Der “Komplize“ des Sonnenuntergangs

Der Song, den man jetzt beim Lesen im Hintergrund laufen lassen könnte, heißt „Moments in Love“ von Art of Noise. Warum? Dazu kommen wir noch. Der Protagonist des Textes heißt Stephan Schall, 57, auch bekannt als „DJ Schalli“ und (für Insider) „Schallmeister“.
Es ist Freitagmittag, und Schall ist für den Interview-Termin aus Oberkassel über die Kniebrücke geradelt. Trägt kurze Hose, Adidas-Sneakers, ein „Made in Florence“-Shirt und eine blau-weiße Kappe von North Sails. Wir sitzen auf einer Stufe am Hyatt Regency Hotel. Vor uns öffnet sich der Panoramablick auf City, Fluss und Medienhafen: die Fußgängerbrücke über der Hafeneinfahrt, die Gehry-Bauten, der Rheinturm. „Das war damals vermutlich der schönste und bestgelegene Arbeitsplatz der Stadt“, sagt Schall und zeigt auf die untere Ebene der Landzunge, wo zwei einsame Pflanzenkübel stehen und sonst alles aus Beton ist, sogar die Sitzbänke. Von 2003 bis 2006 war die Hafenspitze an der Speditionsstraße komplett mit feinem Sand bedeckt, hier und da von Bäumen beschattet. Über 5000 Quadratmeter mit drei Strandbars, einem Biergarten, dutzenden Strandkörben, Rattanmöbeln, Sonnenschirmen, einem Beachvolleyball-Feld und dem Edel-Restaurant im ehemaligen Feuerwehrhaus. Dazwischen: der „Mais-Garten“ von Pflanzenkünstlerin Tita von Giese, die Affenskulpturen von Jörg Immendorff und ganz vorne, exponiert: das DJ-Pult.
Die Rede ist von „Monkey‘s Island“, dem ersten urbanen Beachclub Deutschlands, von dem nicht nur viele Düsseldorfer bis heute sagen, er sei der schönste seiner Art gewesen. Dass Stephan Schall von Anfang an mit von der Partie gewesen ist – das hängt nicht zuletzt mit dem erwähnten Art-of-Noise-Song zusammen, den nur wenige beim Namen, aber viele vom Hören kennen.
Schalls Vorgeschichte, von der ich nun erfahre, geht so: Der gebürtige Viersener hat mit fünf Jahren angefangen, Feldhockey zu spielen – als Torwart, wie sein Großvater. Neben Schule und Studium spielt er in der ersten und zweiten Bundesliga in Krefeld, Essen und Düsseldorf. Höhepunkt 1994: ein Europapokalsieg mit Uhlenhorst Mülheim. Musikbegeistert ist er ohnehin, doch erst, nachdem er mit Ende Zwanzig durch eine Verletzung die Sportkarriere beenden muss, kann er das vertiefen. 1995 besucht er zum ersten Mal das „Café del Mar“ auf Ibiza – jenes Lokal an der Strandpromenade von Sant Antoni, wo der Sonnenuntergang mit Lounge- und Chillout-Sounds zelebriert wird wie nirgendwo sonst. „Dort habe ich José Padilla auflegen sehen, den Macher der Café-del-Mar-Compilations“, erzählt Schall. „Den Abend habe ich bis heute nicht vergessen, und als Padilla Moments in Love spielte, war ich total gerührt, weil das einfach perfekt zur Atmosphäre passte.“ Er nimmt nicht nur einen neuen Lieblingssong mit nach Hause, sondern auch die Erkenntnis, dass DJs nicht notwendigerweise Musik zum Tanzen auflegen, „sondern auch für Herz und Seele“.
Vor dem ersten DJ-Job hat er bereits Gastro-Erfahrung gesammelt, im Sommer auf Sylt in der „Kupferkanne“ gekellnert ebenso wie im „Sassafras“ in Oberkassel, einem Treffpunkt der Hockeyspieler vom Düsseldorfer HC. 1997 legt er im Bar-Restaurant „Liebevoll“ in Oberkassel (heute „Brasserie Hülsmann“) auf, in dem an den Wochenenden auch mal bis 3 Uhr gefeiert wird. Später wechselt er als Stamm-DJ ins „Liebevoll“ an der Ratinger Straße, einer Bar mit Tanzfläche und über mehrere Jahre einer der In-Treffs der Stadt. Stephan Schall verwandelt sich in „DJ Schalli“. Noch spielt er hauptsächlich Dancefloor-Stücke – bis 1998 an der Steinstraße der Club „Bankers Boulevard“ eröffnet und Schalli als DJ für den Bar-Bereich erstmals die Vorliebe für zurückgelehnte „Café del Mar“-Klänge ausleben kann.
