Düsseldorfs Metaller, die Ronsdorfer Straße und das „Papidoux“
Donnerstag, kurz nach 18 Uhr im Papidoux. Im Fokus: eine mit dunkelrotem Leder bezogene Bank vor der ebenfalls roten Theke, flankiert von einem Vintage-Spiegel mit der Aufschrift „Tuborg Beer“. Darunter, an der Wand, klebt ein kleiner Fortuna-Aufkleber: „1895“. Lemmy Kilmister soll sich bevorzugt an eben dieser Stelle niedergelassen haben – für die Absacker-Drinks nach seinen Live-Konzerten in der Philipshalle. Überhaupt gleicht das rustikale Altstadtlokal an der Liefergasse einem Wallfahrtsort für die Fans des 2015 verstorbenen Motörhead-Sängers. Mehrere Poster mit dem Konterfei des „Godfather of Metal“ zieren die Wand, eines ist eingerahmt von blau illuminierten Jack-Daniels-Flaschen. Nicht ohne Grund, wie Papidoux-Chef Rocco Melzer (46) erzählt: „Lemmy hat natürlich auch bei uns immer sein Lieblingsgetränk bestellt – Jacky Coke.“
An diesem Abend sitzt Robert Gonnella (56) auf der roten Lederbank. Aufgewachsen in Golzheim hat er als Sänger der Düsseldorfer Thrash-Metal-Band Assassin Fans in aller Welt begeistert. Seine persönliche „Metal-Geschichte“ ist automatisch auch die „Metal-Geschichte“ der Stadt Düsseldorf – und ein wenig die des Ruhrgebiets. Weil in der Region „alle“ vernetzt sind, man sich als „Metaller“ früher oder später über den Weg läuft.
„Ich habe zwei ältere Schwestern, und die haben Police und Abba gehört“, erzählt er. „1980 hat mir ein Kumpel AC/DC vorgespielt. Meine Schwestern fanden die Gruppe scheiße, ich fand sie geil.“ Die Folge: Gonnella ist angefixt, entdeckt peu à peu die Stars des Genres: Iron Maiden – und natürlich auch Motörhead.
Für den nun folgenden Weg zur eigenen Band spielen die Düsseldorfer Lokalmatadoren von Warlock eine entscheidende Rolle. 1983, als Robert Gonnella immer mehr den Metal für sich entdeckt, probt die frisch gegründete Formation um die 18-jährige Sängerin Doro Pesch an der Ronsdorfer Straße 77 für Konzerte und das erste Album. In den Kellerräumen einer ehemaligen Backfabrik trifft sich die lokale Bandszene. Und die Metal-Fans, damals „Heavys“ genannt, vertreiben sich in und vor den Proberäumen die Zeit. Eine so kreative wie familiäre Atmosphäre. „In dem Umfeld habe ich sehr schnell all die Leute in der Stadt kennengelernt, die auf die gleiche Musik wie ich abfuhren.“
Im Juli des gleichen Jahres erscheint das Debüt von Metallica: „Kill ‘em all“. Heute gilt das Werk als erstes Thrash-Metal-Album überhaupt. Für Gonnella war es die zündende Inspiration: „Noch härter, noch schneller – das war genau die Musik, die wir wollten damals.“ Inspiriert von weiteren amerikanischen Thrash-Metal-Bands wie Slayer und Exodus beschließen er und seine Freunde etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. „Die anderen haben Instrumente gekauft – und gelernt, die zu spielen.“ Weil Robert Gonnella auf die Internationale Schule in Kaiserswerth geht, wird er als Sänger auserkoren: „Ich konnte am besten Englisch, wobei ich mich selbst gerne als Shouter bezeichne, weil ich ja im ursprünglichen Sinne kein großer Sänger bin.“
1984 ist es so weit. Gonnella, inzwischen 16 Jahre alt, und seine Mitstreiter geben ihrer Band einen genre-üblich „gefährlichen“ Namen: Assassin. Zur Gründungsformation gehören die Gitarristen Dinko Vekić und Jürgen „Scholli“ Scholz, der Bassist Markus „Lulle“ Ludwig und der Schlagzeuger „Danger“. Später benennt er sich in „Psycho“ um.
Zunächst proben die Teenager im Keller eines Altenheims in Eller. „Da sind wir dann aber rausgeflogen, weil wir zu laut waren.“ Assassin wechseln an die Ronsdorfer Straße, in eben jenen Proberaum, den sie schon als Warlock-Fans kennengelernt haben. Dort sind sie nicht die einzigen „Metaller“: Eine Etage tiefer hat die aufstrebende Düsseldorfer Metal-Band Warrant ihren Probenraum. Warlock wiederum sind inzwischen in ein Nachbargebäude umgezogen.
