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EM 2024: Was Düsseldorf nun vermissen wird

Gelbe Brillen, Raketenwissenschaft in der Arena und ein kollektives „Yes sir, I can boogie“ – das sind einige der Phänomene, die vom großen Fußball-Turnier in Erinnerung bleiben.
Veröffentlicht am 15. Juli 2024
Fußball-Europameisterschaft in Düsseldorf
Spanische Fußball-Fans starteten auf der Bolkerstraße in der Düsseldorfer Altstadt ihren Zug zum Spiel gegen Albanien.

Es beginnen die Tage des Verschwindens. Aus den Fanzonen werden wieder Burg- und Gründgens-Platz, Groß- und Flachbildschirme kommen in Keller und Kleinanzeigen, die Gassen der Altstadt sehen am Montagnachmittag wieder wie am Montagnachmittag aus. Sein letztes Spiel der Fußball-Europameisterschaft hat Düsseldorf schon vor zehn Tagen erlebt, die letzte Stimmung während des Finales zwischen Spanien und England.

An der einen oder anderen Ecke wird man in den nächsten Wochen nochmal auf ein Plakat stoßen, das irgendjemand nicht abgehängt hat – aber alle anderen Spuren sind ab sofort nur noch in Herz und Hippocampus. Mein Kollege Andreas Endermann und ich waren viel im EM-Düsseldorf unterwegs und haben unsere persönlichen Erinnerungen hier zusammengestellt:

Gastfreundschaft
Ich habe die EM-Qualifikation nicht besonders aufmerksam verfolgt. Deshalb freute ich mich zunächst, dass auch Irland beim Turnier dabei ist, schließlich sah ich so viele grüne Trikots in der Stadt. Dann verstand ich, dass das Team, das so gekleidet war, die freiwilligen Helfer:innen waren (Volunteers). Anschließend wurde mir schnell bewusst, dass sie das Rückgrat der hiesigen Gastfreundschaft bildeten.

Die Volunteers standen an jeder Ecke, an der Besucher:innen vielleicht eine Orientierungshilfe brauchten. Sie hatten Antworten schon parat, bevor man selbst die Frage richtig gedacht hatte. Und sie blieben über vier Wochen das Gegenteil der meteorologischen Herausforderungen dieses Turniers. Wenn man je etwas über Kommunikation, Motivation und Wertschätzung wissen wollte, konnte man zwischen dem Volunteer-Hauptquartier im Maxhaus und der Arena eine Menge lernen.

Am Ende waren die freiwilligen Helfer zudem ein wesentlicher Grund für den Satz, den ich von einem Altstadtwirt hörte, als ich fragte, wie es läuft: „Es ist viel mehr los als sonst und wir haben viel weniger Ärger als an jedem normalen Wochenende.“

Volunteers bei der EM in Düsseldorf

Nationenwertung
Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal zwei Minuten nach dem Abpfiff eines Fußballspiels nicht mehr auf den Fernseher schaue, sondern „Yes sir, I can boogie“ singe. Zu diesem eher kollektiven als musikalischen Ereignis haben mich Düsseldorfs neue Lieblingsgäste gebracht: die Schotten. Diese stark am Rahmenprogramm orientierte Landsmannschaft prägte Düsseldorf in allen Schattierungen von Dunkelblau. Wenn man ganz sicher ein Zentrum der Stimmung finden wollte, musste man seit Mitte Juni einfach nur schauen, wo die Schotten hingingen oder schon waren.

Anders als ihre Nationalmannschaft haben sich die Fans auch taktisch flexibel präsentiert. Nach dem Aus ihres Teams wechselten sie kurzerhand die Kopfbedeckung und waren fortan für Österreich, Spanien oder was immer dieses Rot auf dem Resthaar bedeutete.

Fußball-Europameisterschaft in Düsseldorf

Fußball-Europameisterschaft in Düsseldorf

Fußball-Europameisterschaft in Düsseldorf

Neben den Schotten haben uns weitere Nationen beeindruckt: Die Spanier und Albaner, die ihre Fanwalks erstklassig kostümiert schon in der Altstadt begannen. Die Ukrainer, die mir ihrem „Dawai, Dawai“ ihre Mannschaft in Düsseldorf zu deren einzigem Sieg brachten. Oder die Engländer, die vor ihrem Viertelfinale keinen Quadratzentimeter der Andreasstraße sichtbar ließen und dort in der Altstadt für den Fanblock probten. Soweit ich hören konnte, hatten sie „Yes sir, I can boogie“ allerdings nicht im Repertoire.

