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„Die Mata-Hari-Passage war ein Kleinod“

Christian Schröer hat 20 Jahre in Düsseldorfs meistvermisster Ladenpassage gearbeitet. Im Interview erzählt er Insider-Geschichten von schrägen Szene-Vögeln, der „Superkundin“ Whitney Houston, einem straßenbahnfahrenden Mops und von Handschellen, bei denen die Schlüssel fehlten.
Veröffentlicht am 25. Oktober 2021
Christian Schröer Foto: Andreas Endermann
Christian Schröer hat diverse Deko-Utensilien aus der Mata-Hari-Passage gerettet. Foto: Andreas Endermann

Schachbrettboden, kultige Geschäfte, Glamour, Subkultur: Kein verschwundener Ort fasziniert die Düsseldorfer so sehr wie die Mata-Hari-Passage, kurz „die Mata Hari“ genannt. Vor Kurzem hat sich unser Autor Sebastian Brück auf die Suche nach den noch erhaltenen Spuren der 1972 eröffneten und 2002 geschlossenen Altstadtpassage zwischen Hunsrückenstraße, Flinger Straße und Bolkerstraße begeben. Jetzt geht er gemeinsam mit Christian Schröer (60), der zwei Jahrzehnte im Café Bistro gearbeitet hat, auf Zeitreise in die Vergangenheit. Schröers Erinnerungen und Anekdoten zeichnen das Bild eines schillernden Ortes, zugleich sind sie eine kleine Chronik von Düsseldorfs Szene der 1970er, 1980er und 1990er Jahre.

Wann haben Sie zum ersten Mal von der Mata-Hari-Passage gehört?

Schröer: Schon als Teenager Ende der 1970er, als ich noch in Essen lebte. Die Mata Hari kannte ich durch Besuche bei meiner Schwester, die damals bereits nach Düsseldorf gezogen war. Und die hatte mir schon angekündigt: Du, in der Altstadt gibt es so eine bekloppte Ladenpassage, so was hast du noch nie gesehen, da musst du unbedingt mal vorbeischauen. Das habe ich natürlich gemacht und war hin und weg. Die Mata-Hari-Passage war einfach etwas Besonderes, das gab es zu der Zeit nicht noch einmal in Deutschland. Alle Geschäfte waren total individuell. Da gab es zum Beispiel ausgefallene Strassklamotten in der Damen-Boutique Mafalda und High Heels bei Buzios, aber auch coole Jeansklamotten in den Läden vom Passagen-Betreiber Heinz Cremer und Lederjacken- und Hosen bei Klaus Kempgens. Sowohl die Leute, die dort gearbeitet haben, als auch viele der Kunden, waren schrill und außergewöhnlich. Das hatte etwas Glamouröses, das mich sofort faszinierte.

Der Mata-Hari-Passagen-Macher Heinz Cremer, der stets mit Schlapphut und in schwarzen Lederklamotten unterwegs war, galt als stadtbekannter Paradiesvogel.

Schröer: Der Heinz Cremer hatte ja seit Ende der Sechziger Jahre ein Geschäft namens Jeans-Palast geführt, das war in einer ersten Etage, schräg gegenüber vom Carsch-Haus, man ging so eine Treppe hoch. Dort verkaufte er sowohl neue Jeans, als auch Second-Hand-Jeans, und irgendwann hatte er die geile Idee, Tangas aus Brasilien zu importieren. Die sind dem wie geschnitten Brot aus der Hand gekauft worden. Das war ein echtes Highlight für die Leute, und es passte zur Aufbruchsstimmung und zum liberalen Geist, der sich zu der Zeit ausbreitete. Mit dem Tanga-Clou hat der Cremer eine Mördermark gemacht, und man könnte sagen, die Tangas haben ihm die Mata-Hari-Passage finanziert, die er wenig später aufmachte.

Sie haben von 1981 bis 2002 in der Mata-Hari-Passage gearbeitet. Wie kam das?

