Hast Du mal ‘n Euro? Geht auch mit Karte

Kannen ist skeptisch, als ich ihn anspreche. Für wen ich denn schreibe, will er wissen und erstmal einen Termin vereinbaren. Beim zweiten Treffen ist er zugänglicher. Er hat mich gegoogelt, den Text über rechte Burschenschaftler gefunden und entschieden, dass ich okay bin. Zumindest für einen „Schreiberling“. Mit seinen kurz-rasierten Haaren, dem (vorsichtig eingeordnet) polizeikritischen T-Shirt und seinem Schottenrock sitzt er in der Kapuzinergasse. Über Kannen, so sein Rufname, ließen sich wahrscheinlich viele Geschichten schreiben. Die hier handelt eigentlich gar nicht von ihm. Sondern von dem Kartenlesegerät, das vor ihm auf dem Boden liegt.
Das Gerät ist die innovative Lösung für ein altes Problem, das immer drängender wird. Wenn Kannen und seine Kolleginnen und Kollegen in der Kapuzinergasse Passanten nach Kleingeld fragen, verweisen die häufig darauf, dass sie keins dabeihätten. „Ich hatte halt keinen Bock mehr auf die Ausrede und wusste eine Möglichkeit“, sagt Kannen. Wer heute den Satz sagt, kann einpacken beziehungsweise seine Karte auspacken. „Das ist eine Trotzreaktion. Ich habe sehr viel Spaß damit.“
Am Mittwochmittag sitzen rund ein halbes Dutzend junge Männer und Frauen mit Kannen in der Kapuzinergasse. Von Außenstehenden werden sie wegen ihres Stils gerne generell als Punks bezeichnet. Kannen sieht sich nicht so, eher als Anarchist. „Ich möchte mich keiner Szene unterordnen“, sagt er. Außerdem habe er Lust, sich für die APPD zu engagieren. Einer Partei irgendwo zwischen Satire und dem sogenannten Pogo-Anarchismus. Für sie wollte Wolfgang Wendland, Frontmann der Punkband Die Kassierer, einst Bundeskanzler und Oberbürgermeister von Bochum werden.
Kannen ist vor 29 Jahren in Neuss geboren und später in Kleinenbroich aufgewachsen. Dort verbrachte er eine Jugend irgendwo zwischen Spaß, omnipräsentem Schützenwesen und Alkohol. „Als Dorfjugend baust du halt Dorfscheiße“, sagt er heute. Mit 14 kam er erstmals mit der Düsseldorfer Punkszene in Kontakt. Ein Bekannter nahm ihn nach seinem ersten Fortuna-Spiel mit ins Papidoux, später in den Jugendtreff der OT Ritterstraße. Zwangsläufig habe er dann irgendwann angefangen „mitzusitzen“. So hält er es bis heute.
Die Sache mit dem Kartenlesegerät läuft nur langsam an. „Es wird sehr belächelt“, sagt Kannen. „Aber es gibt auch durchaus Menschen, die sagen: Find ich geil, wir versuchen das mal.“ Glückssache sei das. 25 Euro habe er in das Gerät investiert, die dürfte er nach einem Monat nun wieder raushaben. Genaueres zu seinen Einnahmen will er nicht verraten. „Das ist unterschiedlich und über Zahlen spricht der Deutsche nicht“, sagt er und grinst. In Düsseldorf dürfte er der erste sein, der auf diese Idee gekommen ist.
Neben Kannen sitzt in der Kapuzinergasse Bella, seine Hündin. Die begleite ihn seit zwei Jahren, sagt er. Damals sei ihr Vorbesitzer gestorben und er habe sich ihrer angenommen. Bella ist heute ein kleiner Star, schmückt das November-Cover im Straßenhundekalender des Obdachlosenmagazins „Fifty-Fifty“. Einen „Zehner“ habe sie dafür bekommen und Kannen sich eher widerwillig als Verkäufer registriert. „Es sind halt die Augen“, sagt Kannen. „Sie hat so einen treudoofen Blick und das ist wunderbar.“ Bella ist seine erste Hündin, „seine beste Freundin“. Nur das lange Fell, das verflucht er manchmal. Zu viel Arbeit.
In anderen, weniger bargeldliebenden Ländern gibt es das Schnorren gegen Kartenzahlung schon länger. Bereits 2013 wurden die Verkäufer des Stockholmer Obdachlosenmagazins flächendeckend mit entsprechenden Geräten ausgestattet. Dort, so berichtete Jahre später der Tagesspiegel, habe sich das Konzept gelohnt. Die Passanten sollen gebefreudiger geworden sein. Auch in Bern und Berlin trafen Reporter in den vergangenen Jahren auf mit Lesegerät ausgestattete Bettler. Ein Massenphänomen scheint das im deutschsprachigen Raum allerdings noch nicht zu sein.
Kannen sitzt nicht jeden Tag in der Kapuzinergasse. Heute sei er sogar nur wegen mir gekommen. Er habe sich an den Termin erinnert und sich vorbereitet. „Fühl dich geschmeichelt“, sagt er. Bei den Franzfreunden, einem christlichen Sozialwerk, bewohnt er ein Zimmer am Rather Broich. In der Gegend sei er viel mit seinem Hund unterwegs. Oder er treffe sich privat mit Freunden. „Ich habe tatsächlich ein Privatleben, mag man kaum glauben.“
So gerne er sich an die Jugend in Kleinenbroich zurückerinnert, dort wieder leben möchte Kannen nicht. „Ich liebe Düsseldorf, die Altstadt hat es mir angetan.“ Die Düsseldorfer hätten eine selbstverständliche Arroganz, die ihm gefalle. Jetzt müssten die nur auch noch an seinem Kartenlesegerät etwas gebefreudiger werden.
„Ich hoffe, ich werde Trendsetter“, sagt Kannen.

