fbpx
Die Düssel an der Louise-Dumont-Straße in Düsseldorf
Eine der bekannten Stellen der nördlichen Düssel: Hier fließt sie neben der Louise-Dumont-Straße am Rande des Hofgartens. Alle Fotos: Sebastian Brück

Gebrauchsanweisung für die Nördliche Düssel

Zwei Fahrrad-Flaneure folgen dem nördlichen Arm des Düsseldorfer Namenspaten. Auf dem Weg zum Düssel-Spaltwerk in Gerresheim begegnen sie einer Mühle, einer Burgruine, einem Karpfen und einem Eisvogel.
Veröffentlicht am 25. Oktober 2024

Wir haben das schon mal gemacht – wenn auch sehr langsam. Nämlich: zu Fuß, nicht mit dem Fahrrad. 45 Kilometer, von der Mündung in den Rhein bis zur Quelle im Bergischen Land. Über sechs Jahre, in kurzen Etappen, stets so nahe wie möglich am Ufer. Die Rede ist vom Namenspaten der Stadt. Damals mussten wir uns entscheiden – und nahmen den südlichen Düssel-Arm. Er fließt durch Kaiserteich, Schwanenspiegel und Spee´schen Graben und mündet auf Höhe des Bistros „Zicke“ in den Rhein.

„Hast du schon eine Text-Idee für den Einstieg“?“, fragt mein bester Freund P., als wir am Samstagmittag am Unteren Rheinwerft stehen. Vor uns deutet ein aus blauen Backsteinen geformtes Wellenband den Mündungs-Verlauf der Düssel an, diesmal der nördlichen. Wenige Meter stromabwärts kaufen Touristen Tickets für Rheinschifffahrten. Die Düssel-„Welle“ verläuft am nördlichen Ende der Kasematten-Gastronomie mitten durch die Außenterrasse der Cocktail-Bar 112. Scheinbar unbemerkt.

P. beugt sich weit über das ungeliebte Geländer, das den Zugang zum Rhein sichern soll, schüttelt den Kopf und beantwortet die Frage selbst: „Wie wär‘s mit ,Geländerstadt Düsseldorf‘?“

Zugegeben: Auch ohne Geländer hätte er die Düssel-Mündung nicht sehen können. Dass sich direkt vor beziehungsweise unter uns der bekannteste unbekannte Fluss des Landes mit dem größten Strom des Landes vereint, ist nur vom Oberkasseler Ufer oder von vorbeifahrenden Schiffen aus zu erkennen. Und nur bei Niedrigwasser. Aktuell, wo der Rhein gut gefüllt ist, erfolgt die Liaison von Düssel und Rhein unter der Wasseroberfläche.

Wir nehmen die Verfolgung auf, tragen unsere Fahrräder über die Freitreppe zur Rheinuferpromenade. Vorbei am Schlossturm und dem Lokal „Zum Goldenen Kessel“ fahren wir über den Burgplatz zum einzigen Abschnitt, an dem die Nördliche Düssel in der Altstadt unter freiem Himmel verläuft: rund hundert Meter, entlang der kopfsteingepflasterten und für den Durchgangsverkehr gesperrten Josef-Wimmer-Gasse. 

Am Düssel-Geländer neben dem bronzenen Stadterhebungsmonument treffen wir auf die Reste einer improvisierten Freiluft-Bar: Auf der uferbegrenzenden Backsteinmauer steht eine leere Flasche Wodka Gorbatschow, flankiert von einem mit oranger Flüssigkeit gefülltem Plastikbecher und zwei leeren Bierflaschen. Das abgestandene Erbe der vergangenen Nacht.

Und sonst: Die auf der Düssel-Oberfläche schwimmenden Blätter bewegen sich nicht. Das Wasser ist dunkel, am niedrigen Grund kann man Wasserpflanzen und Algen erahnen. Zwei Enten. Ein Teichhuhn. Keine Strömung. Dass es sich nicht um einen Graben, sondern um ein Flüsschen handelt, beweist der Mini-Wasserfall, über den die Nördliche Düssel in ein Rohr unter dem Burgplatz Richtung Rhein entschwindet.

