Draußen Polizei, drinnen Hausbesetzer
Das Gespräch mit Anja Vorspel löst Erinnerungen aus. An Räumungen bei nächtlichen Einsätzen der Polizei, hunderte Beamte mit Fahrzeugen und blitzendem Blaulicht vor Häusern in Bilk, Benrath, Flingern, Holthausen und anderen Stadtteilen Düsseldorfs. An den Fassaden der Gebäude hingen auf Bettlaken gepinselte Parolen. Fenster und Türen waren zum Schutz gegen die Staatsmacht mit Brettern oder Metallplatten verrammelt, die Fassaden bunt bemalt oder für Botschaften benutzt – Hausbesetzungen in Düsseldorf. Es kam zu Gerangel und Festnahmen, Geschrei und Beschimpfungen. Eindrückliche Bilder waren das: Hier die geballt auftretende Staatsmacht, da ein bunter Mix aus jungen Frauen und Männern.
Das war damals meine Perspektive, die ich als Polizeireporter x-mal erlebte. Nun wird mir ein anderer Blickwinkel beschrieben. Während ich draußen auf der Straße beobachtete, was geschah, befand sich Anja Vorspel (damals 20) im Gebäude. Sie war Hausbesetzerin aus Überzeugung und weil sie legal keine Wohnung bekam. Vermutlich sind wir uns seinerzeit begegnet. Wir können uns aber beide nicht daran erinnern. Kein Wunder: Diese Szenarien waren immer höchst turbulent, vor allem wenn Räumungen anstanden. Glatt ging das nie.
Auch Kinder dabei
Dutzende Menschen jedes Alters, darunter häufig Kinder, lebten in den Wohnungen, für die sie keine Mietverträge hatten. Es waren Studenten und Punks, bisweilen auch Obdachlose oder Künstler – ein bunt gemischtes Volk, das aber in einer Sache einig war: Der drohende Abriss vieler Häuser war nicht hinzunehmen und musste mit allen Mitteln verhindert werden. Ein wirkungsvolles Mittel war die Besetzung der Häuser mit möglichst vielen Menschen, die da manchmal über Monate, oft unbehelligt, wohnten. Das Kalkül ging auf: Bagger mit Abrissbirnen gegen Gebäude einzusetzen, in denen sich Menschen aufhielten, war nicht denkbar.
Düsseldorf hatte am Anfang der 1980er Jahren rund 600.000 Einwohner, die Zahl sank nur langsam. Ein eklatanter Mangel an Wohnraum prägte die Stadt, ähnlich wie heute war es ein zentrales Thema. Einer der Gründe: Die Boomer-Generation kam seinerzeit in das Alter, in dem man ausziehen und eine eigene Wohnung haben wollte. Also stieg die Nachfrage. Eine Unterkunft zu finden war jedoch schwer. Was nicht nur an den Preisen als vielmehr am Umfang des Angebots lag. Denn das war knapp. Zu knapp.
Ich erinnere mich daran, weil ich damals selbst lange gebraucht habe, bis ich einen Mietvertrag unterschrieb. Am Ende kam mir ein Zufall zu Hilfe, aber andere hatten nicht so viel Glück. Gleichzeitig gab es in allen Stadtteilen alte Häuser mit freiem Raum, oft entsprach deren Ausstattung nicht mehr annähernd den üblichen Standards. Also sollten sie verschwinden und standen lange leer. An der Neusser Straße in Unterbilk wollte der Eigentümer schlicht modern bauen, an der Kiefernstraße in Flingern plante die Stadt ein Gewerbegebiet. Bei manchen war die weitere Nutzung unklar, also akzeptierte man Leerstand.
Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.
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