Gooooooooooooooooool!

Es gibt einen Schrei, der ohne Waffen und ohne höchste Diplomatie jedes Volk einen kann. Einen Schrei, der die Geschichte eines Landes oder einer Stadt verändern kann. Ein Schrei, der inmitten aller Schwierigkeiten Hoffnung schenkt und bekräftigt, wie das Unmögliche Wirklichkeit werden kann. Ein Schrei, der Emotionen hervorruft und innerhalb einer Sekunde sogar die vernünftigste Person unvernünftig macht. Ein Schrei, der sogar die Pachamama (Mutter Erde) zum Zittern bringen kann. Ich meine den Schrei von &bdquo;Gol“ oder &bdquo;Tor“, wie er hier genannt wird. Ich habe die Stimme des Sportreporters im Ohr, sie überschlägt sich fast: &bdquo;Neuhaus gibt den Ball an Hennings, Hennings macht sich bereit, schießt eine Bombe und &bdquo;Toooooooor, Toooooooor, Tooooooooooor, für Fortuna Düsseldorf! Unglaublich, unglaublich meine Damen und Herren! In der 90. Minute des Spiels schießt Hennings das Tor, das die Mannschaft von Fortuna Düsseldorf wieder in die erste Liga bringt!“ Ja, an diesem Samstag, am 28. April 2018, gewann &bdquo;Rot-Weiß“ 2:1 gegen Dynamo Dresden und stieg wieder in die erste Liga auf. Erinnern Sie sich? Konnten Sie das Siegtor herausschreien? Konnten Sie das feiern? An diesem Tag habe ich das Spiel nicht gesehen. Aber ich erinnere mich an die große Masse Hinchas (wie die Fans einer Fußballmannschaft in Peru genannt werden) von Rot-Weiß, die in der Altstadt den Sieg feierten. Interessanterweise erinnerte mich das daran, was ich fünf Monate vorher aus der Distanz mit der &bdquo;Blanquirroja“ (den Weißroten), der peruanischen Fußballnationalmannschaft, erlebt hatte. Um die Geschichte in den richtigen Zusammenhang zu bringen, muss ich gestehen, dass meine Beziehung zur &bdquo;Blanquirroja“ eine Hassliebe war. Mein Vater war derjenige, der mir von klein auf Fußball nähergebracht hat, mir erklärt hat, wie man schreit, wie man ein Tor feiert; und natürlich unsere Fußballnationalmannschaft zu lieben. Ich weiß noch, wie er mir immer sagte, wie schön das peruanische Team spielt. Aber die Realität zeigte mir etwas ganz anderes: Dass nicht ein schönes Spiel zur Weltmeisterschaft führt, sondern die Tore, die man schießt. Als ich Peru im Jahr 2014 verließ, dem Jahr, in dem die deutsche Fußball-Nationalmannschaft Weltmeister wurde, waren bereits acht Weltmeisterschaften, also 32 Jahre vergangen, ohne dass ich die &bdquo;Blanquirroja“ bei diesem Turnier spielen sehen konnte. Im Jahr 2016, als ich schon in Deutschland wohnte, hatten die Ausscheidungsspiele für die Weltmeisterschaft Russland 2018 schon begonnen. Und wie das immer in Peru ist, haben sie dort sehr schlecht angefangen. Da ich es leid war, die Nationalmannschaft immer verlieren zu sehen, beschloss ich, die Verantwortung für mein eigenes &bdquo;Spiel“, metaphorisch gesprochen also über mein eigenes Leben zu übernehmen und meine eigenen Tore zu schießen. Damit mein Glück nicht vom Spielstand und von elf Spielern abhängen würde. Warum sollte ich traurig oder frustriert sein, wenn ich nicht auf dem Platz spiele? Sagte ich mir, um meine Gedanken zu beruhigen. Aber das Herz, das mehr weiß und bedingungslos liebt, hat immer eine Hoffnung oder wartet auf ein Wunder. Und das erste Wunder kam. Ich weiß nicht, ob es dieser Monat war, aber in der peruanischen Hauptstadt