Wie Rechtsmediziner bei Giftmorden auf Spurensuche gehen

Mehrmals versuchte das Liebespaar im Fall Minouche, den Ehemann zu beseitigen. Unter anderem auch mit dem Gift aus den Innereien des Kugelfischs Fugu. Mit solchen Giftmorden hat es die Rechtsmedizin heute viel weniger zu tun als noch in den 70er oder 80er Jahren. Thomas Daldrup ist Toxikologe und leitete lange Zeit das Institut für Rechtsmedizin der Heinrich-Heine-Universität. Im Gespräch erklärt er, wie Rechtsmediziner:innen Giften auf die Spur kommen und wie schwierig es ist, ohne konkrete Hinweise eine Vergiftung festzustellen. Die Einblicke, die er gibt, sind hier zusammengefasst in den folgenden Fragen und Antworten. Woran erkennt man, dass jemand Opfer eines Giftmords wurde?Das erkennt man erst einmal gar nicht. Dass ein Gift sichtbare Spuren hinterlässt, ist die Ausnahme. Menschen, die an einer Vergiftung sterben, sterben in der Regel, weil ein Organ aufhört zu funktionieren. Meist das Herz oder das Gehirn, das zum Beispiel dann dafür sorgt, dass die Atmung aussetzt. Auf den ersten Blick können Herzstillstand und Atemlähmung aber auch natürliche Ursachen haben. Vor allem bei Giftmorden, wie man sie sich aus dem Krimi vorstellt, bei dem ein Opfer etwas zu essen bekommt, dem Gift untergemischt wurde, wird es schwierig. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Wenn es für Täter oder Täterin gut läuft, bemerkt das Opfer nicht, dass es vergiftet wird - und sieht, riecht und schmeckt nichts von der gefährlichen Substanz auf dem Teller. Dann ist es auch für Rechtsmediziner:innen besonders schwer, die Tat zu erkennen. Wie stellt man eine Vergiftung fest?Nach Giften suchen die Rechtsmediziner:innen an verschiedenen Stellen. Im Magen und zum Teil im Urin sehen sie, was eine Person zu sich genommen hat. Sie untersuchen den Körper auf Einstichstellen. Auch das Blut, die Muskulatur, Organe oder die Haare können Hinweise auf Gifte enthalten. Die Weichen dafür, dass sie etwas finden, werden aber nicht so sehr im Labor gestellt, sagt Daldrup. Die Toxikolog:innen brauchen Hinweise von den Ermittelnden, damit sie wissen, in welche Richtung sie suchen müssen. Denn prinzipiell ist jedes Medikament, jede Chemikalie ein potentieller Giftstoff. War das Opfer in der Landwirtschaft tätig, kommen verschiedene Pflanzenschutzmittel in Frage. Hilfreich sind aber vor allem Aussagen über Symptome, die das Opfer vor dem Tod gezeigt hat. Gab es eine Atemlähmung? Dann suchen die Mediziner:innen gezielt nach Substanzen, die das auslösen können. So kann es sein, dass sich die Vielzahl an Stoffen auf 100 bis 200 eingrenzt. Für einige gibt es Screening-Verfahren, bei denen man mit einem Test viele verschiedene ausschließen oder belegen kann. Wenn das kein Ergebnis bringt, wird es mühsam. Neuere, synthetische Drogen zum Beispiel, liegen in den Bibliotheken oft noch nicht vor. Gifte, wie das aus den Innereien des Kugelfischs sind von ihrer chemischen Struktur sehr komplex und schwierig zu finden. Daldrup selbst habe damit noch nicht zu tun gehabt, sei auf einer Tagung aber einmal einem Fall aus Japan begegnet, bei dem ein Mann drei Ehefrauen hintereinander mit einer Mischung aus diesem Gift und einem Pflanzengift ermordete, um die Lebensversicherung einzustreichen. Finden die Ermittler:innen Substanzen in der Wohnung einer verstorbenen Person, können die Rechtsmediziner:innen damit eigene Verfahren entwickeln und feststellen, ob sie diese Substanz im Körper des*der Toten finden. Daldrup sagt, wenn sie im Labor nichts finden, können sie trotzdem nie wirklich eine Vergiftung ausschließen. Tatsächlich hören sie dann irgendwann einfach auf zu suchen. Sie bewahren aber Teile der Organe, die von Vergiftungen betroffen sein können auf, um später, wenn es neue Erkenntnisse gibt, noch einmal weiter suchen zu können. Wird jeder ungeklärte Todesfall auf Vergiftung untersucht?Nein, in Deutschland nicht. Hier