Die Frau ihres Lebens

Die Gäste einer Hochzeit waren die letzten, die Käthe Köstlich gesehen haben. Im Juli 2020 sang sie ein paar Lieder auf der Feier eines befreundeten Pärchens. Das Virus war damals, wenn schon nicht in der Lunge, so doch zumindest in den Köpfen der Leute. Der letzte öffentliche Auftritt mit vielen Menschen und wenig Abstand lag da bereits fünf Monate zurück. Altweiber. Das ist schon so lange her, dass Köstlich nicht mal mehr weiß, wo genau. Neuss? Kaarst? Sie sang und moderierte. Manch einer ahnte bereits, dass die Fastenzeit diesmal viel länger dauern sollte. Wer in diesen Tagen, die nur noch unter &bdquo;in diesen Zeiten“ firmieren, die Kunstfigur Käthe Köstlich erleben möchte, muss ins Internet gehen. Bloß hilft das kaum weiter. Nicht nur, weil die Youtube-Clips locker vier bis neun Jahre alt sind, sondern auch, weil Köstlich mittlerweile 70 Kilogramm weniger wiegt. Sowieso ist sie keine Figur, deren Reiz sich über Bildschirm und Konserve überträgt. Zu sehen ist eine stark geschminkte, große Frau, Typ Diva, mit wechselnden Perücken und XXL-Outfits, in die man auch Geschenke oder große Schokoeier einpacken könnte. Sie steht auf Bühnen, covert ABBA oder singt über die Unnötigkeit von Sixpacks, textsicher, nicht immer stimmsicher. Sie lässt sich von Lokalfernsehmoderatoren interviewen. Ein Clip zeigt sie bei dem mühevollen Versuch, über eine Leiter in eine Badewanne zu steigen, die auf einer Holzplattform steht. Sie trägt dabei einen Badeanzug, darüber ein Handtuch. Aber selbst in diesen eher mit dem Smartphone gefilmten als professionell aufgezeichneten Auftritten wird klar: Käthe Köstlich ist eine Frau, die sich nicht beirren lässt. Selbst an der Grenze von Travestie und Trash nicht. Auch der Mensch, der Käthe Köstlich so nahe ist wie niemand sonst, muss gerade ohne sie auskommen. Katharina hat zwar einen Nachnamen, aber nennen möchte sie den nicht. Alter darf man schreiben, 54, Wohnort Düsseldorf-Wersten auch. Katharina reicht es, wenn ihre Bühnenfigur in der Öffentlichkeit steht. Vor knapp 35 Jahren trat Käthe in ihr Leben und blieb, und dann fielen ab März 2020 alle Auftritte aus. Nach Karneval hätte die Kirmessaison begonnen, sie war für Schützenfeste gebucht, Charity und irgendwann die Weihnachtsfeiern. Katharina rechnet nicht damit, vor 2022 noch mal aufzutreten. Statt 30 bis 50 Auftritten pro Jahr sind es nun null. &bdquo;Mir fehlt es massiv“, sagt sie. Und meint damit nicht das Geld, das ihr entgeht. &bdquo;Bei mir gilt nicht: Köpfchen senken, Tittchen schwenken, einfach an die Flocken denken. Ich denke eher: Ich mach das gerne, weil die Leute begeistert sind. Wenn die Leute sagen: "Mir geht es seit Wochen scheiße, aber du hast mich in eine ganz andere Welt gebracht.“ Und sich selbst gleich mit. Einmal hat ihr ein Arbeitgeber vorgeworfen, dass sie trotz Krankmeldung – sie war auf dem Weg zum Burnout – auf der Bühne gestanden habe. Ja, sagte sie, weil die Ärztin gesagt habe, das sei für sie positiv. &bdquo;Menschen gehen dreimal die Woche ins Fitnesscenter, fahren 150 Kilometer Rad oder spielen Golf. Mein Ausgleich ist die Bühne.“ Man bot ihr an, im Open-Air-Kino in Düsseldorf aufzutreten, sie lehnte ab. &bdquo;Ich gucke nicht in einen Scheinwerfer-Spot von einem VW Beetle und erfreue mich daran. Das Publikum muss mir etwas zurückgeben, damit ich weiß, womit ich arbeiten kann. Ich habe kein Programm, bei dem ich einfach auf Start drücke. Ich gucke mir an: Wen kannst du auf die Schippe nehmen? Bei wem musst du aufpassen, dass er nicht gleich nach Hause geht, weil er stockkonservativ ist?