Drink doch keine met

Ich habe überhaupt keine Lust zu erklären, warum ich mit 38 Jahren noch nie Alkohol getrunken habe. Das werde ich nämlich immer gefragt: Sag mal, wie kommt es, dass du noch nie Alkohol getrunken hast? Eher sollten Leute, die Alkohol trinken, erklären, warum sie das machen. Ich habe einfach nie einen Grund gefunden anzufangen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Nein, keinen einzigen Schluck. Ist gut jetzt. Andererseits interessiere ich mich irgendwann für Dinge, weil sehr viele andere Menschen sie mit großer Freude tun. Warum machen sie das? Was gefällt ihnen daran? Können sie mir helfen, ihre Begeisterung nachzuvollziehen? Zum Beispiel das Gewese ums Bier. Deshalb sitze ich an einem Freitagnachmittag im März mit Melanie Keifens in ihrer Küche in Friedrichstadt. Später setzt sich mein Fotograf zu uns, was ich deshalb erwähne, weil er eine kurze Sprechrolle haben wird. Es ist eine dieser langen Küchen, die so schmal sind, dass zwei Menschen kaum aneinander vorbeilaufen können. Melanie, 30, beschäftigt sich auf ihrem Instagram-Account Bierundbuecher mit nun ja Bier und Büchern. Das heißt, sie bespricht abwechselnd Biere und Bücher. Die Bücher handeln manchmal von Oktopussen. Sie ist in Belgien aufgewachsen, im deutschsprachigen Osten, und hat kürzlich einen zweiwöchigen Kurs zur Bier-Sommelière absolviert. Seitdem hält sie in ihrer Freizeit Bier-Tastings ab. &bdquo;Wenn ich zwischen Wein und Bier wählen muss, nehme ich immer das Bier“, sagt sie. &bdquo;Da gilt es, eine Hürde abzubauen. Du hast im Kopf, dass Bier das ist, was die grölenden Fußballfans im Stadion trinken. Auf der anderen Seite hast du die Gebildeten mit einem Glas Wein in der Hand.“ Sie ist also exakt die richtige Person, um mir den Geschmack und die Faszination von Bier zu beschreiben. Ich möchte an einem Tasting teilnehmen. Sie wird trinken, ich nicht. Von Bier habe ich überhaupt keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es Alt und Pils und Weizenbier gibt. Melanie sagt allerdings, es gebe 150 Braustile. Und das, obwohl Bier in der Regel nur aus Wasser, Hefe, Hopfen und Malz besteht. Nein, auch das habe ich nicht gewusst. Melanie hat vier Bierflaschen auf den Tisch gestellt. Wir beginnen mit dem Welde Pepper Pils, einem Craftbeer aus Baden-Württemberg mit schwarzem und rosa Pfeffer, Alkoholgehalt 4,8 Prozent. Sie öffnet die Flasche und schüttet ein wenig in ihr Pilsglas und mein Weinglas, das allerdings nur ich für ein Weinglas halte. Es handelt sich um ein Tasting-Glas. Melanie trinkt fast nie aus der Flasche, nur ab und zu ein Pils, wenn es aus dem Kühlschrank kommt. Dann lässt es sich zügig wegtrinken, bevor es warm wird. In ihrer Heimat Belgien trinken sie allerdings häufiger Starkbier, und weil das mehr Alkohol enthält, trinken sie es langsamer. Gemütlich und in Gesellschaft auf einer Terrasse, aus dem Glas. Sie erklärt mir, dass Bier aus der Flasche weiter hinten auf der Zunge auftreffe als aus einem Glas, deshalb schmecke es anders. Das muss ich ihr glauben. Das Welde Pepper also. Erstmal solle ich mir den Schaum angucken. &bdquo;Wie cremig ist der Schaum? Du kannst von der Schaumkrone schon ein wenig darauf schließen, was im Mund eventuell passiert. Du kannst die Kohlensäure sehen. Das perlt ordentlich. Und wenn du viel Schaum hast, bleiben die Aromen länger im Bier. Er fungiert sozusagen als Aromendeckel.