wird im Einzelfall entschieden, ob auf Gifte untersucht werden soll. In anderen Ländern, zum Beispiel in Finnland, ist das anders. Dort gehört eine toxikologische Untersuchung zum Standardprogramm bei ungeklärten Todesfällen. In Deutschland braucht es dazu einen Verdacht der Staatsanwaltschaft, der Polizei oder dem Arzt oder der Ärztin, die den Tod festgestellt hat. Hier liegt auch schon ein Knackpunkt. In sehr vielen Fällen bescheinigen die Ärzt:innen einen natürlichen Tod, weil es vielleicht auf den ersten Blick danach aussieht, gerade wenn die Person alt oder krank war. Und das bedeutet: In vielen Fällen wird gar nicht erst ermittelt und die Leiche auch nicht untersucht. Gerade das mache Gift als Mordwaffe so teuflisch. Stimmt es, dass vor allem Frauen zu Gift als Mordwaffe greifen?Das war vor allem früher so. Da waren hauptsächlich Frauen Täterinnen bei Giftmorden. In seiner Anfangszeit in den 70er und 80er Jahren erinnert sich Daldrup an ein paar solcher Fälle. In dieser Zeit waren Frauen in vielen Fällen noch sehr abhängig von ihren Ehemännern. Sie konnten oft kein eigenes Geld verdienen und sich auch nicht immer aus einer gewalttätigen Beziehung lösen. Da sei es immer wieder mal vorgekommen, dass Frauen Gift als letzte Möglichkeit gesehen haben, um den Ehemann loszuwerden. Gift galt auch deshalb als Mordwaffe für Frauen, weil dafür keine Kraft notwendig ist - und sie als Hausfrauen ohnehin fürs Kochen zuständig waren. In den letzten zehn bis 15 Jahren sieht man diese Fälle aber kaum noch, sagt Daldrup. Wie häufig kommen Giftmorde heute vor?Gezielte Vergiftungen kommen sehr selten vor. Bekannte Fälle von Vergiftungen sind etwa der des Mannes, der heimlich Pausenbrote und Getränke seiner Kollegen vergiftete. Die fühlten sich mit der Zeit immer schlechter. Einer von ihnen starb später, ein anderer hat bleibende Schäden behalten. Eine Vergiftung - wenn auch durch Fahrlässigkeit - gab es auch beim Fall des Heilpraktikers vom Niederrhein, der seinen Patient*innen eine alternative und experimentelle Heilmethode für Krebs angeboten hat. Mit einem Zellgift. Dieses hat er bei der Behandlung falsch abgemessen und eine so hohe Dosis verabreicht, dass drei der Patient*innen gestorben sind. Ein anderer Fall ist der des Krankenpflegers, der Anfang der 2000er Jahre in Delmenhorst und Oldenburg Patient*innen ein Mittel spritzte, das den Blutdruck abfallen ließ oder Herzrhythmusstörungen auslöste. So mussten diese reanimiert werden und er konnte sich als Held oder Retter aufspielen. Viele Patient*innen haben das aber nicht überlebt. In mehr als 300 Fällen wurde gegen den Pfleger wegen Mordverdachts ermittelt, verurteilt wurde er für 85. Auch hier liegt für Daldrup ein Hinweis, dass viele Vergiftungen gar nicht erst entdeckt werden. Denn bei Fällen wie diesem fällt die Vergiftung erst dadurch auf, dass es viele Opfer gibt. Wären es weniger, würde womöglich niemand Verdacht schöpfen. Warum sind Giftmorde heute trotzdem seltener geworden?Daldrup hat dazu zwei Thesen. Die Motive sind weniger geworden und die Gifte auch. Weil es heute für Frauen in gewalttätigen Beziehungen auch andere Wege gibt, sich zu befreien und sie auch insgesamt unabhängiger sind, kommt diese Art von Giftmord wesentlich seltener vor. Gleichzeitig ist es aber auch schwieriger geworden, an Gifte heranzukommen. Zumindest solche, bei denen kleine Mengen ausreichen, um zu töten - und die sich dadurch eignen, heimlich ins Essen gemischt zu werden. Das Pflanzenschutzmittel E605 etwa war früher frei verkäuflich, heute nicht mehr. Trotzdem sagt der Rechtsmediziner: &bdquo;Ich gehe davon aus, dass in den meisten Fällen wo eine Vergiftung Todesursache war, gar nicht ermittelt wird.“ Der Podcast ist eine Gemeinschaftsproduktion mit der Castcrew aus Düsseldorf. Die neue Folge heißt "Küsse, Schüsse, Kugelfische" und ist hier zu hören:

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