Auch Deathrow – die zweite Thrash-Metal-Band aus der NRW-Landeshauptstadt, die später nationalen und internationalen Ruhm erlangt – spielt vor dem ersten Plattenvertrag an der Ronsdorfer ihre Sessions. So wird das Fabrikgelände an der Grenze zwischen Lierenfeld und Flingern-Süd zur Keimzelle der lokalen Thrash-Metal-Szene. Assassin-Bassist „Lulle“ verpasst der Gemeinschaft einen Namen: „Düsseldorfer Death Thrasher“, kurz „D.D.T.“, und erstellt auch ein Logo, das die „Death Thrasher“ fortan auf ihren Lederjacken tragen. Man macht und hört gemeinsam Musik, trifft sich an den Wochenenden in der Altstadt – im Café Litfaß an der Andreasstraße 11 (heute: Oh Baby Anna) sowie in und vor dem 1985 eröffneten Papidoux. Aufbruchsstimmung.
In der zweiten Hälfte der Achtziger nimmt die Karriere von Assassin Fahrt auf: Die Band spielt unter einfachen Bedingungen im Proberaum ihr erstes Demo ein („Holy Terror“) und ist stolz, als die Songs im Café Litfaß und im Papidoux gespielt werden. Das Demotape der Band wird 500-mal verkauft, unter Fans kopiert und getauscht. Ihr Debütkonzert spielen Assassin gemeinsam mit den Ronsdorfer-Straße-Kollegen von Deathrow im Mephisto in Gelsenkirchen – bekannteste Metalkneipe im Ruhrgebiet und Stammlokal der international erfolgreichen Thrash-Metal-Bands Sodom (Gelsenkirchen) und Kreator (Essen). Das Ansehen in der Szene steigt, und so gehen Gonnella und seine Mitstreiter für ihr zweites Demo ins Studio – mit Warlock-Gitarrist Rudy Graf als Produzenten. „Dieses Demo haben wir wir dann an Plattenfirmen geschickt, richtig klassisch mit der Post.“
Assassin werden von Steamhammer Records unter Vertrag genommen. 1987 erscheint das Debütalbum „The Upcoming Terror“. Sänger Robert Gonnella ist auch für die Texte verantwortlich – und etabliert einen eigenen Stil: „Die meisten Thrash-Metal-Bands haben ja über Satan und so gesungen. Bei uns gab es eher Sozialkritisches und Lustiges, zum Beispiel gegen Krieg und über Junk Food.“ Fachleute erkennen inhaltlich und musikalisch Einflüsse von Punk und Hardcore. „Wir hatten tatsächlich so einige Kontakte zu den anderen Subkulturen, etwa zur Punk-Szene oder zur Kiefernstraße.“ Zwei aus der Band sind zudem Skater, sodass ab dem Folge-Album „Interstellar Experience“ (1988), für das es einige Umbesetzungen gibt, ein bekanntes Skater-Label als Sponsor einsteigt. Auf den Promo-Fotos der Band aus dieser Zeit trägt Gonnella ein T-Shirt von Vision Street Wear.
Kurzum: Innerhalb weniger Jahre sind Assassin von Fans zu Machern avanciert – als Teenager. Dazu passt eine Anekdote aus jener Zeit, die Robert Gonnella zum Besten gibt: Kurz nach der Veröffentlichung des Debüt-Albums möchte er mit seinen Bandkollegen unbedingt die berühmten US-Bands Anthrax und Crimson Glory sowie die Schweizer von Celtic Frost im Tor3 live erleben. Er kauft sich ein Ticket, geht erst spät zum Konzert, weil er noch an der Organisation eines Schulfests beteiligt ist. „Als ich am Tor3 ankam, hieß es plötzlich: Anthrax spielen nicht, dafür spielen wir mit Assassin. Weil der Anthrax-Schlagzeuger sich angeblich den Arm gebrochen hatte.“ Als zahlender Fan den Konzertsaal betreten und dann selbst als Vor-Act einspringen und den Laden rocken – eine derartige Kuriosität dürfte in der Pop- und Rockgeschichte einmalig sein.