Mündung Nördliche Düssel
Die Mündung der Nördlichen Düssel in den Rhein

Jose-Wimmer-Gasse (1)
Kurz vor der Mündung in der Altstadt (Josef-Wimmer-Gasse)

„Renaturiert wurden hier bislang nur Mageninhalte und Körperflüssigkeiten“, sagt mein bester Freund P. mit Blick auf das in seinem Betonbett gefangene Flüsschen, und deutet auf einen am „Beckenrand“ schwimmenden Klumpen. Bei diesem scheint nicht sicher, ob es sich um ein weggeworfenes Stück Pizza oder um Erbrochenes handelt.

„Pfui, das muss man doch nicht erwähnen“, sage ich und hebe ironisch-mahnend den Finger. „Diese Tour muss ab sofort viel ernster werden, quasi mit Bildungsauftrag.“

Wir verlassen die „Altstadt-Düssel“, mit dem Schlossturm und (in Herbst und Winter) dem Riesenrad im Hintergrund eines der meistfotografierten Motive der Stadt, und machen uns über die Liefergasse auf den Weg: das Düssel-Spaltwerk im Süden von Gerresheim, unmittelbar an der Grenze zu Vennhausen. Dort, wo sich die aus dem Neandertal und Erkrath kommende Düssel in (vorerst) zwei Hälften aufteilt.

Wir radeln über die Mühlenstraße, vorbei am Grabbeplatz, Richtung Heinrich-Heine-Allee und Hofgarten. Irgendwo unter uns, zwischen Kommödchen und Kunstsammlung verläuft unsichtbar der Düssel-Schacht. Das Wasser wird ihm über eine Abflussschleuse aus der Landskrone zugeführt.  Im Hofgarten halten wir an der Goldenen Brücke, ihres Zeichens älteste Fußgängerbrücke der Stadt.

„Wo genau das Wasser wohl aus dem Teich in die Düssel abläuft?“, fragt mein bester Freund P., während er sich, noch auf dem Rad sitzend, am Geländer festhält. Ich drehe mich zur Seite, deute Richtung Opernhaus: „Irgendwo da, glaube ich.“

Die Anschlussfrage drängt sich auf, ohne dass wir sie aussprechen: Wo läuft das Düssel-Wasser in den Teich hinein? Wir wenden erneut den Blick, betrachten das Dreischeibenhaus am anderen Ufer. Vor dem Gebäude zu erkennen: die Mündung der Düssel in die Landskrone. Nach dem Abriss des Tausendfüßlers und dem Bau des Kö-Bogen-Tunnels wurde sie gegen Ende des vergangenen Jahrzehnts zwischen Goltsteinstraße und Landskrone „entrohrt“: ein neues, den Tunnel überfließendes Flussbett mit drei Rad- und Fußgängerbrücken in dem Bereich, wo sie zuvor unterirdisch verlief.

Landskrone Düssel-Mündung (3)
An der Landskrone

„Den meisten Leuten war vorher ja gar nicht bewusst, dass die Landskrone inklusive Kö-Graben von Düssel-Wasser gespeist wird“, schlaumeiert mein Begleiter.

Kurz darauf erreichen wir die mittlere der neuen Brücken und lassen den Blick schweifen. Zunächst schauen wir zum Weiher: Eine aus großen Quadern gebaute Fischtreppe ermöglicht seit 2019 den Fischen aus der Landskrone in das Flüsschen hinein zu schwimmen und andersherum. Eine Familienzusammenführung nach zig Generationen – aber nur, wenn Rotaugen und Co. auch wirklich Lust haben, in den so schnurgeraden wie steril wirkenden neuen Düssel-Abschnitt zu schwimmen.