So wird Rainer Wengenroth, damals gemeinsam mit Tote-Hosen-Manager Jochen Hülder für Club und Bar im „Malkasten“ verantwortlich, auf ihn aufmerksam. Als Wengenroth und Hülder um die Jahrtausendwende den Club mk-2 im Medienhafen eröffnen, verpflichten sie Schalli als Lounge-DJ für die dienstägliche After-Work-Party. Da liegt es nahe, dass Schalli 2003 auch beim Citybeach-Projekt von Wengenroth und Helge Achenbach mit an den Start geht. Quasi: Düsseldorfs „Café del Mar“, wo genau der Sound gefragt ist, auf den Stephan Schall sich spezialisiert hat. „Das Monkey‘s ist sehr schnell gewachsen“, erzählt er. „Es gab anfangs nur eine Hütte vorne, und dann ging das Ding zwischen Ostern und Pfingsten durch die Decke und wurde immer größer, mit unterschiedlichen Bars und Schwerpunkten.“


Der neue Beachclub zieht bunt gemischtes Publikum an: Freundes-Cliquen treffen sich im Biergarten, Familien mit Kindern chillen am Spielbereich, die Bourgeois Boheme diniert im Restaurant, die Elektro-Szene feiert in der Chiringo-Bar, und gegen Abend nehmen die Leute mit Bier, Wein oder Sekt im Strandkorb Platz – wenn sie denn einen freien finden: Im ersten Jahr, dem „Jahrhundertsommer“, ist jeden Tag gutes Wetter, die „Affeninsel“ boomt und schafft es schließlich bis in die Tagesthemen. DJ Schalli braucht Verstärkung und schlägt Zambo vor. Man kennt sich aus Oberkassel, aus der Altstadt und von Formentera, wo Zambos bester Kumpel und Schallis DJ-Vorbild Dieter Pohl, eine Filiale des aus der Altstadt bekannten „Indiana-Cafés“ betreibt.
„Die Kulisse mit dem atemberaubenden Blick war der Star auf Monkey‘s Island, da brauchte keiner nach Ibiza zu fliegen, das war wie Urlaub zu Hause“, sagt Schalli. Er und Zambo liefern den passenden Soundtrack, werden zu „Komplizen“ des Sonnenuntergangs – vier Sommer lang, bis das Lokal 2006 schließen muss. Bis dahin erlebt das Nacht- und Szeneleben im Medienhafen seine bisherige Hochphase, mit „Monkey‘s Island“ als Warm-up für die Clubs „3001“, „Harpune“ und „mk-2“. Während des „Sommermärchens“ 2006 gibt sich sogar die italienische Nationalmannschaft mehrmals die Ehre: „Das Team wohnte während der WM im Landhaus Milser im Süden von Duisburg, und an spielfreien Tagen trudelten die hier ein.“ Gut möglich, dass die Italiener mitbekommen, wie DJ Schalli seine „Café del Mar“-Hymne „Moments in Love“ auflegt.
Ganz sicher erleben sie den Song, den Schalli und Zambo zur „Monkey‘s Island“-Hymne auserkoren haben: „Hotel California“ von den Eagles. Die beiden spielen das Stück immer dann, wenn die Sonne hinter der Plange Mühle langsam im Hafen-Meer versinkt – in einer wenig bekannten Live-Version mit Publikumsreaktion. „Das war jedes Mal ein berührender Moment“, sagt Schalli. „Manche haben sogar zu Hotel California getanzt, obwohl das Stück eigentlich nicht dazu einlädt, und oft passierte es, dass die Leute beim Sonnenuntergang in den Applaus vom Band einstimmten.“
Beinahe, so erzählt Schalli, hätte der Song sogar noch weitere Kreise gezogen: Helge Achenbach ist nach dem Riesenerfolg der ersten „Affeninsel“-Saison so euphorisiert, dass er das von der Stadt für die Landzunge geplante Hotel, am liebsten selbst bauen lassen möchte. Den Wunsch-Namen liefert ihm Schallis und Zambos Sundowner-Hit: „Hotel California“.