Schröer: Ich habe Tom Thomas kennengelernt, der ab 1972 innerhalb der Passage das Café Bistro betrieb. Und so kam es, dass ich dort begann im Service zu arbeiten. Später wurde ich sein Geschäftsführer, und ab 1999 habe ich das Café alleine verantwortet. Der Tom Thomas hatte ja vor den Mata-Hari-Zeiten bereits zwei schon lange nicht mehr existierende Bars an der Ratinger Straße: Das New York, auch NEW genannt, und das Triton. Und durch die Gastroszene kam er dann mit Heinz Cremer in Kontakt. Zunächst machte Tom im Bereich des späteren Passagen-Durchgangs zur Bolkerstraße die Disco Cabaret auf, die er dann wiederum unterverpachtete. Das Café Bistro kam erst einige Monate später hinzu. 

Das Cabaret galt als Szeneladen mit „harter Tür“, wo auch mal die Leute von Kraftwerk vorbeischauten.

Schröer: Das Publikum im Cabaret war schräg und glamourös. Der Laden war recht klein, mit einer Minitanzfläche aus Messing und einer langen Bar drum herum, dazu das DJ-Pult.  Da hingen dann all die bekloppten Vögel aus Düsseldorf und Umgebung rum – viele Szeneleute. Auch bekannte Transen wie Cora und Amina haben da gearbeitet, was damals noch etwas Besonderes war. Es war in der Tat nicht einfach reinzukommen, man musste schon ein außergewöhnlicher Typ sein oder jemanden kennen. Im Prinzip ähnelte das Publikum dem aus Ibizas Partyszene. Eine bunte und grelle Mischung, auch von der Musik her: Bowie, Kraftwerk, Funk, Disco. Man ging da hin, um zu sehen und gesehen zu werden. Überall waren Neonleuchten und Spiegel installiert, und die Sitzbänke am Rand waren mit Polstern im Leoparden-Look bezogen.

Einer der Cabaret-DJs machte dann als Resident des Pacha auf Ibiza Karriere.

Schröer: Genau, das war Guiseppe Nuzzo alias DJ Pippi. Anfang jobbte er auch noch als Verkäufer bei Santana, einem Modeladen an der Flinger Straße sowie im Plattenladen Studio 33 in der Passage, wo dann später ein anderer Plattenladen namens Soundsgood einzog. Bis zum Ende des Lokals war Pippi der Stamm-DJ im Cabaret. Man kann also sagen, dass ein später weltbekannter DJ seine ersten musikalischen Schritte in der Mata-Hari-Passage gemacht hat. Ich selbst bin in den 1980ern übrigens auch mal für ein Jahr nach Ibiza abgehauen. Das musste sein in dem Alter. Ich war Anfang zwanzig und Gogo-Tänzer im Pacha. Und zu der Zeit hat eben auch DJ Pippi, den ich aus der Mata Hari kannte, begonnen, im Pacha aufzulegen.

Ibizas Nachbarinsel Formentera galt ja damals als eine Art Düsseldorf-Süd, war aber keine Partyinsel. Könnte man sagen, dass wiederum die Mata-Hari-Passage ein verlängerter Arm Düsseldorfs zur Partyszene Ibizas gewesen ist?

Schröer: Ja, das kann man so sagen. Ibiza war gewissermaßen das St. Tropez von NRW, und wenn man da abends unterwegs war, traf man alle möglichen Szeneleute aus Düsseldorf – vom Model über den Schönheitschirurgen bis hin zum Boutiquenbesitzer. Leute, die in Düsseldorf auch Gäste und Kunden der Mata Hari waren. In der Passage sah man zum Beispiel auch oft Mora, Djin und Sascha. Das waren so Szenegrößen, die jeder kannte. Ein illustres Trio. Mora hatte in den 70ern die Disco „Mora´s Lost Angels Club“ an der Schneider-Wibbel-Gasse geführt, das war eine Zeit lang der Place to be in Düsseldorf – bis Mora den Laden schloss und mit den beiden anderen nach Ibiza ging. Mitte der 80er kamen sie dann zurück nach Düsseldorf, und Djin und Sascha legten in den Clubs Musik auf. Mora war eine extrem auffällige und einnehmende Persönlichkeit. Später gingen die drei wieder nach Ibiza, und heute gilt Mora dort als eine Art Legende der Hippie-Szene.

Später wurde das Cabaret geschlossen, zu Gunsten von weiteren Ladenlokalen.