Als wir unsere Tour entlang des Düssel-Betts fortsetzen und dabei das Theatermuseum und die Fontäne „Jröner Jong“ links liegen lassen, fragt P.: „Wie lange haben wir eigentlich damals zu Fuß gebraucht, also von der südlichen Düssel-Mündung bis Gerresheim?“

„Knapp zwei Jahre“, antworte ich. Ich habe die Frage erwartet und vorab recherchiert. „Und heute mit dem Rad würden wir für die Tour entlang der Nördlichen Düssel ohne Pausen nur etwas mehr als eine halbe Stunde brauchen.“

„Sagt wer?“, fragt P. „Klingt ja fast nach Rennrad-Geschwindigkeit …“

„Sagt die künstliche Intelligenz“, antworte ich. „Wobei die auch schnell an ihre Grenzen kommt: Angeblich beträgt unser heutiges Pensum acht bis zehn Kilometer. Genauer geht‘s nicht, weil die Düssel ja durch dicht bebautes Gebiet und teils verrohrt verläuft und wir nicht immer direkt am Ufer fahren können …“

An der Goltsteinstraße, der „schönsten Nebenstraßenstraße der inneren Innenstadt“, so P., und vorbei an der Rückfront des Schauspielhauses durchqueren wir den Hofgarten und überqueren die Jacobistraße. Fortan haben wir es entlang des Ufers mit der Louise-Dumont-Straße zu tun. Die Düssel zieht sich in einem so sanften wie langen Schwung zum östlichsten Hofgarten-Zipfel. Dort, nach einer weiteren Fußgängerbrücke, vollführt sie einen scharfen Knick und verschwindet zwischen Ästen und Gebüschen hinter einem von Mauern eingefassten Absperrgitter. Also: Eigentlich ist es ja genau andersherum, aber wir folgen unserem Flüsschen nun mal gegen den Strom, nicht mit ihm.

„Malkastenpark“, konstatiert mein bester Freund P.

„Ist einen Exkurs wert“, sage ich.

Wir drehen um, und zwei Minuten später stehen wir vor dem Hentrichhaus, dem nach dem Zweiten Weltkrieg neu errichteten Hauptgebäude des Malkastens. Wir schließen die Fahrräder ab, halten uns links, spazieren zum Jacobihaus. Dort empfängt uns die Düssel. Hier, wo sie vor dem Eingang zum Malkastenpark in eben diesen einfließt, ist sie nur rund zwei Meter breit und für ihre Verhältnisse ziemlich tief. Neben dem Ufer-Fußweg: Farne und Hortensien.

Die roséfarbene Fassade mit den hohen Fenstern und Holzfensterläden zu unserer Rechten gehört zum originalgetreuen Wiederaufbau des ehemaligen Wohnhauses von Friedrich Heinrich Jacobi – eine Außenterrasse mit direktem Düssel-Zugang inklusive. Heute beherbergt das Gebäude das Clubhaus des Künstlervereins. Bereits im 18. Jahrhundert avancierte es zum Treffpunkt der Dichter und Denker. Christoph Martin Wieland, Johann Gottfried Herder, Alexander von Humboldt. Hier kamen die Stars der Szene zusammen.

Für den Eintritt in den früheren Jacobigarten und heutigen Malkastenpark muss man normalerweise eine Art Drehkreuz passieren, das mich an die Freibadnachmittage meiner Kindheit erinnert. Kosten: zwei Euro pro Person, per Münze einzuwerfen. Aktuell ist der Park gesperrt. Umbau oder Renovierung. Und so bleibt nur aus der Erinnerung an einen früheren Malkastenparkbesuch zu berichten, wie die Düssel sich unter hohen Bäumen und flankiert von Rasenflächen und allerlei Kunstwerken in einem 180-Grad-Winkel am äußeren Rand der weitläufigen Anlage entlangstreckt, bevor sie das eben erwähnte Gitter an der Louise-Dumont-Straße erreicht.

