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Ein Knochenjob in Düsseldorf

Demnächst werden 40 vor langer Zeit begrabene Menschen erneut beerdigt. Denn ihre Skelette wurden in einer Baugrube an der Wasserstraße gefunden und müssen dem Neubau des Landtag-Gästehauses weichen. Sie stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert.
Von Hans Onkelbach (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 16. Mai 2024
Knochenfund an der Wasserstraße in Düsseldorf
Die hier abgebildeten Skelette stammen von Soldaten, die vor rund 300 Jahren auf einem Garnisonsfriedhof in Düsseldorf beerdigt wurden. Jetzt tauchten sie bei Bauarbeiten an der Wasserstraße wieder auf.

Als vor einigen Wochen bei den Abrissarbeiten am alten Gästehaus des Landtags plötzlich menschliche Knochen auftauchen, glaubt man zuerst an ein Verbrechen und alarmiert die Polizei. Aber schnell steht fest: Diese Knochen gehören zu Gräbern aus der Zeit zwischen 1720 und 1840. Sie waren auf dem damaligen Garnisonsfriedhof bestattet worden, der auf alten Karten der Stadt noch zu sehen ist. Dennoch erregte der Fund erhebliches Aufsehen. Die „Rheinische Post“ berichtet zuerst darüber und spricht von „Leichen im Keller des Landtags“. Ein schönes Bild, wenn auch ein bisschen schräg. Der eigentliche Landtag ist Luftlinie rund einen Kilometer entfernt.

Allerdings liegen die Knochen in einer Baugrube vom neuen Appartementhaus des NRW-Landtags. Als man an die Arbeit ging, die alten Mauern abriss und sich ganz nach unten buddelte, tauchten die Gerippe auf.

Nun sind Archäologen an der Arbeit und graben vorsichtig aus, was dort über viele Jahrzehnte lag. Übrigens nicht immer in Frieden. Schon damals, als das jetzt abgerissene Haus entstand, hatte man Knochen gefunden. Die wurden jedoch beiseite geräumt, um bauen zu können. Heutige Fachleute können exakt erkennen, erklären und zeigen, wo und wie dieser wenig pietätvoll Umgang mit den Skeletten passierte.

Es ist faszinierend, was da gerade abläuft, vor allem, den vier Experten bei der Arbeit zuzusehen. Diplom-Geologin Andrea Goernemann, die Archäologin Jasmin Rüdier und ihr Helfer Damian Danecki tragen mit kleinen Spateln und Pinselchen das Erdreich in kleinen Klumpen ab, putzen und pusten letzte Reste des lehmigen Bodens weg. Sehr langsam, sehr sorgfältig legen sie geduldig frei, was einst ein Mensch war. Immer auf den Knien, tief nach vorne gebeugt: Knochenarbeit im wahrsten Sinn des Wortes. Alles wird mit einer Drohne fotografiert, kartografiert und katalogisiert.

Die Toten waren junge Leute: Das Alter wird auf 20 bis 40 Jahre geschätzt, vermutlich alles Männer. Genauere Tests stehen noch aus. Es waren durchweg Soldaten, hier und da tauchen noch Uniformknöpfe auf. Kleidung oder das Holz der Särge sind fast spurlos verschwunden. Schuss-, Stich- oder Hiebverletzungen wurden bisher nicht gefunden. Womöglich sind diese Menschen durch eine Epidemie ums Leben gekommen. Jedenfalls waren sie – das zeigen vor allem die Oberschenkelknochen – kräftig. Die Zähne sind sämtlich in gutem Zustand.

Die Ausgrabungen werden im Auftrag der zuständigen Behörden von einer privaten Firma erledigt, der „Archäologische Ausgrabungen Berlin“. Stephan Weber (49), Archäologe, arbeitet seit langem für das Unternehmen und hat reichlich Erfahrung damit, dem Boden Botschaften aus vergangenen Zeiten zu entlocken. Seine Recherche hat ergeben, dass in dem Areal einst ein Garnisonsfriedhof lag, dessen Fläche sich noch bis weit unter die Nachbarhäuser und bis hin zum alten Landtag erstreckt, den es seinerzeit noch nicht gab. Mit anderen Worten: Es liegen dort noch reichlich Tote im Untergrund. Der gesamte Bereich befand sich weit außerhalb der damaligen Stadt, wie es bei Friedhöfen seinerzeit üblich war. Aus Gründen der Seuchenbekämpfung legte man Wert auf die Distanz zwischen Leben und Tod.

Nachfolgende Nutzer sahen das nicht mehr so eng. In den späteren Phasen des 19. Jahrhunderts, als keine Toten mehr unter die Erde kamen, bohrte man zwei Brunnen, die sicher Wasser lieferten, denn der Rhein ist nicht weit. Trotzdem ungewöhnlich. Entweder wusste man nichts von der früheren Nutzung, oder man ignorierte sie. Aus heutiger Sicht hygienisch ziemlich grenzwertig.

Bis Anfang Juni ruht die Baustelle, um dem Team die Zeit zu geben, alles zu bergen. Am Rand liegen schon rund ein Dutzend Plastiksäcke voller Knochen. Soweit möglich, wurden sie zueinander gehörend in einen Sack gesteckt. Nach und nach wird das auch mit den anderen geschehen.

Für die Experten ist ein Grab jedoch besonders auffällig. Anders als die anderen liegen die Skelette darin nicht allein und nicht gerade auf dem Rücken. In dieser Grube wurden offenbar mehrere Tote gemeinsam verscharrt. Deutlich ist zu erkennen, dass man die Körper damals platzsparend abgelegt hat. So, als wolle man möglichst viele unterbringen.

Demnächst werden alle eine würdige und dann wirklich letzte Ruhestätte finden. Da man davon ausgeht, dass es sich um Christen handelt, werden sämtlich Skelette auf einem Düsseldorfer Friedhof nach christlichem Ritus von einem Priester beerdigt. Zum zweiten Mal, rund 300 Jahre nach ihrem Tod.

Weitere Fotos von der Ausgrabungsstätte:

Gräber Wasserstrasse

Gräber Wasserstrasse

Gräber Wasserstrasse

Gräber Wasserstrasse

Gräber Wasserstrasse

Gräber Wasserstrasse

Gräber Wasserstrasse

Gräber Wasserstrasse

Gräber Wasserstrasse

Gräber Wasserstrasse

Gräber Wasserstrasse

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