Schröer: Irgendwann, circa 1984, kam es zum Streit zwischen Heinz Cremer und dem Cabaret-Pächter. Worum es da konkret ging, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls hat Cremer eines Morgens einfach die Türen des Cabaret ausgehängt und den Laden auseinander gepflückt und leer geräumt, und als der Pächter abends aufmachen wollte, war seine Disco verschwunden. Die beiden Parteien trafen sich vor Gericht wieder. An Stelle des Cabaret ließ Heinz Cremer auf Höhe von Ginas Schuhboutique einen Durchgang zur Bolkerstraße schaffen. Und so wuchs die Mata-Hari-Passage, und das Café Bistro hatte innen mehr Platz für weitere Tische und zusätzlich zur bereits bestehenden Außenterrasse an der Hunsrückenstraße Platz für eine weitere an der Bolkerstraße.

Zurück zum Café Bistro: Den Namen des Lokals haben ja nur wenige benutzt. Man sagte eher: Ich gehe in der Mata Hari einen Kaffee trinken. Wie kann man Nachgeborenen das Lokal beschreiben?

Schröer: Als Tom Thomas 1972 das Café Bistro aufmachte, gab es die Mata Hari schon zwei Jahre. Vorher standen in dem hinteren Bereich zwischen den Geschäften mehrere Sitzgondeln. Dort konnten die Kunden sich zwischendurch ausruhen, und sie wurden von einer Kaffeemaschine aus bedient, die in der Mafalda-Boutique stand. Das war die Vorstufe zum späteren Café, und als Tom dieses dann eröffnete, ging es in der Passage erst so richtig los. Das Lokal war sozusagen das Herz der Passage. Dort lief alles zusammen. Vom Haupteingang an der Hunsrückenstraße aus und später auch von den beiden weiteren Passagen-Flügeln an der Flinger Straße und an der Bolkerstraße stieß man automatisch auf das Café. Die Bar lag mittig zwischen den Geschäften, eine rechteckige Gastro-Insel. Überall gab es Neon-Reklame-Schilder und Krüge mit Farnen und Palmen, auch diverse Holz-Deko-Figuren. Mit dem Mahagoniholz und den Messingbeschlägen erinnerte das Ambiente zum Teil an einen englischen Pub. Die Tische und die Thonet-Stühle waren hingegen eher bistromäßig. Wenn es bei uns richtig voll war, kamen die Kunden kaum an die Boutiquen ran. Denn die Bar wurde oft in Dreierreihen belagert, das war schon ziemlich eng, der Abstand zu den Ladenlokalen betrug maximal zwei Meter.  Zum Glück waren die Tische festgeschraubt, sodass sie keiner umstellen konnte. Die Stimmung war immer großartig. Besonders am Wochenende war es ein kleines Abenteuer da durchzulaufen. Bei gutem Wetter im Sommer rollten wir den Eiswagen, der sonst am Rande des Cafés stand, einfach nach draußen auf die Hunsrückenstraße und bedienten von dort aus die Eiskunden.

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Um 1985 am Haupteingang Hunsrückenstraße: Christian Schröer und seine Kollegin Helga Hahn hinter dem Eiswagen. Foto: Christian Schröer 

Wie würden Sie das Publikum im Café Bistro der Passage beschreiben?

Schröer: Wir hatten von morgens sechs bis nachts offen, da war unter den Gästen alles vertreten, natürlich auch abhängig von der Tageszeit. Am Wochenende kamen morgens und vormittags Leute zum Frühstück – zum Teil auch welche, die bis dahin in den Kneipen und Discos gefeiert hatten. In der Woche kamen morgens oft die Anwälte vom Amtsgericht auf einen Espresso zu uns, und da konnte es passieren, dass ein paar Tische weiter Huren frisch von der Nachtschicht eintrafen, aus ihren Nerzen herausglitten und Prosecco bestellten. Etwas später am Morgen tranken dann Jugendliche aus den Schulen ihren Kakao mit Sahne, die eine Stunde frei hatten oder blau machten. Und im Laufe des Tages kamen die Shopper, wobei die Ladys oft ihre männlichen Begleiter bei uns im Café parkten. Nach dem Cafébetrieb gab es einen fließenden Übergang ins Nachtleben. Die Leute orderten Cocktails, Wein, Sekt oder Bier und zogen dann in andere Altstadtläden weiter. Manche Kunden waren ein wenig schickimicki, aber es war trotzdem jeder willkommen. Im Nachhinein ist mir noch mal bewusst geworden, wie extrem viel in den besten Zeiten der Passage bei uns konsumiert wurde. Wenn wir 600 Flaschen Champagner in der Woche verkauft haben, dann war das wenig.