Auf halbem Weg: ein Teich, vom Flüsschen gespeist. In seiner Mitte schießt eine Wasserfontäne gen Himmel, mit der harmonisch auf das Bar-Restaurant im Hentrichhaus zuführenden Park-Hauptachse im Hintergrund. Es gibt eine Goethe-Statue, eine Goethe-Buche und eine Goethe-Bank – als Hommage an den großen Dichter, der das Jacobihaus 1774 und 1792 besuchte. Man könnte sich demnach Goethe vorstellen, wie er in unmittelbarer Nähe der Düssel mit Kollegen über Kunst, Kultur und Politik diskutiert, seine neuesten Werke präsentiert oder daraus zitiert: Open-Air-Lesungen im „Pempelforter Zirkel.“ Der Jacobigarten als gesellschaftlicher Treffpunkt der Stadt.

Wir schwingen uns wieder auf die Räder, und als ich bei der Fahrt entlang der Prinz-Georg-Straße, vorbei an Schloss Jägerhof frage, wo genau die Düssel-Röhre wohl verlaufen mag, bevor das Flüsschen nahe der Rochuskirche wieder nach Luft schnappt, springt mein Co-Flaneur gedanklich in seine Studienzeit zurück. Er ist sich sicher, in den Neunzigern eine Kommilitonin mit spezieller Düssel-Verbindung besucht zu haben: „Die wohnte da vorne.“ Er zeigt auf das Eckhaus Alt Pempelfort 2, mit dem Brauhaus Hirschchen im Erdgeschoss. „Und sie hat gesagt, dass die Düssel in dem Gebäude unter dem Keller vorbeifließt.“

„Aber hast du die Aussage damals auch einem Faktencheck unterzogen?“, frage ich und muss lachen (P.s Antwort kann ich hier nicht zitieren).

Ein Blick auf Google Maps offenbart: Der Düssel-Verlauf unter dem Haus scheint plausibel. Von dort, wo die Düssel am Eingang des Malkastenparks, aus einer Röhre herausfließt, kann man auf der Karte eine schnurgerade Linie zu dem Punkt ziehen, wo die Düssel in der Mitte der Prinz-Georg-Straße in einer Röhre verschwindet. Würde also passen …

An der Prinz-Georg-Straße, zwischen Benedikt-Schmittmann-Straße und Moltkestraße, steigen wir ab und schieben die Räder einen halben Kilometer über den Fußweg seitlich der Freiluft-Düssel. Unser Flüsschen verläuft in der Straßenmitte, flankiert von den beiden Fahrbahnen – und vielen imposanten Altbauten. Eine grüne Lebensader im urbanen Gewebe, meist 20, teils fast 40 Meter breit, mit Bäumen und Büschen und sogar einer Insel.

An der Eulerstraße verwindet die Düssel wieder im Schacht. Unter der Erde biegt sie rechts ab, verlässt den Straßenverlauf und taucht auf dem parkähnlichen Gelände des ehemaligen Annaklosters und heutigen Kinderhilfezentrums wieder auf. 170 Düssel-Meter, die für uns an diesem Tag unerreichbar bleiben: Die Tore des von Backsteinmauern umgebenen Geländes sind verschlossen. Wir fahren bis zur Annastraße, die den Block an der anderen Seite umschließt, und erhaschen zumindest dort einen kurzen Wasser-Blick, bevor die Düssel sich wieder in den Untergrund verabschiedet.

Taucht die Nördliche Düssel überhaupt noch mal auf, bevor sie die Trasse von ICE und S-Bahn unterquert? P. ist besser vorbereitet als ich und gibt das nächste Ziel aus: Wir müssen zur Yorckstraße, Höhe Bülowstraße. Bis dahin, so erzählt P., quert das Düssel-Rohr die Jülicher Straße und kommt nach zwei Häuserblöcken wieder zum Vorschein.

Fünf Minuten später: Der Fußweg von der Yorckstraße hin zur freigelegten Düssel ist aus nicht erklärlichen Gründen mit provisorischen Gittern versperrt. Also nehmen wir einen kurzen Umweg über Münsterstraße und Toulouser Allee. Kurz darauf stehen wir vor einem namenlosen, im Süden durch das FOM-Hochschulzentrum begrenzten Mini-Park, den wir als Bewohner des südlichen Teils der Stadt noch nie wahrgenommen haben: Auf einer kurzen Strecke von knapp 80 Metern ist die Düssel zwischen Yorckstraße und Bahntrasse ans Tageslicht befördert und renaturiert worden.

