Der Erfinder der grünen Heinemann-Tüte ist tot
Sie ist entweder aus Papier oder aus Kunststoff, es gibt sie in unterschiedlichen Größen, aber die Optik ist immer gleich: Grün. Und zwar ein so auffallendes Grün, dass man sie auch auf viele Meter Entfernung erkennt. Hat man sie näher vor sich, sieht man noch einen Schriftzug in altmodischen Lettern: „Ich liebe Pralinen von …“. Womit klar ist: Wer diesen Geschmacksträger der eigenen Art bei sich hat, ist Kunde beim berühmtesten Chocolatier Düsseldorfs, legt Wert auf Qualität und dokumentiert das gern nach außen. Die Tüte ist also viel mehr ist als eine simple Tragetasche.
Erdacht hat diese Botschaft seinerzeit Horst Mindt. Zusammen mit Heinz-Richard Heinemann begann er in den 1970er Jahren, die Optik des Betriebes aufzupeppen, dem Ganzen eine unverkennbare Note zu geben. So schafften es die zwei, auch privat Partner, aus dem soliden Handwerkerbetrieb eine Firma mit Weltmarketing zu machen. Denn die Botschaft wurde unabhängig von gesprochener Sprache verstanden, die Kunden wussten und wissen ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, wer hinter dieser Symbolik steht. Und tragen sie in die Welt.
Bis zuletzt feilte Mindt, der ursprünglich bei Karstadt als Dekorateur gearbeitet hatte, an der Optik. Gestaltete er die Schaufenster, drückten sich Menschen draußen die Nasen platt. Torten, Kuchen und Pralinen waren zwar stets im Mittelpunkt, aber auch nur Teil einer inszenierten Deko, passend zu Sommer, Weihnachten, Ostern oder anderen Ereignissen. Die Innenausstattung der Geschäfte, die Kleidung des Personals – Mindt überließ nichts dem Zufall.
Als andere Einzelhändler den Begriff Corporate Identity noch nie gehört, geschweige denn verinnerlicht hatten, war Heinemann und Mindt längst klar, wie wichtig eine klare, unverwechselbare Kommunikation jenseits der gesprochenen oder geschriebenen Sprache ist. Daher ist die komplette Crew einheitlich gekleidet, schwarz-weiße Randstreifen (wie Klaviertastaturen) auf Blusen oder Schürzen sind zum Erkennungszeichen geworden, und der Kunde erkennt sofort wieder, wo er ist – egal, in welcher Filiale er sich befindet.
Selbst zwei leblose Figuren wurden zu Werbeträgern, sozusagen zu stummen Multiplikatoren: das lebensgroße Paar an einem Tisch im Café an der Blumenstraße. Für viele Besucher sind die zwei ein Highlight in dem wuseligen Betrieb: Der Mann und die Frau (mit Hund) sehen so echt aus, dass manche Besucher erst auf den zweiten Blick merken, dass es sich lediglich um gut gemachte Puppen handelt. Auch in der Kundenkommunikation zeigt sich der Gedanke um ein traditionsbewusstes nachhaltiges Image: In der Weihnachtszeit ist es der Firma zum Beispiel wichtig zu betonen, auf keinen Fall schon im Herbst mit festlichem Gebäck in die Auslage zu gehen. Regelmäßig bedankt man sich vor den Feiertagen für die Geduld der Einkaufenden, die sie (hoffentlich) zeigen im Geschäft und an der Kasse.
Heinemann ist berühmt für seine Torten – und seine Pralinen. Trüffel aller Art werden dort jeden Tag in riesigen Mengen verkauft – und vor allem die Champagne-Trüffel sind berühmt. (Warum im Namen das „r“ fehlt, habe ich vor einigen Monaten hier erklärt.) Die Tüte jedoch ist das bekannteste Wahrzeichen. Mindt war damals für Grün, weil die Farbe für ihn viel mit Frühling, Gras und Wohlfühlen zu tun hat.
Dass man die altmodische Schrift darauf nie änderte, ist Teil der Firmenphilosophie. Inhaber Heinz-Richard Heinemann schwört darauf, an Traditionen festzuhalten, wenn sie besser sind als Neues. Das signalisiert er mit dieser Schrift. Weiß auf Grün – grafisch eigentlich ein No go, seinerzeit aber aus Kostengründen ausgewählt, weil die ursprünglich gewünschte Farbe Rot zu teuer war. Also entschied man sich für ein Aussehen, das bis heute kaum verändert worden ist: grüne Tüte, weiße Schrift. Bei der Aufzählung der Standorte steht Düsseldorf oben, obwohl das Unternehmen eigentlich aus Mönchengladbach stammt.
Was folgte, war buchstäblich ein Siegeszug um die Welt. Regelmäßig kommen bei Heinemann Fotos aus aller Herren Länder an, auf denen er seine Tüte vor bekannten Wahrzeichen sieht. Touristen, die in Düsseldorf einkauften, nutzen die Tüte auch weiter auf Reisen. Manche schickten Fotos von ihren Hunden oder Katzen, die darin sitzen. Was übrigens die Beliebtheit der Plastikversion erklärt: Sie hält schlicht länger. Ein besonderes Bild kam einst aus Indien. Darauf sieht man einen Mann, der vor einem Tempel Wollsocken für die Besucher der heiligen Stätte anbietet – und die Strümpfe in einer Heinemann-Tüte lagert.
Typisch ist auch, dass japanische Touristen besonders gern den Baumkuchen kaufen. Aber egal, wie viele sie mitnehmen, sie nehmen immer noch ein paar Tüten mehr dazu. Auch in ihrer Heimat ist das offenbar ein Statussymbol: Seht her, ich war in Düsseldorf und habe dort in einem der renommiertesten Geschäfte der Stadt eingekauft. Übrigens ist es noch nie vorgekommen, dass ein Kunde seine gebrauchte Tüte wieder mitbringt beim nächsten Einkauf. Nein, man will eine neue haben – in dieser berühmten Farbe.
Grün war auch in Mindts Privatleben wichtig. Seit vielen Jahren verbrachte er die meisten Wochenenden in einem Haus in der Eifel, das einst den Eltern Heinemanns gehörte. Es war sein Paradies, mitten in der Natur, dort hielt er Schafe und Kaninchen. Wenn er sie fütterte, trug er das Futter sehr oft in – na, was wohl? In einer grünen Heinemann-Tüte.
Nun ist ihr Erfinder gestorben, im Alter von 75 Jahren. Sein Partner ist hörbar berührt und traurig, die Mitarbeiter sind geschockt. Ihm selbst, das tröstet sie, würde diese Art des Endes gefallen haben: Er starb binnen Sekunden, bei der Arbeit im Betrieb in Mönchengladbach.
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Erster Besuch bei Heinemann in Düsseldorf: Krümeln auf der Kö