Die Mata-Hari-Passage hatte auch den Ruf, dass dort öfter mal Prominente aufschlugen?

Schröer: Auf jeden Fall. In den 1980ern, der besten und erfolgreichsten Zeit der Mata Hari, gab es einen regelrechten Promi-Boom. Vielen kamen regelmäßig zu uns – auch solche, die gar nicht in Düsseldorf wohnten. Für die war die Mata Hari ein Pflichttermin, wenn sie ein Konzert oder einen TV-Auftritt in der Nähe hatten. Die Passage hatte sogar internationale Strahlkraft. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass die britische Band Roxy Music um Bryan Ferry zwei oder drei Mal vorbeischaute. Die haben im Cabaret gefeiert. Auch die Mädels von Boney M. waren gerne Gäste, wenn sie in der Stadt waren. Die haben sich erst bei Mafalda eingekleidet und dann im Bistro Kaffee getrunken. Nicht zu vergessen Whitney Houston: Die war gerade zum Weltstar aufgestiegen und brachte ihren eigenen Bodyguards aus den USA mit. Da wurde zeitweise die gesamte Passage abgesperrt, und als sie in der Lederboutique von Klaus Kempgens einkaufte, durfte kein anderer Kunde den Laden betreten.

Wer unter den prominenten Gästen ist Ihnen sonst noch im Gedächtnis geblieben?

Schröer: Einmal gab sich sogar der Alt-Bundespräsident Walter Scheel mit seiner Gattin die Ehre. Ein sehr netter und regelmäßiger Gast war der Schauspieler Thomas Fritsch, der kam meist gemeinsam mit seiner Kollegin Judy Winter. Die beiden haben ja oft in den Schadow Arkaden gespielt – im Theater von René Heinersdorff, der ebenfalls oft Gast bei uns war. Hella von Sinnen war auch lustig. Die hat uns damals eines der vielen Neon-Objekte abgekauft, die im Café Bistro hingen – ein riesengroßes und sehr altes Steiff-Neonschild. Hella war damals sehr präsent durch ihre RTL-Sendung Alles nichts oder?! mit Hugo Egon Balder, und Balder war auch oft bei uns. Der setzte sich morgens immer an einen ganz bestimmten Tisch und brauchte gar nicht zu bestellen, weil wir die Vorlieben unserer Stammgäste ohnehin schon kannten. Ansonsten fallen mir noch ein: Karel Gott, Peter Maffey, Milli Vanilli, Haddaway, Westernhagen, Sandra Cretu, Sven Väth, Bea Fiedler, Dolly Buster, Udo Jürgens, Bernhard Paul vom Circus Roncalli. Ach ja, und natürlich Udo Lindenberg. Der hatte nämlich ein sehr persönliches Verhältnis zu Düsseldorf, weil er mal im Hotel Breidenbacher Hof um die Ecke eine Ausbildung als Page gemacht hatte. Und als er dann berühmt war, stieg er als Gast im Breidenbacher Hof ab und ging bei uns Kaffee trinken.

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Christian Schröer bei der Arbeit im Café Bistro der Passage, Ende der 1980er. Foto: Inka Sorice

Düsseldorfer Promis haben Sie jetzt gar nicht erwähnt …

Schröer: Mir fällt kaum einer ein, der nicht bei uns gesehen wurde. Die Mitglieder der Gruppe Kraftwerk kamen von den 70ern bis zum Schluss immer mal wieder vorbei, wobei ich die von den Namen her gar nicht zuordnen konnte. Man wusste nur: Das ist einer von Kraftwerk. Zu Weihnachten besuchte uns Anfang der 80er mal das komplette Team von Fortuna Düsseldorf, damals noch mit den Allofs-Brüdern. Die kamen zur Mittagszeit und bestellten eine Runde Pfirsichbowle nach der anderen. Und Isabel Varell kaufte immer ihre Schuhe in der Passage, meistens begleitet von den TV-Moderatorinnen Birgit Schrowange und Isolde Tarrach.