Die Düssel an der Toulouser Allee in Düsseldorf
Ein kleiner Düssel-See nahe der Toulouser Allee und der FOM-Hochschule

All das passierte, wie wir auf die Schnelle am Smartphone recherchieren, im Jahr 2011, im Zuge der Erschließung der inzwischen fertiggestellten neuen Stadtquartiere, die in Derendorf und Pempelfort die Bahntrasse säumen. Nicht nur das: Man hat die Düssel zu einem kleinen, von Schilf gesäumten Teich angestaut, der von einer auf gelben Stelzen stehenden und leicht futuristisch anmutenden Rad- und Fußgängerbrücke überquert wird. Von der Mitte eben dieser Brücke aus beobachten wir die Szenerie. Eine ältere Dame führt ihren Hund spazieren. Zwei Mütter bestaunen mit ihren Kindern die Enten. Und im Hintergrund kann man über einen Richtung Hauptbahnhof fahrenden ICE hinweg bis zum ARAG-Hochhaus schauen.

Mein fischbegeisterter Freund entdeckt einen erstaunlich großen Karpfen im Wasser und urteilt: „Den muss einer ausgesetzt haben.“ Ein paar Sekunden später zischt er aufgeregt: „Da vorne, direkt vor der Röhre!“ Ich schaue von seinen Augen geführt auf die Schilfrohre vor der Unterführungsröhre zur Toulouser Straße. Für einen Wimpernschlag sehe ich einen kleinen kompakten Vogel mit blauem Gefieder: ein Eisvogel. Er sitzt auf einem der Halme, fliegt weiter, ist offensichtlich auf Fischjagd.

Wir kennen ihn – also natürlich nicht diesen einen persönlich, aber seine Artgenossen. Ein halbes Dutzend Mal sind wir den „fliegenden Edelsteinen“ bereits begegnet auf unseren Touren entlang der Düssel. An der Karolingerstraße, im Volksgarten, am Brückerbach, im Neandertal. Doch noch nie ist ein paar Sekunden zuvor ganz in der Nähe ein ICE vorbeigefahren. „Geschwindigkeitskünstler unter sich“, sagt P., der prompt eine im Radio aufgeschnappte Anekdote auf Lager hat: So habe sich der Chefingenieur des japanischen Hochgeschwindigkeitszugs Shinkansen von der aerodynamischen Form des Eisvogelschnabels inspirieren lassen, um das Design der Zugfront zu optimieren.

Düsseltal. Mulvanystraße. Eben haben wir die Nord-Süd-Bahntrasse an der Münsterstraße überquert und als Abkürzung unsere Fahrräder am S-Bahnhof Derendorf die Stufen heruntergetragen. Nun biegen wir beim Schild „Buschermühle“ rechts ab. Die Buschermühle, von der aus die Düssel die Bahntrasse unterquert, ist die älteste Mühle der Stadt, 1992 wiedereröffnet und betreut vom Heimatverein Derendorfer Jonges. Wir durchqueren den angrenzenden, von der Düssel durchflossenen Park. Eine Düssel-Abzweigung speist einen gar nicht so kleinen Teich. Am Ufer tummeln sich in friedlicher Eintracht eine Gruppe Enten und drei Nutrias – diese ursprünglich aus Südamerika stammende Mischung aus Biber und Bisamratte, die eigentlich eher mit dem Meerschweinchen verwandt ist und sich nach dem Ausbruch aus Pelztierfarmen längst auch in Deutschland verbreitet hat.

