Das neue Leben von Isa Fiedler
Die besten Geschichten entstehen im Kopf des Redakteurs. Bevor ich Isa Fiedler in ihrem neuen Umfeld besuchte, ging ich davon aus, dass wir über den schwierigen Wechsel von der Theke an den Schreibtisch sprechen, vom Duzen zum Siezen, vom T-Shirt zum Hosenanzug. Bis auf eine halbe Ausnahme hat nichts von diesen Gedanken etwas mit ihrem neuen Alltag zu tun.
Isa Fiedler arbeitet jetzt in einem roten Backstein-Gebäude am Rande von Rennbahn, Hafen und Innenstadt in Neuss. In Büro 1.10 stehen ein paar sehr funktionale, hellgraue Büromöbel, wenig genutzter Stauraum, ein paar Fotos und der Rhein-Fire-Rucksack der neuen stellvertretenden Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Nordrhein. Vorübergehende Mitbewohner des Raums sind zwei Urkunden, die Isa Fiedler bald langjährigen Mitgliedern in Velbert und Mönchengladbach verleiht. Um das tun zu können, hat sie zu einer ungewöhnlichen Maßnahme gegriffen.
Die gebürtige Düsseldorferin nahm Fahrunterricht, im Januar und Februar jede Woche eine Doppelstunde. Weil der neue Job sie bis zur niederländischen Grenze und bis ins Bergische Land bringt – und weil sie in den vergangenen Jahren so gut wie nie selbst gefahren war. Zwischen Wohnort Remscheid und Arbeitsplatz Altstadt war sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, und wenn sie im Großhandel für ihre Kneipe einkaufte, fuhr ihr Mann. Bei Leuten, die sie gut kennen, sorgte Isa Fiedler für einige verwirrte Blicke, als sie erzählte, dass sie sich jetzt wieder selbst ans Steuer setzt.
Ihr Lehrer war da gnädiger. Schon nach der dritten Stunde sagt er, dass das Problem nur im Kopf der Schülerin existiert. Sie zog die gebuchten Stunden dennoch durch. Jetzt hat sie einen Ort, an dem Spurhalter, Tempomat, Automatik und Abstandhalter ihr das Leben angenehm leicht machen. Und an dem sie in Ruhe schief singen kann und dabei/dagegen die Musik nicht so laut aufdrehen muss wie früher in ihrer Kneipe.
Dieses neue Leben bahnte sich seit dem Sommer an. Damals erklärte Isa Fiedler, dass sie nach 25 Jahren die Leitung des „Knoten“ abgibt, als Sprecherin der Altstadtwirte aufhört und zum Dehoga wechselt. Ihr Körper habe ihr deutlich signalisiert, dass er den Stress so nicht mehr lange mitmachen werde. Im September übergab sie dann an die neuen Betreiber Hubert Klein und Robin Reinicke.
Die größte Umstellung, die der 1. Oktober mit sich brachte, war nicht das Selbstfahren, sondern waren zwei Uhrzeiten. Aufstehen ist nun um Viertel nach fünf angesagt, um noch einigermaßen ohne Stau von Remscheid nach Neuss zu kommen und dort um halb acht anzufangen. Folglich geht es abends nicht mehr wie früher um eins oder zwei ins Bett, sondern um zehn. „Na gut, machen wir uns nichts vor – um elf.“ Am Anfang habe ihr Körper auf die neue Zeit schon komisch reagiert, „als er dann aber um 5.15 Uhr aufstehen musste, fand er das dann doch nicht so schlecht“.
Der erste Freitag im neuen Job brachte die nächste neue Erfahrung. Isa Fiedler kam um halb sieben abends nach Hause und konnte zu ihrem Mann erstmals einen schönen Satz sagen: „Hoch die Hände, Wochenende“. Die dauerhaften Rückenschmerzen sind seitdem weg, die ständige Rufbereitschaft und der damit verbundene Blick aufs Handy sind es auch.