Ansonsten hat man im Laufe der Jahre den einen oder anderen von den Toten Hosen gesehen, ebenso Doro Pesch, Ricky Shane, den DJ Andry Nalin. Und dann fällt mir auch noch Hape Kerkeling ein, der einige Jahre in Düsseldorf wohnte und in der Passage mal ein Foto-Shooting gemacht hat. Jörg Immendorf war natürlich auch da, der war bekanntermaßen ein echter Feierprinz und hat auch bei uns gerne Champagner bestellt. Tina Bordihn, die später als Schauspielerin bekannt wurde, kam schon als Schülerin zu uns, wenn sie mal eine Freistunde hatte. Auch Dolf Seelbach, der durch seinen Modeladen eine feste Szenegröße war, trank seinen Kaffee bei uns. Dieter Pohl vom späteren Indiana Café hatte mal eine Wohnung direkt über der Passage, demenentsprechend ging der bei uns ein und aus, oft in Begleitung seines Kumpels Erwin Koch alias DJ Zambo. Im Endeffekt war so gut wie jeder, der in den 80ern und 90ern viel in der Ausgehszene der Stadt unterwegs war, auch Gast der Mata-Hari-Passage.

Im Laufe der Zeit ist die Mata-Hari-Passage gewachsen und auch wieder geschrumpft. Wie ist das zu erklären?

Schröer: Gestartet hat Heinz Cremer die Passage 1972 mit einem Dutzend Läden. Damals gab es nur den Haupteingang an der Hunsrückenstraße. In den 1980ern ist die Passage mit den Durchbrüchen zur Flinger Straße und zur Bolkerstraße in die Breite gewachsen – und sogar in die Tiefe. Zwischenzeitlich gab es nämlich in dem zur Flinger Straße führenden Abschnitt sogar noch eine per Treppe erreichbare Tiefparterre mit kleinen Lädchen für den alltäglichen Bedarf – eine Reinigung, ein Schlüsseldienst und eine Änderungsschneiderei. Zu ihrer besten Zeit in den 1980ern dürfte die Passage um die 50 Läden bespielt haben. Ab Anfang der 1990er ging es langsam bergab: Damals entstanden viele neue Shopping-Malls in Düsseldorf, und die kamen schicker und moderner daher. Ich erinnere mich noch genau, wie der Passagendurchbruch zur Flinger Straße wieder geschlossen wurde – was ja eine bitter-tragische Note hatte, weil Tom ursprünglich aus Berlin kam und dort kurz zuvor die Mauer gefallen war – und wir mit der Belegschaft weinend vor der entstehenden Mauer standen. Man könnte sagen: Der Style und das Ambiente der Mata-Hari-Passage und des Cafés war von der Zeit überholt worden, wirkte womöglich auf viele etwas altbacken und verstaubt.

Kommen wir noch mal zum Passagen-Besitzer Heinz Cremer. Der war ja eine der schillernden Altstadt-Figuren. Man sah ihn oft im Umfeld der Passage, zum Beispiel beim Gassigehen mit zwei Afghanen.

Schröer: Ja, einer der Afghanen gehörte ihm, der andere war von Tom Thomas, und Cremer ist oft mit beiden Hunden gemeinsam spazieren gegangen. In der Passage hatte Cremers den Spitznamen Vatter, das passte ja auch mit dem weißen Vollbart und der weißen Mähne, aber nur Tom Thomas durfte ihn so anreden, alle anderen im Service haben ihn gesiezt. Heinz Cremer und Tom Thomas – das war so eine Art Vater-Sohn-Beziehung, die waren sehr eng. Cremer hatte übrigens auch noch einen Malteser und einen Yorkshire Terrier. Und er hatte einen Papagei namens Coco, den er auf seiner Schulter spazieren führte, und einen Ozelot namens Sheila, den er in seiner Bürowohnung über der Passage hielt.

Die Geschichte der Wildkatze Sheila, die auch Namenspatin einer Disco war, klingt aus heutiger Sicht fast unglaublich. Wie war das damals?