Buscher Mühle in Düsseldorf
Buscher Mühle

Quer durch den Park erreichen wir die Grunerstraße. Die Düssel verläuft unter der Fahrbahn und kommt entlang der Kühlwetterstraße wieder zum Vorschein. Das in diesem Abschnitt auffallend steile Ufer ist so sehr von Bäumen und Büschen bestanden, dass wir das Wasser stellenweise kaum sehen können. An der Brehmstraße, wo die Düssel das Gelände des Eisstadions unterquert, halten wir an und machen Fotos. P. checkt die Uhrzeit: „Wir sind jetzt seit einer Stunde unterwegs.“

Im Zoopark entdecken wir die Düssel wieder. „Im Vergleich zur nördlichen ist die südliche ja fast ein reißender Fluss“, sagt mein bester Freund P., als wir von einer Fußgängerbrücke aus auf das Flüsschen schauen. Tatsächlich: Über den gesamten bisherigen Verlauf hinweg muss man sich anstrengen, um zu erkennen, dass es sich um ein Fließ- und nicht um ein Stehgewässer handelt. „Vielleicht wird der Düssel vom Kittelbach derzeit aus irgendwelchen Gründen mehr Wasser abgezweigt als sonst“, spekuliert mein Begleiter. So oder so: Unsere Tour ist eine Momentaufnahme. Anwohner wissen mehr.

Burgruine im Düsseldorf Zoopark
Burgruine im Zoopark

Bevor wir eben jene Stelle ansteuern, wo sich der nördliche Düssel-Arm in zwei Hälften teilt, unternehmen wir eine kurze Reise in die Geschichte des Parks. Bis zu den Bombenangriffen im November 1943 war das 13 Hektar große Areal Standort des Düsseldorfs Zoos. Die Sandstein-Skulptur eines Affen, die heute noch an die Vergangenheit des Parks erinnert, verpassen wir. Doch als wir mit den Rädern auf einen Hügel (der ehemalige Gemsberg) in der Mitte des Parks fahren, stoßen wir auf Mauerreste. Kurios: Hier, unmittelbar oberhalb des Düssel-Verlaufs, wurde 1875 für 80.000 Goldmark eine künstliche Burgruine erschaffen – als Wahrzeichen des ein Jahr später eröffneten Zoos. Das Bauwerk gilt als Beispiel für die romantische und pittoreske Landschaftsarchitektur des 19. Jahrhunderts, und vom Turm aus soll man eine prächtige Aussicht auf Park und Weiher gehabt haben.

Vom Zoopark aus folgen wir der Nördlichen Düssel über die Mathildenstraße hinweg in eine schmale Grünanlage. Begleitet vom Flüsschen zieht sich dieser Grünstreifen mit kleinem Teich knapp 300 Meter bis zur Heinrichstraße. Und dort ist es dann erreicht: das Spaltwerk Heinrichstraße, an der Grenze von Düsseltal zu Mörsenbroich. Von der Brücke kann man die Spaltung der Nördlichen Düssel gut beobachten. Der Teil, der Richtung Norden dem Verlauf der Heinrichstraße folgt, und weitaus mehr Wasser führt, heißt fortan Kittelbach und fließt via Unterrath, Lichtenbroich, Lohhausen bei Kaiserswerth in den Rhein. Und der nach Westen abgeleitete, eher „schmalbrüstige“ Rest firmiert weiterhin als Nördliche Düssel.

Spaltwerk der Düssel an der Heinrichstraße
Spaltwerk der Düssel an der Heinrichstraße

Entlang der Heinrichstraße folgen wir der Düssel über den grünen Mittelstreifen bis zu Graf-Recke- und Vautierstraße, wo wir wiederum in die Otto-Petersen-Straße einbiegen und so einen weiteren rund 600 Meter langen Grünstreifen erreichen. In diesem Abschnitt wurde die Nördliche Düssel schon 1989 weitgehend renaturiert. Endpunkt dieser Zwischenetappe: die mit gelbem Geländer versehene Düssel-Brücke an der Simrockstraße.