Lima wird der Oktober seit jeher als &bdquo;der violette Monat“ bezeichnet. Ein religiös gezeichneter Monat, in dem Wunder wahr werden. Und so war es dann auch. Am 10. Oktober 2017, dem letzten Termin der südamerikanischen Ausscheidungsspiele, trat die peruanische Mannschaft in Lima gegen Kolumbien an. Peru glich gegen Kolumbien in der zweiten Halbzeit, der 75. Minute, mit einem Freistoß-Tor aus, ausgeführt vom Mannschaftskapitän Paolo Guerrero (genannt der &bdquo;Kämpfer“). Das Spiel endete 1:1. Kolumbien war auf dem Weg zur Weltmeisterschaft, während Peru einen Monat warten musste, um sein Schicksal im Hoffnungslauf gegen Neuseeland zu definieren. Zunächst wollte ich das Rückspiel gegen Neuseeland, das am 15. November in Lima stattfinden sollte, gar nicht sehen. Denn schon in früheren Qualifikationsspielen hatte ich die Niederlage erlebt, die in letzter Minute kam. Es ist sehr schmerzhaft, sagte ich mir. Aber mein kleiner Bruder überzeugte mich, das Spiel anzuschauen. Dafür musste ich einen außergewöhnlichen technischen Aufwand treiben, da die einzige Möglichkeit, das Spiel live zu sehen, über das Internet war. Außerdem musste ich das Spiel wegen der Zeitverschiebung mit einem Abstand von sieben Stunden, also um 3 Uhr nachts in Deutschland, anschauen. Da das sehr früh am Morgen war, warnte mich mein Mann mehrmals, dass ich, um die Nachbarn nicht aufzuwecken, das Spiel möglichst in Grabesstille sehen müsste. Können Sie sich eine solche Bitte vorstellen? Was mein Mann da von mir verlangte, war wirklich Folter. Und so war es auch, denn als das peruanische Team nach 28 Minuten in der ersten Halbzeit das erste Tor schoss, musste ich das mit einem Kissen auf dem Mund &bdquo;beschreien“. In der 65. Spielminute war meine Leidenschaft größer als meine Rücksichtnahme, und ich schrie aus vollem Hals: Goooooooooooooooooooool! Weder mein Mann noch irgendein Kissen konnten diesen Schrei zurückhalten; ein Schrei, der aus den tiefsten Tiefen meiner Seele kam. Man könnte fast sagen, es war eine orgastische Erfahrung. In dieser Nacht des 15. November 2017 wurde in Lima eine neue Seite in der Geschichte Perus geschrieben. Die &bdquo;Blanquirroja“ fuhr nach 36 Jahren endlich wieder zu einer Weltmeisterschaft. Ich konnte den Triumph des Teams nicht mitfeiern, mein kleiner Bruder hat das für mich getan. Ich konnte an diesem Morgen nur die Feierlichkeiten im Internet ansehen. Trotzdem war ich sehr glücklich. Glücklich für das Team und glücklich, weil nach vielen Opfern, Tränen und Leiden dieses Volk wieder so glücklich war. Eine Freude, die ich so in meinen 37 Jahren in Peru noch nie gesehen hatte. Diese kleinen oder großen Opfer, die ein Fußballfan, ein Volk, eine Stadt, ein Land für sein Team bringt, erinnern mich an den Slogan, der auf den Trikots der Spieler von Fortuna stand, nachdem sie 2018 das Spiel gegen Dynamo Dresden gewonnen hatten: &bdquo;Und alles nur, weil ich dich liebeFortuna 95Aufstieg.“ Denn nur mit Liebe kann man ein Team immer wieder ermuntern, egal ob im Guten oder im Schlechten.

Gooooooooooooooooool!

Gooooooooooooooooool!

Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.

Kraftwerk, „Autobahn“ und die Welt von 1974

Oberbürgermeister trifft seinen Stimm-Zwilling

Zwei Düsseldorfer Zahnärzte und ihr Lehrling aus Vietnam