Fußball-Europameisterschaft in Düsseldorf

Fußball-Europameisterschaft in Düsseldorf

Fußball-Europameisterschaft in Düsseldorf

Fußball-Europameisterschaft in Düsseldorf

Raketenwissenschaft
Knapp 50.000 Menschen diverser Nationen pro Spiel zügig in die Arena zu bringen – das klang in etwa so vielversprechend wie eine Rückkehr von Christian Wörns in die deutsche Defensive. Ging aber deutlich besser aus. Der europäische Fußballverband hatte für das Turnier eine App entwickelt, die zwar vermutlich mehr Daten gesammelt hat als ein chinesisches Online-Kaufhaus, die aber auch ihren Zweck erfüllte. Die Zuschauer:innen passierten die Kontrollstellen in Bruchteilen von Sekundenbruchteilen, selbst regennasse Handy-Bildschirme konnten sofort gelesen werden.

Ich hoffe, dass dieses System künftig auch bei normalen Liga-Spielen der Fortuna zum Einsatz kommt – und es vielleicht eine Variante für die Fälle gibt, in denen man einen Platz in der U79 bekommen möchte.

Den zweiten Moment von Raketenwissenschaft habe ich erst mit Verzögerung bemerkt. Ein nicht ortskundiger Freund ist uns in der Arena kurzzeitig verloren gegangen. Also riefen wir ihn an und lotsten ihn auf einigen ungewollten Umwegen zu uns zurück. Dann erst verstand ich, dass ich gerade mehrere Minuten störungsfrei telefoniert hatte. Mit einem Handy. In der Arena. Ich weiß nicht, wie viel von den 20 Millionen Euro Stadionumbaukosten die Stadt ins Mobilnetz investiert hat. Aber die Summe war es wert.

Mode
Es gibt ja Teamsitzungen in Firmen, in denen erreichen Sauerstoffgehalt und Begeisterung etwa zur gleichen Zeit ihren Tiefpunkt. Vermutlich eine gute Viertelstunde später haben Check24 und Lidl ihre Merchandise-Entscheidungen für die EM getroffen. Den Einwand „Das sieht aber gar nicht gut aus“ hat deshalb niemand mehr gehört. Anders als mit dieser Fantasie kann ich mir kaum erklären, wie ein fürchterlich untermotiviert gestaltetes Deutschland-Trikot und eine sehr gelbe Brille auf den Markt kommen konnten. Die Fans haben diese Geschenke mit titelverdächtigem Ironie-Vermögen angenommen und -gezogen.

Helden
Ein paar davon gab es auch auf dem Platz in Düsseldorf, und wir werden alles geben, sie in Erinnerung zu behalten:

Maximilian Wöber: Der Österreicher erzielte den ersten Düsseldorfer EM-Treffer – leider ins eigene Tor.

Kevin Danso: Der ehemalige Fortune erzielte auch einen ersten Treffer – mit seiner Schulter gegen die Nase von Frankreichs Kylian Mbappe.

Aymeric Laporte: Spanischer Verteidiger ohne Neigung zur Work-Life-Balance. Sein Trainer schonte vor der dritten Partie zehn der elf Stammspieler, nur ihn nicht.

Martyn Margetson: Englischer Torwarttrainer, der auf der Trinkflasche von Keeper Jordan Pickford sachdienliche Hinweise fürs Elfmeterschießen gegen die Schweiz hinterließ. „Dive left“ stand dort für den ersten Strafstoß. Genau dort gingen Ball und Pickford dann auch hin. Im Finale war die Flasche dann wohl außer Reichweite.

Musik
Die zweite Zeile im Refrain von „Yes sir, I can boogie“ lautet übrigens „But I need a certain song“.

Fußball-Europameisterschaft in Düsseldorf

Fußball-Europameisterschaft in Düsseldorf

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