Schröer: Cremers eröffnete 1973 an der Neustraße 6 eine Disco, und die benannte er eben nach seinem geliebten Ozelot-Weibchen – ein wunderhübsches Tier. Und in dieser Disco namens Sheila, in der auch in Sachen Deko viel mit Leoprints gearbeitet wurde, stand am Eingang ein großer goldener Käfig, an dem jeder Gast vorbeimusste, und in diesem Käfig saß dann eben der Ozelot Sheila. Die Sheila sah ja aus wie ein kleiner Leopard, und in dem Laden war sie das Begrüßungskomitee. So etwas wäre natürlich heute aus Tierschutzgründen völlig unmöglich. Die Disco Sheila war eine Zeit lang „in“, dann gab Cremers sie auf, und die Location eröffnete neu unter den Namen Match Moore und war anfangs ebenfalls sehr angesagt. Cremers Büro im ersten Stock über der Passage war im Grunde genommen eine von der Bolkerstraße aus begehbare Einliegerwohnung, ziemlich groß mit vier bis fünf Zimmern, und eines war für Sheila reserviert. Sheila verströmte einen derart intensiven Geruch, dass das ganze Haus darunter litt, und sie hat reihenweise Putzfrauen vertrieben. Cremer selbst störte der Gestank nicht so sehr, denn er wohnte dort ja nicht, sondern in einem Haus am Kaiser-Wilhelm-Ring in Oberkassel.

Sheila soll auch den Hauskatzenbestand der Altstadt dezimiert haben.

Schröer: Sie durfte regelmäßig über die Terrasse raus auf die Altstadtdächer, und das hat früher oder später keine der Katzen aus der Nachbarschaft überlebt. Das war schließlich ein Raubtier. Sogar Cremers Papagei Coco hat sie irgendwann erlegt, denn der flog ja frei in dem gleichen Zimmer herum. Sheila selbst ist ziemlich alt geworden. Ich meine mich erinnern zu können, dass sie bis kurz vor Cremers Tod 2002 bei ihm war.

Hat Heinz Cremer denn auch Versuche unternommen das erfolgreiche- Mata-Hari-Konzept an andere Standorte zu exportieren?

Schröer: Nur innerhalb Düsseldorfs. Als an der Königsallee das WZ-Center umgebaut worden war, kam Cremer auf die Idee, dort im Keller den Mata-Hari-Club zu eröffnen, und er stellte Tom Thomas als Geschäftsführer ein. Beim Design der Disco hatte er so eine Art Spleen: Alles musste weiß sein – von der Dekoration, der Bar und den Wänden bis hin zu den Kellnern, die nur leicht bekleidet in einer weißen römischen Toga bedienten. Das Konzept schlug aber nur mäßig ein. Später übernahm Charlie Büchter die Location und zog mit dem Promi-Treff „Sam´s“ von der anderen Kö-Seite rüber in den Keller des WZ-Center. Im Kö-Center eröffnete Heinz Cremer wiederum mit seiner Lebensgefährtin Cornelia Zerfaß eine Mata-Hari-Boutique, neben dem Café Heinemann. Das Sortiment war noch etwas exquisiter als in der Passage, aber leider nicht so erfolgreich, daher lief auch das nur wenige Jahre. Ich habe damals im Service bei der Eröffnungsfeier gearbeitet und erinnere mich noch, dass die Damen alle Champagner trinken wollten.

Viele Mieter der Ladenlokale in der Passage wechselten im Laufe der Jahre. Welche waren am längsten da, welche sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Schröer: Sehr bekannt war der Lederladen Kempgens Classic, den ich schon erwähnte. Fiorucci, Biba Pariscop, die Jeans-Boutique Superstar von Heinz Cremer, die 1984 von vorne hinter den neu entstandenen Heine-Brunnen umzog, und Coast zogen ebenfalls viele Kunden. Und die ehemalige Miss Germany Brigitte Berx hatte in den 80ern einige Jahre eine kleine Fashion-Boutique in der Mata Hari, ebenso wie bis in die 90er hinein die Mutter von Jazzy aus der Band Tic Tac Toe, und Jazzy kam da auch oft zu Besuch vorbei. Mit am längsten am Start war die Damenmoden-Boutique Mafalda, ein kleiner Laden am Gang zur Hunsrückenstraße, nahe der Pendeltür. Die Inhaberin Sigrid Schacht hatte sich auf das Label Lily Farouche spezialisiert, das waren sehr auffällige Sachen mit viel Strass und vielen Schnörkeln. Die bekannte Society-Lady Gisela Muth war einer der langjährigen Stammkundinnen bei Mafalda. Manchmal kamen auch junge Damen mit sehr viel älteren Herren im Schlepptau und haben noch während des Einkaufs bei uns im Café mal eben nebenbei eine Flasche Dom Perignon für 200 Mark bestellt. Das war überhaupt ein erfolgreiches Zusammenspiel: Die Boutiquen ließen über uns für ihre „Superkunden“ Getränke in die Läden bringen, und mit ein oder zwei Glas Prosecco stieg bei denen die Kauflust. Als Nachfolger von Kempgens Classic hatten wir auch noch einen Friseursalon in der Passage. Bei Pascal saßen dann die Mädels hinter der Schaufensterscheibe und haben sich noch kurz vor ihrem Auftritt im Checkers oder einem anderen Club die Haare machen lassen, ob Strähnchen oder auf Wickler gedreht, das war immer ein Bild zum Schießen. Schade, dass damals so wenige Fotos gemacht wurden.

