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Düsseldorf sorgt sich um seinen berühmtesten Senfladen

Kapuzinergasse 16 in der Düsseldorfer Altstadt: Dort steht ein kleines Geschäft mit einer altmodischen Schrifttafel: "Gewürzhaus" liest man dort. Innen an der Tür klebt ein handgeschriebener Zettel: „Wegen Krankheit vorübergehend geschlossen“. Er hängt dort seit Wochen.
Von Hans Onkelbach (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 6. Juni 2024
Gewürzhaus Altstadt
Düsseldorfs berühmtester Senfladen in der Kapuzinergasse in der Altstadt. Kunden schauen immer wieder vorbei, um zu sehen, ob er wieder geöffnet hat.

Wie berühmt dieser kleine Laden ist, zeigt eine weitere Nachricht, die von außen an den Eingang geklebt worden ist. „Gute Besserung aus Karlsruhe“ hat da jemand geschrieben, mit einem handgemalten Smiley verziert und hofft „Bis bald“. Diese Hoffnung teilen viele Düsseldorfer. Wie viele genau immer wieder zur Kapuzinergasse 16 kommen und dort einkaufen, weiß vermutlich nicht einmal Inhaberin Kerstin-Miriam Seegers (59). Dass sie so etwas wie eine Kundenliste führt, gar in einem Computer, ist schwer vorstellbar. Im Gewürzhaus, so der offizielle Name, ist die Zeit stehengeblieben.

Genau das schätzen die Menschen, die dort einkaufen. Auf simplen Regalen stehen Gläser, ihre Etiketten verraten, was drin ist: Kräuter und Gewürze jeder Art, viele Sorten Curry, Pfeffer, Salz. Selten hat das Wort querbeet so gut gepasst wie dort. Wer kochen will und eine besondere Zutat sucht, fertig gemixt oder noch als komplettes, getrocknetes Original – dort findet man es. Plus einer kompetenten Beratung, was mit dem Kraut gemacht, geschmacklich abgerundet, verfeinert oder kombiniert werden kann. Die Chefin weiß: Für alles, was brutzelt, kocht, brät oder gart, ist ein Kraut gewachsen. 

Aber das wichtigste Produkt kam meist aus einem senkrecht stehenden grau-blauen Steinguttopf mit schwarzem Zapfhahn am unteren Rand: Düsseldorfs berühmtester Senf der mittelscharfen Sorte ABB. Das Kürzel steht für Adam Bernhard Bergrath und ist seit vielen Jahrzehnten eine der am häufigsten verlangten Mostertsorten der Stadt. Im Gewürzhaus gibt es nur den, und er wird tatsächlich nach Wunsch des Kunden abgefüllt in Gläser verschiedener Größe. Alleine das schmatzende Geräusch, wenn diese intensiv duftende Paste ins Gefäß flutscht, ist Vorfreude pur. Zum Kochen, zu Käse, Flöns oder einer deftigen Brotzeit ist er unschlagbar. Ihn im Gewürzhaus zu kaufen, ist zudem ein Erlebnis.

Aber das könnte nun vorbei sein. Kerstin-Miriam Seegers ist nicht erreichbar. Als ich zuletzt vor ein paar Wochen im Geschäft war und vorsichtshalber mehrere große Gläser kaufte, wirkte sie angeschlagen. Davor hatte sie bereits mehrfach überraschend geschlossen und das auf Facebook mitgeteilt. „Mir geht es nicht gut, Laden bleibt heute zu“ lautete jeweils die simple Botschaft. Manchmal mit Hinweis auf das miese Wetter.

Manche der Kunden, die sie seit langem kennen, glauben, dass sie den Tod ihrer Mutter Marie-Luise vor wenigen Jahren nicht wirklich verarbeitet hat. In den 1960er Jahre hatte Marie-Luise, hochschwanger, das Geschäft übernommen und die Tochter war als junges Mädchen mit eingestiegen. Die beiden waren ein eingespieltes Team. Meist traf man sie zusammen in dem winzigen Geschäft. Das lag anfangs an der Mertensgasse, war 16 Quadratmeter groß und ab dem dritten Kunden bereits voll.

Anfang 2017 – damals war Marie-Luise 75 – fand man nach langer Suche endlich eine Alternative, und das ganz in der Nähe: Kapuzinergasse 16. Das Ladenlokal war ein bisschen geräumiger und es bot zugleich die Möglichkeit, den Charme des alten einfach mitzunehmen. Ich kannte die alte Adresse, und in der neuen verblasste die Erinnerung an den früheren Laden schnell.

Die Lage war auf jeden Fall einträglicher. Kerstin-Miriam Seegers erzählte mir wenige Monate nach dem Umzug, der Umsatz sei spürbar angestiegen. Vermutlich, weil es nicht mehr so oft vorkam, dass Kunden im Laden keinen Platz mehr fanden und weitergingen. Zuletzt verkaufte sie pro Woche Senf in einer Größenordnung von rund 30 Zehn-Kilogramm-Eimer. Das Geschäft war schon Unverpackt-Laden, bevor das Wort erfunden wurde: Viele Kunden brachten und bringen ihre eigenen Gläser mit und lassen sie auffüllen. Auf der Ladentheke liegen stets Packen von Zeitungspapier, um die Gläser einzuwickeln. Wer will, bekommt eine Tüte dazu.

Angeblich besteht das Geschäft seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts. Damals gab es in Düsseldorf mehrere Senffabriken. Ähnlich wie im französischen Dijon war die Stadt am Rhein bekannt für die pikante Paste in mehreren Schärfe-Graden. Und das lange bevor große Namen wie Henkel oder Mannesmann eine Rolle spielten.

Im Grunde hat sich heute nicht verändert: Die aktuell erfolgreichste Marke Löwensenf beispielsweise kennt man weit über den Rhein hinaus. Dass sie aus Düsseldorf kommt, wissen die meisten allerdings nicht. Der Löwe weist darauf hin: Es ist das Tier aus dem Stadtwappen. Hergestellt wird sie bei der Firma Frenzel am Kieshecker Weg am Flughafen. 1918 wurde dieses Unternehmen von Otto und Frieda Frenzel gegründet. Die beiden kamen aus dem Elsass nach Düsseldorf, siedelten sie sich zunächst an der Himmelgeister Straße an. Heute gehört das Unternehmen zur Münchner Develey-Gruppe.

Neben den modernen Sorten mit unterschiedlichen Geschmacksvarianten (Honig, Bier) gibt es weiterhin den mittelscharfen ABB. Frenzel hat sich seinerzeit schriftlich verpflichtet, ihn zu produzieren, als das Unternehmen die Rechte von ABB übernahm. Die Witwe Bergrath hatte großen Wert darauf gelegt, das Erbe ihres Mannes lebendig zu halten. Was ihr gelungen ist. Unter anderem verwenden die Düsseldorfer Hausbrauereien diesen Senf.  

Und einen sehr speziellen Hinweis auf die Berühmtheit von ABB hat unser Kollege Sebastian Brück uns vor einem halben Jahr geliefert. Da beschrieb er ein Gemälde von Vincent van Gogh, auf dem der Mostertpott von ABB zu sehen ist. Seine Geschichte lesen sie hier.


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