“ Ich frage mich, ob sie mit Aromen Zusätze meint, die ins Bier gegeben werden. Wie falsch ich doch liege. Sie zeigt auf ein Poster an der Wand, auf dem ein so genannter Bier-Aromabaum zu sehen ist. So erfahre ich, für welche Aromen Hopfen, Hefe und Malz sorgen. Der Hopfen — &bdquo;die Würze des Bieres“ steht dort — kann auch eine Anmutung von harziger Waldnadel oder Melone reinbringen, das Malz, &bdquo;die Seele des Bieres“, unter anderem Rosinen oder Vollkornbrot, die Hefe, &bdquo;der Geist des Bieres“, hat von Klebstoff bis Birne alle möglichen Nuancen drauf. Sie fordert mich auf, die Farbe des Bieres zu betrachten. Mich erinnert sie an Club-Mate, sage ich, denke aber eigentlich an Urin. &bdquo;Wenn du reinriechst, solltest du darauf achten, dass nur die Nase reingeht, damit du nicht ins Bier atmest. Wenn du die Augen schließt, kannst du besser Assoziationen herstellen.“ Ich rieche erst mal Spiritus, wie immer, wenn Alkohol drin ist. Dann erkenne ich ein wenig Frucht, vielleicht auch nur, weil ich mich nicht blamieren möchte. &bdquo;Ich weiß nicht, ob du den Pfeffer rausriechst?“, fragt sie. Nun ja. Sie riecht auch noch Blumen und Gras. Nachdem wir minutenlang über Aussehen und Geruch gesprochen haben, nimmt sie einen Schluck. Auch für mich, der jetzt auf ihre Worte angewiesen ist. &bdquo;Das ist schön“, sagt sie. Aha. &bdquo;Wirklich ein sehr feinperliges Bier. Man würde etwas anderes erwarten, wenn man ins Glas reinschaut. Es tänzelt über die Zunge und nimmt nicht den gesamten Mundraum ein.“ Sie schmeckt eine fruchtige Süße, Mango oder &bdquo;Mandarinen, wenn sie schon fast nicht mehr schmecken. Hintenraus dann bitter.“ Wir nehmen uns das zweite Bier vor, das Orval, ein belgisches Trappisten-Bier. Trappisten sind Mönche, und Trappisten-Biere dürfen sich nur so nennen, wenn sie im Kloster unter Mitwirkung der Mönche gebraut werden. In diesem Fall heißt das Kloster Orval. Das Bier hat 6,2 Umdrehungen, ist also ein Starkbier. Das erklärt auch die Tendenz der Belgier zu kleinen Flaschen. Das Etikett zeigt einen Fisch mit einem Ring im Mund. Der Legende nach verlor eine Gräfin diesen goldenen Ring, ein Fisch brachte ihn zurück. Aus Dankbarkeit gründete sie das Kloster. Melanie schüttet uns beiden ein. Ich finde, der Schaum ist stabiler als eben, das Bier dunkler. Melanie kann es selbstverständlich besser beschreiben: &bdquo;Du siehst, es ist trüber. Es ist nicht filtriert. Und in der Flasche hat noch Gärung stattgefunden.“ Ich lerne, dass Starkbiere mit Malzcharakter in der Flasche noch interessanter werden, während sich bei hopftenbetonten Bieren wie dem Pils das Aroma in der Flasche nach und nach abbaut. Wir gucken wieder. &bdquo;Viele Leute erinnert das an einen Sonnenuntergang am Meer“, sagt sie. &bdquo;Es hat auch etwas Weihnachtliches.“ Wir riechen hinein. &bdquo;Kräuterig, Anmutung von Brot und Karamell“, sagt sie. Ich habe diesen Geruch schon mal irgendwo gerochen, muss aber eine Weile überlegen, bis es mir einfällt: &bdquo;So riecht es für mich in Asia-Supermärkten.“ Ich bin schon fast stolz. Melanie erklärt mir, Hefe könne auch zu einem stallartigen Aroma führen. Das spalte die Biertrinker. Sie nimmt einen Schluck. &bdquo;Einer meiner Alltime-Favorites. Du hast eine feine Süße durch das Malz. Es hat was von einem leicht süßen Keks.