“ Immerhin war sie auf das Geld nicht angewiesen. Vor Corona arbeitete sie als Bodenstewardess für Air France am Düsseldorfer Flughafen. Doch als keine Maschine mehr abhob, wurde sie nach Hause geschickt. Kurzarbeit. Das hielt sie noch zwei Monate aus, dann hatte sie das Gefühl, ihr falle die Decke auf den Kopf. Bis zur Rückkehr zum Flughafen leitet sie das Sonnenstudio, das sie selbst immer besucht hat. Nicht nur die Auftritte selbst fehlen ihr. Es ist auch die Vorbereitung, die Verwandlung. Als Katharina braucht sie morgens nur fünf Minuten im Bad, sagt sie, für Käthe nimmt sie sich eine Stunde. &bdquo;Da finde ich schön, dass ich mehr machen kann. Ich brauche die Zeit. Das Schminken, das Umkleiden, das Aufsetzen der Perücke. Da passiert schon was. Ich bin nicht einfach so eine Hüpftante, die sich einen Kittel nimmt von der Oma und von der Mutti ein Kleid aus dem Schrank und eine Playback-Nummer trällert.“ Es ist nicht so, dass Welten zwischen Käthe Köstlich und Katharina liegen. Im Gespräch mit Katharina gewinnt man den Eindruck, sie ist zwar weniger geschminkt, weniger in Schale geworfen, weniger laut als ihr Bühnen-Alter-Ego. Aber eben keine graue Maus. Eine große, braungebrannte Frau, die man nicht übersieht. Dennoch sagt sie: &bdquo;Es ist immer einfacher, wenn man in die Garderobe geht, sich schminkt, in ein Kostüm schlüpft und nach draußen kommt – da sind die Leute lockerer, ich selbst bin lockerer. Die Leute nehmen es besser auf, als wenn ich das als Privatperson mache. Bei Käthe Köstlich denken die Leute: Haha, die ist aber lustig.“ Aber Käthe ist eben nicht Katharinas Trick, um sich Dinge zu trauen, die sie sich sonst nicht trauen würde. Und trotzdem gibt es zwischen den beiden eine Verbindung, die über die schlichte Tatsache hinausgeht, dass diese Person sich in diese Figur verwandelt. Köstlich hat Katharina nicht nur auf ihrem Weg begleitet, sondern ihr auch den Weg bereitet. Als Katharina 1967 auf die Welt kam, war sie ein Junge wie jeder andere auch. Die Eltern gaben ihm einen Namen, den Katharina heute nicht mehr nennen möchte. Sie stellt Udo, Uwe und Uli zur Auswahl. U. also wächst im Duisburger Stadtteil Kaiserberg auf. Man erwartet Schilderungen einer schweren Kindheit mit Ausgrenzung und Identitätsproblemen, aber die liefert Katharina nicht. Dass vielleicht schon früh etwas in dem Jungen gearbeitet hat, zeigt eine Geschichte, die sich an Karneval zuträgt. Um ein Kostüm zu kaufen, geht U. als Vierjähriger mit seiner Mutter zu Karstadt. Sheriff will er werden. Die Mutter bringt ein Outfit, doch U. sagt, er möchte keine Jeans, sondern einen Rock und eine Perücke dazu. Er wolle als Sheriff-Frau gehen. Die Mutter erhebt keine Einwände. Dass er auf Männer steht, bemerkt er ungefähr mit 18. Der Vater ist bereits verstorben. Die Mutter hat kein Problem mit der Sexualität ihres Sohnes, nicht selbstverständlich Mitte der 80er. Die stockkonservativen Eltern der Mutter kommen damit hingegen nicht klar. Kurz nach dem frühen Tod ihrer Tochter brechen sie den Kontakt zum Enkelsohn ab. Und dann kommt Käthe. U., damals 19, ist mit seinem Freund beim Frisör in Moers. Der berichtet ihnen, dass er am Wochenende wieder mit seiner Travestie-Gruppe unterwegs sein werde. &bdquo;Vor 35 Jahren war das noch was Besonderes“, sagt Katharina. &bdquo;Da hast du dich teilweise noch versteckt, wenn du gesagt hast, du bist schwul.