Die beiden ersten Assassin-Alben verkaufen sich in den 1980ern um die 50.000 Mal, gelten in der Szene bis heute als Kultplatten und werden regelmäßig in die Top10 der besten deutschen Thrash-Veröffentlichungen überhaupt gezählt – in einer Reihe mit Sodom, Kreator, Tankard und Destruction. Reich sind die Düsseldorfer durch den frühen Erfolg nicht geworden: „Wir waren ja noch Schüler, als das Debütalbum erschien, und so stolz, dass wir den Plattenvertrag quasi blind unterschrieben und die Gema-Rechte an irgendeinen Verlag abgetreten haben.“
1989 werden bei einem Einbruch in den Proberaum der Band alle Instrumente geklaut. Hinzu kommt der „Ernst des Lebens“. Assassin legen eine Pause ein, Robert Gonnella macht mit Anfang zwanzig eine Ausbildung zum Speditionskaufmann – bei einem japanischen Unternehmen. Das Land kennt er bereits von einem Besuch, hat Kontakte über japanische Mitschüler an der Internationalen Schule, von denen einige ebenfalls Metal-Enthusiasten sind. 1992 bekommt er ein Stipendium, lebt zwei Jahre in Tokyo, um Japanisch zu lernen.
Nebenbei gründet er – zuhause Stammgast im Block 36 im Rheinstadion – mit Studenten der Sprachuni den Fußballverein „Fortuna 1993 Tokyo“ und tritt mit dem Team in der dortigen International Friendship League an. Ein Jahr später zieht es den 26-jährigen Gonnella nach Peking, wo er Chinesisch und Logistik studiert. Auch hier mündet die Fortuna-Sehnsucht in einer Vereinsgründung: Für „Fortuna 94 Beijing“ rekrutiert er fußballverrückte Chinesen und Expats und stellt mit der IFFC schließlich sogar die größte Amateurliga Chinas auf die Beine. Aber das ist eine eigene Geschichte, die Gonnella unter anderem dem Fußballmagazin 11Freunde ausführlich erzählt hat (im Infoteil verlinkt).
In den neunziger Jahren macht die Grunge-Szene um Nirvana und Pearl Jam dem Heavy Metal Konkurrenz. Gonnella bleibt in Peking hängen, arbeitet in verschiedenen Jobs und Projekten, organisiert unter anderem einen China-Besuch von Franz Beckenbauer. Zwei Mal im Jahr fährt er zu Besuch nach Düsseldorf, trifft Familie und Freunde. 2003 finden Assassin wieder zusammen, spielen 2005 und 2011 Alben ein. Die Band tritt weltweit auf – in Japan, China, Russland und dem Baltikum ebenso wie in den meisten Ländern Ost- und Westeuropas. Auch auf dem Wacken-Festival sind Assassin auf der Bühne zu sehen, und wenn Gonnella nicht gerade in Düsseldorf zu Besuch ist, reist er eben aus China zu den Gigs an.
Parallel gründet er in Peking mit einem Amerikaner und drei Chinesen eine weitere Thrash-Metal-Band: Mit Raging Mob spielt er auf diversen Festivals. 2008 erscheint ein Album, und 2009 gewinnt die Band die „Wacken Metal Battle China“, noch dazu wird Gonnella auf der Veranstaltung der Titel „Best Metal Vocalist“ verliehen.
2012 entscheidet sich Robert Gonnella nach 18 Jahren in Peking, gemeinsam mit seiner chinesischen Frau zurück nach Düsseldorf zu ziehen. Zwei Jahre später kommt es zum Bruch mit Assassin. Die Band macht ohne Gonnella weiter, der gründet ein neues Projekt und nutzt dafür seinen in China gewonnenen Spitzenamen: Raging Rob.
Zurück zu den Wurzeln: Für den 20. Januar 2024 laden Robert Gonnella und die „Düsseldorfer Death Thrasher“ zu einem Dreier-Konzert an den Ort, wo alles begann. Im Weltkunstzimmer an der Rondsdorfer Straße, das über den damaligen Proberäumen von Assassin und Co liegt, spielen unter dem Motto „100% Old School Thrash From The 80s“ die Bands Accuser (Siegen), Darkness (Essen) sowie Raging Rob. Und damit kommen wir wieder zum eingangs erwähnten Papidoux-Geschäftsführer Rocco Melzer: Der wird nämlich als DJ die Aftershow-Party beschallen.