Apropos Fotos: Der Fotograf Markus Luigs war ja 1999 für eine Fotosession in der Mata-Hari-Passage. Anlassen war die Veröffentlichung der Autobiographie von Kraftwerk-Schlagzeuger Wolfgang Flür. Dabei ist ein Foto entstanden, dass den Haupteingang an der Hunsrückenstraße frontal von vorne zeigt. Vermutlich gibt es kein Düsseldorf-Foto, das in den vergangenen Jahren öfter im Netz geteilt worden ist.

Schröer: Die Aufnahme fängt die Atmosphäre sehr schön ein und ist nicht umsonst Kult. Wenn man an der Hunsrückenstraße vor der Passage vorbei ging und hineinschaute, hat man ja wirklich fast gedacht, man sei in Las Vegas – mit den tausenden Birnen und Neon-Leuchten, irgendwo blinkte immer was.

Auf viele wirkte die Passage nicht nur geheimnisvoll und extravagant, sondern auch ein wenig verrucht.

Schröer: Das hatte Heinz Cremer wohl auch so konzipiert. Die Passage ist immer schräg gewesen, und ich habe mich da anfangs gar nicht getraut zu arbeiten, weil ich dachte, da laufen ja nur Paradiesvögel rum. Die Urzelle ist wohl die Disco Cabaret mit dem extrem extravaganten Publikum gewesen. Das hat eher konservative Kunden vom Bauunternehmer bis zum Staatsanwalt jedoch nicht abgeschreckt, bei uns tagsüber Kaffee zu trinken. Klar, es gab immer wieder Leute, die sich gar nicht in die Mata Hari hineintrauten oder nur einmal kurz durch- und dann wieder raushuschten, weil das nicht ihr Ding war. Das hat aber eher zum Mythos und zum großen Erfolg beigetragen. Und es waren ja auch tatsächlich öfter Leute aus dem Rotlicht-Milieu unter den Gästen, etwa Bert Wollersheim, als er noch seine Läden auf der Rethelstraße betrieb. Und da es in den Schuhläden der Passage extrem hohe High Heels gab, zog das auch das entsprechende Zwischenwelt-Publikum an: Einmal sahen wir einen etwas korpulenten Herrn im schicken Anzug und Krawatte in Begleitung einer Dame in Lack und Leder, wobei er ein Halsband trug und von der Dame an einer Leine ins Café geführt und an ein Geländer angekettet wurde.  Und als die beiden dann Getränke bestellen wollten, hat sich meine Kollegin nicht getraut sie zu bedienen. Also habe ich das übernommen, und im Endeffekt waren die Leute total nett und harmlos. Später musste der Mann im Buzios noch das gleiche Stöckelschuhmodell anprobieren, das die Lack-und-Leder-Dame für sich selbst ausgesucht hatte. Denn im Laden hatten die ja alle möglichen Größen.

Diese Szene blieb sicher auch den anderen Kunden der Passage nicht verborgen.

Schröer: Das war großes Kino für alle Anwesenden, die Gäste aus dem Café Bistro standen vor dem Schaufenster vom Buzios und schauten zu, wie der korpulente Mann versuchte, in den hohen Schuhen Probe zu laufen. Solche besonderen Fälle gab es immer mal wieder. Schön war auch, als eine Domina während des Schuhkaufs den sie begleitenden Sklaven per Handschellen an sich selbst festkettete, und dann fand sie später den Schlüssel nicht mehr und musste die Polizei rufen, und die kam mit dem Bolzenschneider vorbei, um die Handschellen zu knacken und die beiden zu trennen. Und wo wir gerade bei den verruchten Themen sind und was kaum einer weiß: Einmal hat Tom Thomas das Café Bistro gegen gutes Geld für einen Porno-Dreh an ein Filmteam vermietet. Die Akteure hingen erst bei uns im Lokal rum, und dann wurde spät abends die Passage abgeschlossen, und die durften da rumturnen.