Der nächste Flussaufwärts-Abschnitt ist verrohrt. Wir radeln zur anderen Straßenseite und biegen, inzwischen bereits im Stadtteil Grafenberg, in die zur Grafenberger Allee führende Gehrtsstraße ein. Und als ich gerade die schönen Altbauten loben möchte, stellt P. eine Frage, die mich vor Jahren auch schon mal bewegt hat: „Stören sich die Fische eigentlich an den dunklen, verrohrten Düssel-Abschnitten? Schwimmen die da rein?“

Ich erinnere mich an die Antwort des Experten, den ich damals zur Rate zog: Kürzere Abschnitte von zehn bis zwanzig Metern, wo noch Licht einfällt, etwa unter Straßen, werden von den Fischen locker durchschwommen. Längere Strecken können nur von „schwimmstarken“ Arten wie Bachforelle, Aal, Nase oder Barbe passiert werden.

An der Grafenberger Allee zeigt sich die Düssel wieder der Sonne. Sie fließt parallel zur kastanienbestandenen Altenbergstraße, anfangs mit Blick auf den imposanten Turm der Kirche St. Ursula. Wir folgen dem geraden Flussverlauf. Nach gut zwei hundert Metern öffnet sich rechterhand der Blick Richtung Flingern-Nord – auf einen Feldhockeyplatz, wo gerade eine Jugendmannschaft trainiert. Im Hintergrund scheint die Media-Markt-Filiale an der Walter-Eucken-Straße durch.  

Um der Düssel, die gegen Ende der Altenbergstraße die Güterzugtrasse unterquert, zu folgen, überqueren wir an der Limburgstraße die Gleise über eine Fußgängerbrücke. Vorbei am Ostpark orientieren wir uns am Verlauf der Zweibrückenstraße, und genau an der Stelle, wo diese einen Bogen nach links macht, treffen wir auf die Düssel, die hier unter der Bahntrasse verschwindet. Die Zweibrückenstraße bleibt zunächst der Begleiter des gerade verlaufenden Flüsschens. Als wir ihr Ende erreichen, befinden wir uns bereits auf Gerresheimer Gebiet und wechseln auf den Fuß- und Radweg.

Der Ostpark in Düsseldorf Grafenberg
Der Ostpark

Nahe der „Gaststätte am Ostpark“ erspähen wir – damit war nicht zu rechnen – am anderen Ufer einen weiteren Feldhockeyplatz, wo ebenfalls gerade trainiert wird. Wir stoppen, P. nimmt sein iPhone zur Hand und befragt Google Maps: Demnach handelt es sich beim ersten Hockeyverein um den DSD und beim aktuellen um den DSC99. Da es insgesamt nur drei Hockeyvereine in Düsseldorf zu geben scheint, kommt P. zu einem so genialen wie unwissenschaftlichen Schluss: „Die Nähe der Nördlichen Düssel führt zu einer 66,6 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit, dass sich in der Umgebung ein Hockeyverein ansiedelt.“

Es geht weiter auf geradem Kurs entlang des Ufers bis zur Dreherstraße, die wir überqueren. Auf der Höhe einer Lidl-Filale am linken und eines halb zerfallenen Fachwerkhäuschens am rechten Ufer sind wir kurz unschlüssig, wie wir fortfahren. Wir entscheiden uns für den schmalen Trampelpfad am linken Ufer. Nach 400 Metern stoppt uns die Mündung des Pillebachs. Ein Schlenker über das Kleingartengelände Am Quellenbusch führt über eine Brücke und bringt uns zurück auf Düssel-Kurs: Das Schild mit der Aufschrift „Betriebsweg. Durchfahrt verboten“ ignorierend (P.: „Gilt nur für Autos!“) erreichen wir den zuvor durch den Pillebach durchschnittenen Trampelpfad.

Fortan wird die Düssel an beiden Seiten von Kleingärten eingerahmt. Kurz bevor sie in einem Tunnel verschwindet, zweigt der Trampelpfad zwischen Bäumen und Büschen nach links ab. Wir schieben die Räder, zwängen uns hindurch und erreichen einen rot-weißen Pöller. Und da wir uns an diesem Tag ohne großen Plan auf den Weg gemacht haben, erleben wir eine Überraschung: Wir befinden uns am äußeren Ende der Bauhaus-Drive-In-Arena.

