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Das Ende vom Anfang: Modepionierin Ela hat ihren letzten Laden geschlossen

Gabriela Holscher-di Marco hat die Düsseldorfer Modeszene geprägt, unter anderem die Band Kraftwerk eingekleidet. Vor drei Jahren eröffnete sie „Ela Selected“ in Hamburg. Das Geschäft musste sie nun wegen einer Krebsdiagnose aufgeben. Kranksein und rumliegen möchte sie aber nicht.
Von Danina Esau (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 20. Juni 2024
Ela Holscher di Marco und Anti di Marco
Gabriela Holscher-di Marco und Anti di Marco, als die beiden noch in Düsseldorf waren. Mittlerweile leben sie in Hamburg in der Nähe der Familie. Die Enkelkinder seien die beste Krebstherapie, sagt Ela.

„Fürchtet euch nicht“, so lautete der Titel eines Kinderbuchs, das Ela kurz nach der Geburt ihres Sohnes geschenkt bekam. Es war das Jahr 1977, sie war alleinerziehend, hatte 1000 D-Mark auf dem Konto und wusste nicht, ob sie es wagen sollte: Ihren Beruf als Friseurin im Breidenbacher Hof aufzugeben und sich selbstständig zu machen, damit sie ihren Sohn um sich haben konnte. Sie fürchtete sich zwar ein bisschen, doch letztendlich gewannen Mut und Pragmatismus. An der Gustav-Poensgen-Straße in Düsseldorf eröffnete sie ihren eigenen Vintage-Laden, wenige Jahre später verkaufte sie auf 200 Quadratmetern Avantgarde-Mode am Fürstenplatz. Sie brachte als eine der ersten die Levis-Jeans nach Deutschland, kleidete die Musiker von Kraftwerk ein und telefonierte mit Vivienne Westwood. Kurz gesagt: Sie veränderte die Düsseldorfer Modeszene.

Seit 47 Jahren ist „Fürchtet euch nicht“ Elas Mantra, in jeder Phase ihres Lebens hat sie die simple, aber tiefgreifende Bedeutung dieser drei kleinen Worte mehr und mehr verstanden. Zum Beispiel als sie sich 2021 nach über 40 Jahren in Düsseldorf entschied, nach Hamburg zu ziehen und ihren Laden Ela Selected dort neu zu eröffnen – obwohl die Miete doppelt so hoch war, obwohl sie dort nicht so bekannt war.

Oder als sie vor eineinhalb Jahren einen Knoten in ihrer Brust entdeckte und der Arzt ihr wenige Wochen später mitteilte, dass sie an Krebs erkrankt sei. „Ich habe mich zum ersten Mal so richtig gefürchtet“, sagt die 75-Jährige. Die Diagnose habe beruflich alles auf den Kopf gestellt und ihr keine Wahl gelassen: Seit Mitte Juni ist Ela Selected geschlossen, den Laden in St. Pauli, der sich für sie sofort richtig angefühlt hatte, gibt es nicht mehr.

Eine Zeit lang hatte Ela es noch versucht. Trotz Strahlentherapie und Medikamenten stand sie an drei Tagen die Woche in ihrem Laden, empfing Kunden, kümmerte sich um Büroarbeiten. „Irgendwann merkte ich, dass es einfach nicht mehr ging.“ Vor allem an den Tagen nach der Strahlentherapie hätte sie sich kaum aufraffen können und sei ständig müde gewesen. Ein ungewöhnlicher Zustand für die 75-Jährige, die das Wort „Rente“ nicht mag und deren Sohn ihr immer prophezeit hatte, dass sie einmal in ihrem Laden sterben würde.

Ein bisschen wehmütig macht sie das schon. 47 Jahre hat sie Ela Selected aufgebaut und sich in der Modewelt einen Namen gemacht. All ihre Läden seien Treffpunkte gewesen, umgeben von Künstlern, Musikern und Kreativen habe sie sich am wohlsten gefühlt. Und von individueller Mode, am liebsten ganz in Schwarz.

Anfang der 90er-Jahre holte sie Designermarken nach Deutschland, die es sonst fast nirgendwo zu kaufen gab: Martin Margiela, Walter van Beirendonck, Jan Welvaert, Jean Paul Gaultier, Vivienne Westwood, Marc LeBihan. Trends haben sie nie interessiert, stattdessen außergewöhnliche Stoffe und Schnitte und gute Qualität: „Beim Einkaufen von Kleidung sagten mir die Händler oft, was am besten läuft. Da wusste ich immer sofort, dass ich mich davon fernhalten werde.“ Das habe damals, als es weder Modeketten noch Online-Shopping gab, viel besser funktioniert als heute. „Die Menschen waren offener, experimentierfreudiger, nicht so angepasst. Das fehlt mir, wenn ich heute durch die Straßen laufe.“

Die Zeiten haben sich verändert, auch deswegen fällt ihr der Abschied nicht ganz so schwer. Säße sie Mitte der 90er-Jahre mit den Jungs von Kraftwerk oder den Toten Hosen zusammen und hätte dann ihren Laden aufgeben müssen – das hätte sie viel stärker getroffen.