Themenwechsel: Wir müssen noch über Möpse reden. Mitte der 1990er Jahre wurde die Mata-Hari-Passage zum Treffpunkt für Mops-Fans und schaffte es damit bis zu RTL ins Fernsehen. Wie kam es dazu?

Schröer: Dazu muss man zunächst sagen, dass Tom Thomas, der ja mein Lebensgefährte war, und ich gemeinsam drei Möpse hatten. Dann war da noch ein Stammgast, der ebenfalls einen Mops hatte. Das waren dann schon mal vier, und dann kam ich Mitte der 90er auf die Idee, sonntags, wenn die Geschäfte zu hatten, ein Mopstreffen abzuhalten. Das hat sich in der Mopsszene schnell herumgesprochen, und dann hatten wir da auf einmal 50 Möpse in der Passage. Dann machten wir das regelmäßig, und es kamen sogar Mops-Fans aus Frankreich vorbei. Schließlich wurde auch RTL darauf aufmerksam und machte einen TV-Beitrag darüber.

Auch auf den Speisekarten und Visitenkarten des Café Bistro war ein Mops zu sehen.

Schröer: Ja, das war Maximilian, der Lieblingsmops von Tom Thomas und quasi unser Markenzeichen und Maskottchen. Damals gab es noch keinen Leinenzwang, und unsere Möpse hüpften permanent in der Passage rum und machten auch mal Ausflüge nach draußen durch die Straßen der Altstadt. Maximilian war besonders abenteuerlustig, der stieg immer an der Hunsrückenstraße in die Straßenbahn ein, fuhr eine Station Richtung Kasernenstraße, stieg wieder aus und lief zurück. RTL bekam Wind davon, und die fanden das so cool, dass sie es fürs TV nachgedreht haben. Maximilian ist von seinen Straßenbahnausflügen immer wiedergekommen – nur ein Mal hat er es aus Gründen, die wir nie erfahren haben, nicht mehr aus der Bahn rausgeschafft. Ein Riesendrama, der Hund blieb tagelang verschwunden, obwohl Tom Thomas überall Suchanzeigen schaltete, Berichte in der Presse lancierte und eine hohe Belohnung für den Finder auslobte. Nach einer Woche erhielten wir einen Anruf aus Ratingen, und es meldete sich eine Frau, die sagte, ihr sei ein sehr junger Boxer zugelaufen, den sie Olli genannt habe, und jetzt habe sie in der Zeitung gelesen, dass unser Hund vermisst werde. Keine Ahnung, wo und wie Maximilian Richtung Ratingen umgestiegen war. Auf jeden Fall brachte die Frau ihn zurück, und erst haben wir ihn gar nicht erkannt, weil ihn die Finderin mit Welpenfutter gemästet und er extrem zugenommen hatte. 

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1999 im Café Bistro der Mata-Hari-Passage. Foto: Markus Luigs
 

Ende der 1990er bekam die Mata-Hari-Passage Probleme.

Schröer: Wie schon angedeutet, lief das Konzept nicht mehr so gut. Tom Thomas hat sich ausgeklinkt, und dann habe ich das Café Bistro in Eigenregie übernommen und das Lokal noch bis zum Ende weitergeführt, mit einem separaten Mietvertrag mit Heinz Cremer. Sylvester 2001 ist Tom dann mit nur 56 Jahren verstorben und nur zwei Monate später starb auch Heinz Cremer, und als dann von der Stadt neue und sehr kostenintensive Brandschutzauflagen gefordert wurden, war das Ende der Mata Hari besiegelt.

Es scheint keinen verschwunden Ort zu geben, den die Düsseldorfer so sehr vermissen und der so viele positive und nostalgische Emotionen auslöst wie die Mata-Hari-Passage.

Schröer: Das kann ich sehr gut verstehen, denn mir geht es genauso. Die Passage war ein Kleinod. Wobei ich mir vorstellen kann, dass das Mata-Hari-Konzept heute wieder gut laufen würde. In jeder Großstadt, in jeder Einkaufszone dominieren die gleichen Ketten. Viele sind von diesem Einheitsbrei gelangweilt und sehnen sich nach individuellen Geschäften, die etwas bieten, was man nicht überall bekommen kann.

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