“ Also fahren sie einfach mit in die niedersächsische Kleinstadt Schneverdingen. U. hilft dem Trio La Diva, allesamt Männer, die sich als Frauen verkleiden, in der Garderobe. Als sie sich am Montag darauf in ihrem schwulen Stammlokal in Duisburg treffen, heißt es: Mach doch mit, wir suchen noch immer eine Dicke. U., der als Kind noch Eiskunstläufer gewesen ist, hat in der Pubertät stark zugelegt. Ein bisschen beleidigt ist er, aber dann denken sie bereits über einen Namen nach. Einen, den niemand vergisst. Ihm schwebt ein amerikanischer Name vor, etwas mit Glamour, etwas, das an schlanke, elegante, gutaussehende Frauen denken lässt. Doch die anderen denken wegen des Gewichts eher an Hertha oder Käthe. Dann kommt die Bistrochefin und räumt die Teller ab. Wie hat es denn geschmeckt?, will sie wissen. War köstlich, sagt jemand. So wird die Travestie-Figur Käthe Köstlich geboren. Eine, die sich von den anderen als Frauen auf der Bühne stehenden Männern schon durchs Gewicht abhebt. Als wenige Wochen später einer aus dem Trio ausfällt, fährt U. mit zum runden Geburtstag in eine Villa in Kamp-Lintfort. Er muss nur eine Nummer machen, ein Playback-Auftritt zu Vicky Leandros‘ &bdquo;Ich bin wie ich bin“. Bloß wird der Schallplattenspieler so beschleunigt, dass die Stimme wie die eines Babys klingt. U. trägt zu dieser Comedynummer eine Art Babydoll. Die Begeisterung der Leute gefällt ihm sofort. &bdquo;Ich bin nach Hause gefahren und sagte zu meiner Mutter: Das könnte mir gefallen. Ich glaub, ich fange damit an.“ Die Mutter sagt, so erinnert sich Katharina: &bdquo;Ich gebe dir Geld. Mach es nicht peinlich, mach es direkt richtig.“ Er geht zu einer Schneiderin, bestellt Kleider, kauft die erste Perücke. Ein bisschen Bammel hat er beim Pumps-Kauf in Größe 44. Doch im Schuhladen heißt es gleich: Sie stehen also auch auf der Bühne? Dann kommen Sie mal mit, da haben wir was. Erst sind es nur ein paar Auftritte, bald ist er fast jedes Wochenende unterwegs. Er lernt das &bdquo;Les Papillons“ kennen, ein kleines Keller-Cabaret an der Bismarckstraße in Düsseldorf. Als er dort anfängt zu arbeiten, zieht er nach Düsseldorf in eine 20-Quadratmeter-WG mit einer Freundin. &bdquo;Diesen Dialekt und dieses Herz fand ich schon immer schön“, sagt Katharina heute über Düsseldorf. Später tourt er mit der Figur Käthe Köstlich sogar zehn Jahre hauptberuflich von Auftritt zu Auftritt. Statt Playback singt er irgendwann selbst, ohne je Unterricht zu nehmen, auch eigene Lieder. Doch es passiert noch etwas viel Wichtigeres in seinem Leben. Für U. wird immer klarer, dass er äußerlich zwar ein Mann ist, sich aber als Frau fühlt. Schon mit Anfang 20 nimmt er Hormone, die ihm Brüste wachsen lassen. Bis er spürt, dass er sich entscheiden muss. Da schlägt seine Mitbewohnerin Petra vor, in die Stadt zu gehen und neue Kleidung zu kaufen. Die alten Sachen stopfen sie in in ein paar Müllsäcke. Von da an lebt U. als Frau. Mit einem roten Gehrock, einer rot-weißen Bluse und einem weißen Hut setzt sie sich auf die Terrasse des Bistros La Strada an der Immermannstraße und bleibt dort den ganzen Tag mit ihrem Fächer sitzen. Der Kellner...

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Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.

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