik dem japanischen Zeichner Naoki Urasawa als Vorbild gedient hat, ist nicht zweifelsfrei zu sagen. Im echten Düsseldorf gibt es keine Eisler-Klinik, hat es nie eine gegeben – wohl aber in dem von Urasawa gezeichneten Düsseldorf des Jahres 1986 und seinem Werk „Monster“. Die Zeichentrickserie zu seiner Comic-Vorlage ist seit diesem Jahr bei Netflix zu sehen und verdient allein deshalb Aufmerksamkeit, weil sie in Düsseldorf startet.
Worum geht es? Der Gehirnchirurg Kenzo Tenma ist anerkannt und erfolgreich. Udo Heinemann, der Direktor der Düsseldorfer Eisler-Klinik, hält viel von ihm und schmückt sich gern mit seinen Lorbeeren, Tochter Eva ist mit Tenma liiert. Doch eines Tages im Jahr 1986 zerbricht das prächtige Leben des Arztes. Als er gerade den jungen Johann operieren will, der mit einer gefährlichen Kopfverletzung in die Klinik eingeliefert wurde, erhält er einen Anruf von Klinik-Direktor Heinemann. Der fordert ihn auf, zuerst den Bürgermeister von Düsseldorf zu behandeln, der gerade eine Hirnthrombose erlitten hat. Man könne ihn nicht sterben lassen, so Heinemann, schließlich wolle er die Subventionen für Kliniken erhöhen.
Tenma widersetzt sich der Anordnung, operiert den Jungen und rettet dessen Leben. Die OP des Bürgermeisters verläuft hingegen nicht erfolgreich, er stirbt. Das wird Tenma zum Verhängnis. Weil ihm die Schuld gegeben wird, verliert er seine Position, die Verlobung mit der Tochter des Klinikdirektors wird aufgelöst.
Wenig später springt die Serie ins Jahr 1995: Eine Mordserie erschüttert das Land. Tenma gerät ins Visier der Ermittlungen, er wird mit seiner Vergangenheit konfrontiert und mit einer Verschwörung. Der Arzt macht sich schließlich selbst auf die Suche nach dem Täter. Es ist der Junge, den er einst operiert hat – Johann, das „Monster“.
Der Erfinder der Serie hat sich mit Düsseldorf auseinandergesetzt. „Monster“ startet mit einer vertrauten Ansicht. Das Luftbild zeigt Fernsehturm, Kniebrücke, links Oberkassel, rechts Alt- und Innenstadt, dazwischen schlängelt sich der Rhein, zwischen viel Beton schimmert der grüne Hofgarten. Ein Aha-Moment für alle, die sich ein bisschen mit Düsseldorf auskennen.
In einer anderen Szene ist die Kirche St. Cäcilia in Benrath zu sehen. Eines Abends taumelt Gehirnchirurg Tenma betrunken durch eine schmale Gasse. Soll das die Altstadt sein? Vielleicht. Da sind die Straßen mit den rot-weißen Bahnen, deutschen Schildern und Reklametafeln und wild parkenden Autos. Einen eindeutigen Düsseldorf-Bezug gibt es selten, vieles ließe sich so oder so ähnlich sicher auch in anderen Städten wiederfinden. Die Eisler-Klinik versprüht die Tristesse, wie sie in unzähligen deutschen Krankenhäusern anzutreffen ist.
„Monster“, das meist betont düster, in Grautönen und überwiegend mit kalten Farben gezeichnet ist, hat Urasawa zum Star gemacht. Die Serie gilt über die Szene hinaus als Meisterwerk, der Mann aus Tokio gewann verschiedene Preise. Der erste Teil des Manga-Epos ist 1994 erschienen. Die Anime-Serie wurde 2004 erstmals im japanischen Fernsehen gezeigt. Netflix bietet eine französische und eine japanische Audiospur an, dazu unter anderem deutsche Untertitel. Das ist etwas sperrig, aber man gewöhnt sich schnell dran.
Die Serie ist beklemmend, spannend und sehenswert – auch für Nicht-Anime-Fans. Dabei ist Ausdauer gefragt. Die Serie besteht aus 74 Episoden à 25 Minuten, schließlich umfassen die 18 Teile der Buchvorlage mehr als 2000 Seiten. Urasawa versucht eine Milieustudie der Bundesrepublik der 80er und 90er Jahre. Der Rahmen – Kalter Krieg, wiedervereintes Deutschland, rechtsextreme Übergriffe auf Ausländer – will sich eng an der Realität orientieren.
Einige Orte wie der Frankfurter Hauptbahnhof, die Ludwig-Maximilian-Universität in München und das Heidelberger Schloss sind unzweifelhaft wiederzuerkennen. Auch Berlin, Wiesbaden und die tschechische Hauptstadt Prag zählen zu den Schauplätzen. Im Internet sind einige Beispiele zusammengetragen, die zeigen, wie bemerkenswert real die Städte in Buch und Film nachempfunden sind und welche weiteren Bezüge zur Realität es gibt – sei es in Form von Personen, Ereignissen, kulinarischen Spezialitäten oder Songs, die in der Serie zu hören sind. Ein bisschen künstlerische Freiheit gönnt Urasawa sich natürlich dennoch, die Eisler-Klinik lässt grüßen.
Dass die Geschichte fast ausschließlich in Deutschland spielt, hat Urasawa im Interview mit dem Deutschlandradio mit einem Verweis auf die Nazi-Zeit und den Zweiten Weltkrieg begründet. In der Serie greift er indirekt Themen mit Bezug zur deutschen Geschichte auf, wie Elitenausbildung und Menschenversuche in Kinderheimen. Er habe etwas Düsteres machen wollen, da habe „Monster“ nur in Deutschland spielen können, so der Zeichner.
Für die Recherche ist Urasawa nach eigenen Angaben mehrere Wochen in Deutschland gewesen. Warum er speziell Düsseldorf als Schauplatz für die Serie wählte, ist nicht bekannt. Vielleicht, um die Serie für das europäische Publikum etwas interessanter zu machen. Oder weil es in Düsseldorf eine der größten japanischen Communitys in Europa gibt. Seit 2009 findet hier immerhin die DoKomi statt, die größte Messe für Popkultur, Anime und Manga in Deutschland. Zur 15. Ausgabe kamen in diesem Jahr mehr als 150.000 Besucher.
Düsseldorf, Japan und Mangas – das ist eine harmonische Melange und womöglich auch Teil der Erklärung dafür, was Urasawa an Düsseldorf fasziniert und inspiriert haben muss. Das war mit „Monster“ offensichtlich nicht erschöpft. Aus dem „Nippon am Rhein“ stammt auch der Inspektor namens Gesicht, die Hauptperson seiner Serie „Pluto“. Wie viel Düsseldorf darin steckt, kann in einigen Wochen auch in der gleichnamigen Netflix-Serie begutachtet werden.