Mittlerweile arbeitet er seit rund 30 Jahren in dem Lokal, hat als DJ die musikalische Weiterentwicklung mit angestoßen: „Als ich hier in den Neunzigern zum ersten Mal als Gast hinging, war der Sound noch eher hardrockig geprägt. Da wurde allenfalls zwischendurch mal ein härterer Song von Slayer gespielt.“ Ab 1995 etabliert Melzer als DJ einen Death- und Black-Metal-Abend. Nach einem Geschäftsführerwechsel darf er auch an den Wochenenden Pantera und Sepultura spielen, macht in den Nuller Jahren den Wechsel von Vinyl und CDs zum „MP3-Schubsen“ mit.
Auch nach der Jahrtausendwende bleibt das Papidoux „der“ Metal-Laden der Stadt, und im Laufe der Jahre lassen sich auch die Promis der Szene immer wieder mal als Papidoux-Gäste blicken: „Udo Dirkschneider von Accept war mal hier, auch die Jungs von Kreator, und Motörhead-Schlagzeuger Mikkey Dee haben wir als echte Rampensau erlebt, der hat die ganze Nacht durchgefeiert.“ Vor einigen Monaten ließ es sich die in die USA übergesiedelte Doro Pesch nicht nehmen, treuen Fans bei einem exklusiven „Patreon Meeting“ im Papidoux erstmals Songs aus dem neuen Album vorzustellen und noch dazu ein paar ihrer Klassiker anzustimmen. Als Bühne nutzte sie den Bereich hinter der Theke. Ausschnitte daraus konnten dann wiederum die 228.000 Follower aus aller Welt auf dem Instagram-Account der „Queen of Metal“ sehen.
In einer Zeit, in der Traditionslokale in Düsseldorfs Altstadt schließen, ist das Papidoux weniger von Touristen abhängig, zieht laut Melzer immer noch zu 90 Prozent Einheimische an. „Viele unserer alten und neuen Stammgäste werden zum Konzert ins Weltkunstzimmer kommen“, kündigt er an. Und Gonnella ergänzt: „Auch aus dem Pott haben sich viele Weggefährten von damals angekündigt.“ So wird das Mini-Festival zu einem Familientreffen der Metal-Szene zwischen Rhein und Ruhr – im Geiste der Achtziger. Auch Robert Gonnellas fünfjähriger Sohn wird mit dabei sein, um den Vater zum ersten Mal im Leben live auf einer Bühne zu erleben. „Wir haben ihm schon einen Hörschutz gekauft.“
Weiterführende Informationen
YouTube-Interview (2020) mit Markus Hahn, Schlagzeuger der Düsseldorfer Thrash-Metal-Band Deathrow, die ebenso wie Robert Gonnellas Band Assassin an der Ronsdorfer Straße probte. Ab Minute 47 besichtigt Hahn nach über 20 Jahren die ehemaligen Proberäume.
Artikel über Robert Gonnella bei 11Freunde: „Tarantino schaute zu. In Anlehnung an seinen Lieblingsverein Fortuna Düsseldorf gründet der Sprachstudent Robert Gonnella 1994 in Peking zuerst das Fußballteam Fortuna 94 Beijing. Und dann die größte Amateurliga Chinas.
Facebook-Clip: Auf der Bandseite von Raging Rob erzählt Robert Gonnella im Papidoux Heavy-Metal-Anekdoten aus Düsseldorf.
2020 schrieb VierNull-Redaktionsleiter Christian Herrendorf über Robert Gonnella in der WZ: „Warum es auch in Asien und Südamerika Fortunas gibt: Der Düsseldorfer Robert Gonnella gründete Teams in Japan und China.“
Ausgehlocations für Hardrock- und Metal-Fans in Düsseldorf
Papidoux, Liefergasse 7, geöffnet: mittwochs und donnerstags 18 bis 1 Uhr, freitags und samstags 18 bis 5 Uhr
Engel Rockbar, Bolkerstraße 33, geöffnet: montags bis donnerstags 16 bis 2 Uhr, freitags und samstags 13 bis 5 Uhr, sonntags 13 bis 2 Uhr
Weißer Bär, Bolkerstraße 50, geöffnet: mittwochs und donnerstags 14 bis 1 Uhr, freitags 14 bis 3 Uhr, samstags 12 bis 3 Uhr.
Auberge, Bolkerstraße 29, geöffnet: mittwochs bis donnerstags 16-1 Uhr, freitags 16-3 Uhr, samstags 12-3 Uhr, sonntags 12-0 Uhr Uhr
Die Blende, Friedrichstraße 122, geöffnet: sonntags bis donnerstags 11 bis 2 Uhr, freitags und samstags 11 bis 3 Uhr
Pitcher (viele Live-Konzerte), Oberbilker Allee 29, geöffnet: an Veranstaltungstagen in der Regel ab 18 Uhr