“ Sie schmeckt aber auch Säure, die sie an einen grünen Apfel erinnert. Hinten raus dann bitter. Süß, sauer und bitter. Erst verschwinde die Säure, dann das Süße, es bleibt das Bittere. Klingt für mich nach einer Lebensbeschreibung. Sie hingegen muss daran denken, wie sie mit ihrer besten Freundin nach den Uni-Prüfungen in Lüttich auf der Kneipenterrasse saß. Das Orval war eines der Lieblingsbiere ihrer Freundin. &bdquo;Das ist ein Bier, das du langsam trinkst. Das ist so gut gemacht. Du wirst aber auch Leute finden, die sagen: Geh mir weg damit.“ Ich könnte aus dramaturgischen Gründen nun behaupten, dass mir ihre Formulierungen völlig übertrieben erscheinen. Bei Wein fand ich es immer albern, zu welchen Vokabeln die Menschen greifen, um vergorenen Traubensaft zu beschreiben. Aber heute bin ich erstens darauf angewiesen, dass Melanie mir so ausführlich schildert, was sie schmeckt. Mit einem &bdquo;Lecker“ käme ich nicht weit. Zweitens wird mir immer bewusster, dass Bierbrauen eine Wissenschaft oder zumindest ein Handwerk für sich ist, und dann kann man auch aus dem Trinken eines machen. Das ist so wie mit den Büchern, die ich lese, die sie liest. Im Normalfall hat sich die Autor:in etwas dabei gedacht, jedenfalls sehr viel Mühe hineingesteckt. Trotzdem kann ich das Buch in zwei Stunden weglesen, so wie man Bier herunterstürzt. Ich kann mich aber auch länger damit beschäftigen, weil es so viel zu entdecken gibt. Beim dritten Bier habe ich schon kein gutes Gefühl, als ich das Etikett sehe. Lindemans Kriek mit 3,5 Prozent ist ein Kirschbier. Kriek ist Flämisch für Sauerkirsche. Ich denke an Cherry Coke und wie ich davon nach zwei Schlucken immer schon genug hatte. Beim Lindemans Kriek handelt es sich um ein so genanntes Lambic, wovon ich selbstverständlich noch nie gehört habe. Dieses Bier entsteht durch Spontangärung, indem sich wilde Hefe aus der Luft aufs Bier setzt, erklärt Melanie. &bdquo;In der Luft ist Hefe?“, frage ich. Die Schaumkrone im Glas ist pink, keine so große Überraschung, das Bier ist rot. Wir stecken die Nasen hinein. &bdquo;Wenn du sagst, du riechst Kirschen, bin ich komplett bei dir“, sagt sie, und mehr fällt mir dazu auch nicht ein. Melanie riecht – wie könnte es anders sein – noch etwas anderes, nämlich Bittermandeln. Und was schmeckt sie außer Kirsche? &bdquo;Auch den ein oder anderen Keks. Es prickelt schön. Es klebt fast im Mund, weil es so süß ist. Das macht Lust, den nächsten Schluck zu nehmen.“ Ihr fällt der Frühling ein und der Garten ihrer Eltern. Die Nachbarin hatte einen Kirschbaum. &bdquo;Ich denke an meine Heimat, meine Familie, meine Geschwister und die Gartenarbeit. Abends, wenn wir anfangen zu grillen. Das perfekte Gartenbier, das man als Aperitif trinken kann.“ &bdquo;Bin ich der einzige, der hier Fisch riecht?“, frage ich.&bdquo;Das ist der Nachbar“, sagt Melanie. Sie findet, man könne vor einem Kirschbier auch ein Stück dunkle Schokolade kauen, dann trinken und alles zusammen runterschlucken. Auch Käse und Bier passten gut zusammen. &bdquo;Du kannst mit Ginger Ale und Chips anfangen“, sagt mein Fotograf. Was mich zu der Frage bringt, ob Melanie mir ein Bier mit 0,0 Prozent empfehlen könne. Kann sie: ein belgisches Hoegaarden. Manchmal hat sie selbst wochenlang keine Lust auf Bier. Dann trinkt sie auch keines. Dass sie das letzte mal betrunken war, ist ewig her. &bdquo;Alkohol bringt bei mir keine positiven Effekte, ich werde einfach nur sehr betrübt.“ Bier trinkt sie nur für den Genuss oder in Kombination mit anderen...

Drink doch keine met

Drink doch keine met

Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.

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