An der Baumarkt-Zufahrt halten wir uns rechts und nehmen die Straße „Nach den Mauresköthen“. Unsichtbar für das Auge bahnt sich hier die kanalisierte Düssel ihren Weg unter der Fahrbahn, quer durch das von einer Backsteinmauer gesäumte Gelände der ehemaligen Gerresheimer Glashütte. Wir machen einen Bogen, unterqueren zwei Brücken. Kurz vor einem Schild, das an der Gubener Straße den Stadtteil Vennhausen ankündigt, halten wir uns links und biegen in die Höherhofstraße ein. Frisch gemähte Wiesen, eine grüne Schneise unter Strommasten, mit Blick auf die Einfamilienhäuser des Senftenberger Wegs. Wie erhofft treffen wir kurz darauf auf die Düssel. Sie macht eine Kurve, läuft auf eine Bahnstrecke-Unterführung zu, um dann etwas weiter nördlich unter dem Glashütten-Gelände Richtung Bauhaus abzutauchen.

Die asphaltierte Höherhofstraße zweigt links ab zu einem Reitstall. Wir halten Düssel-Kurs, folgen dem Fuß- und Radweg flussaufwärts und erreichen kurz darauf, nach insgesamt gut zweieinhalb Stunden Fahrt, unser Ziel: das Spaltwerk in Gerresheim. Hier passiert sie, die „Scheidung“ der „Neandertal-Düssel“ in einen südlichen und einen nördlichen Arm. Wir zücken die Smartphones, schießen Fotos aus verschiedenen Positionen und Perspektiven.

Das Düssel-Spaltwerk in Düsseldorf Gerresheim

Gerresheim Spaltwerk (4) mit Rheinturm
Das Düssel-Spaltwerk in Gerresheim (mit Rheinturm)

Altstadt, Stadtmitte, Pempelfort, Derendorf, Düsseltal, Mörsenbroich, Grafenberg, Flingern-Nord, Gerresheim, Vennhausen: Zehn Stadtviertel haben wir durchfahren oder zumindest gestreift bei unserer heutigen Tour.

„Jetzt fehlt nur noch der Kittelbach“, sagt P. „Dann hätten wir das Düssel-Delta komplett entdeckt.“

Ich nicke. Mein Blick fällt auf das Spaltwerk, und erst dann wird mir bewusst, obwohl ich gerade mindestens zehn Fotos von der Szene gemacht habe: Genau in der Mitte ist zwischen zwei Strommasten ist der Rheinturm am Horizont zu sehen. Wäre das nichts für ein Schlusswort aus der Abteilung „Unnützes Wissen“? Etwa so: Sowohl am Düssel-Spaltwerk in Gerresheim als auch an den Mündungen der Südlichen und der Nördlichen Düssel kann man den Rheinturm sehen. Das Wahrzeichen der Stadt als visuelle Klammer für den Namenspatron der Stadt.

Weitere Informationen zur Düssel

Die Düssel mündet innerhalb Düsseldorfs über vier Arme in den Rhein. Im Stadtteil Gerresheim spaltet sich die Düssel aus dem Neandertal und Erkrath kommend am Spaltwerk in einen nördlichen und einen südlichen Zweig. An der Heinrichstraße trennt sich der Kittelbach von der Nördlichen Düssel an einem weiteren Spaltwerk. In Wersten zweigt der Brückerbach von der Südlichen Düssel ab. Am Brückerbach und an der Südlichen Düssel machen Fischaufstiegsanlagen die Düssel für Fische passierbar.

Sebastian Brück ist der Düssel ab der südlichen Mündung in den Rhein flussaufwärts von 2014 bis 2021 gefolgt. Die einzelnen Etappen sind auf seinem Blog Düssel-Flaneur im Überblick verlinkt.

Zum Düssel-Arm Brückerbach hat er auf dem Online-Portal The Düsseldorfer eine zweiteilige Extrafolge veröffentlicht (hier nachzulesen).


Lust auf weitere Geschichten?