Es kommt anders: 2010 eröffnet eben jenes Hotel der Hyatt-Kette, vor dem wir beim heutigen Interview sitzen. Ein komisches Gefühl, 20 Jahre nach der „Monkey‘s Island“-Premiere? „Am Anfang war ich ein bisschen traurig, dass dieser einmalige Ort verschwunden ist, habe aber nun schon lange meinen Frieden damit gefunden“, sagt Stephan Schall. „Ich denke gern daran zurück, aber ich bin kein Typ, der in der Vergangenheit lebt.“
Die Zeit auf „Monkey‘s Island“ war für ihn ein Türöffner: Seitdem arbeitet er hauptberuflich als DJ. Und wenn er nicht gerade privat einen seiner Lieblings-Beachclubs an der niederländischen Nordseeküste besucht (siehe Tipps am Ende dieses Textes), legt er in und um Düsseldorf auf und wird von Agenturen für Hotel-Events und Hochzeiten in Deutschland, Spanien, Österreich (besonders rund um Kitzbühel) und Italien verpflichtet.
„Eigentlich immer“ spielt er dabei auch „Hotel California“, in der aus dem „Monkey’s“ bekannten Live-Version. Auch für den 2012 verstorbenen Zambo.
Nach dem Gespräch schwingt sich Stephan Schall aufs Fahrrad und fährt zurück nach Oberkassel, und eigentlich wäre der Text hier zu Ende – wenn nicht das folgende Zitat von Rainer Wengenroth, dem Mit-Erfinder von „Monkey’s Island“, dazwischen gekommen wäre: „DJ Schalli hat dem chilligen Ibiza-Sound an der Hafenspitze eine Düsseldorfer Handschrift gegeben, die perfekt zum Publikum passte.“
Weiterführende Informationen
Wie es mit dem Protagonisten weiterging
Stephan Schall alias DJ Schalli legte nach seiner Zeit auf „Monkey‘s Island“ u.a. in den Restaurants „Monkey‘s West“ und „Monkey‘s East“ sowie im „Dr. Thompsons“ und dem „25Hours Hotel“ auf. Außerdem war er Resident in der „Blue Bar“ auf Formentera sowie an der Bar der „Nachtresidenz“ und spielt traditionell über Karneval im „Ohme Jupp“. Aktuell kann man ihn donnerstags im „Chez Claude“ in Heerdt live erleben. Mehrmals im Jahr fährt er an den Gardasee, um dort im edlen „Grand Hotel Fasano“ als „unser Resident-DJ aus Düsseldorf“ aufzulegen.

DJ Schallis Alltime-Monkey’s-Island-Top10
1. Hotel California (Rare Live Version) – Eagles
2. Adam In Chains – Billy Idol
3. Beachball (Andry meets Schalli @ Monkey‘s Island Remix) – Nalin & Kane
4. Adios Ayer – José Padilla
5. Moments In Love – Art Of Noise
6. L’Esperanza – Sven Väth
7. Offshore (Ambient Mix) – Chicane
8. Swimming Places (Sabaudia Gabin Remix) – Julien Jabre
9. Sweet Summer Day – Chris Rea
10. Chi Mai – Ennio Morricone
Schallis Beachclub-Tipps für die Niederlande
Bloemendaal aan Zee
Woodstock’69, Zeeweg 94, tent 7 (BL10), woodstock69.nl
Republic Bloemendaal, Zeeweg 92 BLM1, republiekbloemendaal.nl
Zandvoort
Hippie Fish, Boulevard Paulus Loot 3, hippiefish.nl
Ubuntu Beach, Boulevard Paulus Loot 1, ubuntubeach.nl
Noordwijk
Branding Beachclub, Koningin Astridboulevard 105, brandingbeach.nl
Tulum, Zeereep 104, tulumtulum.nl
Breskens
Loods Tien, Nieuwesluisweg 50, loodstien.nl