Beim Dehoga kümmert sich die stellvertretende Geschäftsführerin naturgemäß mehr um ga als um ho und kann dies freier tun als früher als Sprecherin der Altstadtwirte. Während sie damals an manchen Treffen und Rundgängen nicht teilnahm, weil sie als Inhaberin des Knoten immer auch eigene Interessen hatte, ist sie jetzt überall dabei. Und beide Seiten, die Städte und die Gastronom:innen, sind froh, dass jemand mit dem Wissen einer Wirtin zwischen ihnen vermittelt.
Während der Fußball-Europameisterschaft wird das voraussichtlich besonders deutlich. Die Behörden machen Rundgänge, um vor Ort die Lage einzuschätzen, weil Kameras keine Stimmung zeigen. Isa Fiedler wird dabei sein. Wenn die Verantwortlichen dann etwa entscheiden, dass aus Sicherheitsgründen eine Kneipe ihre Terrasse abbauen muss, wird Isa Fiedler erklären, welche (wirtschaftlichen) Folgen das hat, und einen möglichst milden Weg oder einen guten Ausgleich vorschlagen. Ein Beispiel: Das bei möglichen Randalen kleine Tische und Stühle weggeräumt werden müssen, ist klar. Aber schwere Stehtische aus Holz könne man meist stehen lassen. „Die haben denkbar schlechte Flug-Eigenschaften.“
Wenn die gelernte Reisekauffrau nicht in solchen Situationen in die Altstadt muss, dann ist sie dort nun auch normaler Gast. Zumindest zu 80 bis 90 Prozent. Mit ihrem Mann hat sie vereinbart, dass sie einmal im Monat einen Knoten-Abend machen. Dann lässt die frühere Chefin den Blick schweifen („Das kannst Du gar nicht verhindern“), aber sie macht keine Inspektion. Wenn ihr etwas auffällt, sagt sie Bescheid, wenn nicht, freut sie sich über die netten Menschen, für die sie nun mehr Zeit hat.
Kleiner Nachteil: Viele der netten Menschen freuen sich, dass sie endlich mal in Ruhe mit Isa Fiedler ein Bier trinken können. „Das ist lustig, aber der nächste Tag meistens nicht.“ Die frühere Wirtin kann aber nun frei entscheiden, ob sie bleibt oder geht. Sie hat jetzt das Beste aus beiden Welten.
Der neue Teil ist ebenfalls mit vielen Gesprächen verbunden: Vorstandstreffen der Dehoga-Kreisgruppen, Besuche in Parteien und Behörden, Arbeit am Mitgliedermagazin, Preisverleihungen und die Euro-Arbeitsgruppe prägen den Kalender. Häufiger mal abends, seltener am Wochenende. Lobbyismus ja, aber im Sinne einer Branche, nicht einer einzelnen Kneipe oder eines Stadtteils.
Für den Football-Fan Isa Fiedler ist das Leben auch etwas leichter geworden. Sie muss nicht mehr so viel tun, um die Wochenenden für Auswärtsfahrten mit Rhein Fire freizuboxen. Dennoch zählt sie weniger Städte auf als im Vorjahr. Da hat sie vorsichtshalber alles nochmal gemacht, weil sie nicht wusste, was auf sie zukommt. Dieses Jahr ist sie doppelt gelassen.
Meine falschen Annahmen vor dem Treffen hat Isa Fiedler mit wenigen Sätzen erledigt. Neue Erfahrung Schreibtisch: „Was hast Du gedacht, wo ich sitze und arbeite, wenn mein Betrieb zu war? Weinend hinterm Tresen?“ Neue Erfahrung Siezen: „Wir duzen uns hier alle und bei den Betrieben, die ich besuche, schauen wir einfach, was passt.“ Neue Garderobe: „Ich habe vor meinem Schrank gestanden und festgestellt, dass auf zu vielen Kleidungsstücken das Knoten-Logo gedruckt war. Deshalb habe ich mir ein paar neue Blüschen gekauft.“
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