Durch die Erkrankung hat sie gemerkt, was wirklich zählt im Leben: die Familie. „Es klingt alles so nach ollen Sprüchen, aber so ist es nun mal und ich kann es ja auch nicht ändern.“ Mit ihrem Mann ist sie vor drei Jahren wegen der Familie nach Hamburg gegangen, ihr Sohn, seine Frau und ihre zwei Enkel leben dort. Die beiden Kinder seien die beste Krebstherapie, die sich vorstellen könne. „Dass ich noch so gut drauf bin, habe ich nur ihnen zu verdanken. Sie sind voller Energie, das steckt an.“

Hamburg mag sie gern, auch die Menschen kann sie gut leiden. Die seien gar nicht so stur, wie alle immer sagen, dafür hedonistischer und offener als die Düsseldorfer. „Ich passe hier gut hin.“ Zurzeit befindet sie sich in einer Langzeit-Krebstherapie, die noch drei Jahre dauern wird. Bis dahin hat sie sich vorgenommen, das Leben so zu nehmen, wie es kommt. Aber nur krank zu sein und rumzuliegen, damit könne sie sich nicht anfreunden.

Und weil es das Leben so gut mit ihr meint, davon ist sie nach allem immer noch überzeugt, muss sie das auch nicht. Kurz nachdem sie sich entschlossen hatte, ihren Laden zu schließen, öffnete sich eine neue Tür. Ein paar Hamburger Designer kamen auf sie zu und fragten, ob sie Teil ihres Kollektivs sein möchte. Tracks nennt sich die Gruppe aus jungen Kreativen, Altersdurchschnitt Ende 30.

Anfangs war sie etwas verwundert, fragte sich, was diese jungen Leute mit ihr anfangen sollen. Gleichzeitig merkte sie aber auch, dass sie sich immer noch nicht alt fühlt – und dass sie trotz Krankheit fitter ist als viele andere. Sie willigte ein und kann jetzt arbeiten, wie und wann sie möchte. Die Designer des Kollektivs präsentieren ihre Arbeiten in Pop-up-Stores, Clubs, Ausstellungen und anderen Veranstaltungen, auf denen sich Hamburgs Kreativszene tummelt. So kann sich Ela auch mal ein paar Tage rausziehen, wenn es ihr nicht gut geht, und sich umso mehr einbringen, wenn sie genug Energie hat.

Auch ihre eigene Kollektion möchte sie weiterentwickeln. Unter dem Namen „Ela Selected“ sind im Laufe der Jahre Kleidungsstücke entstanden, die nur aus geometrischen Formen bestehen: Kreise, Quadrate, Kreuze. Es gibt nur eine Größe, keine Knöpfe und keine Reißverschlüsse. Durch Raffungen und Bindungen können die Stücke quasi an jeden Körper angepasst werden. Diese Kollektion bedeutet ihr immer noch sehr viel, neue Ideen schwirren ständig durch ihren Kopf. „Jetzt habe ich endlich den Kopf und die Zeit dafür, sie umzusetzen.“

Dass sie irgendwann nach Düsseldorf zurückkommt, kann sie sich nicht vorstellen. Aus familiären Gründen, aber auch aus gesundheitlichen. In Hamburg werde sie von einer tollen Ärztin behandelt, regelmäßig fährt sie nach St. Peter Ording, um dort stundenlang am Strand zu spazieren. „Der Norden meint es gut mit mir“. Einen weiteren Umzug würde ihr Körper nicht überstehen. Auch weil sie den Verdacht hat, dass der Wohnortwechsel nach Hamburg ihre Krebserkrankung begünstigt hat. „Das war eine wahnsinnig stressige Zeit. Wir sind ja nicht nur mit unserem Haushalt umgezogen, sondern mit dem gesamten Laden.“

Das Kinderbuch ihres Sohnes hat Ela übrigens immer noch. Ihr Mantra hat in den vergangenen Monaten aber noch den Untertitel als Zusatz bekommen, der für sie mittlerweile mindestens genauso wichtig ist: „Fürchtet euch nicht – es bleibt spannend!“. 


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