Herr Klein macht Pause
Diese Geschichte haben wir am 22. Dezember 2023 veröffentlicht. Sie ist nun für einige Tage frei lesbar, damit alle VierNull und die Art, wie wir erzählen, kennenlernen können. Wenn es Ihnen gefällt: Sichern Sie sich unser Start-Abo und zahlen Sie nur 1 Euro für die ersten 6 Monate, erhältlich unter www.viernull.de/startabo.
Die weißhaarige Frau stellt sich an den Rand der Kreuzung. Sie trägt ein Tablett, darauf ein Becher mit Kaffee und eine Schale mit einer in Scheiben geschnittenen Bratwurst. „Die isst er gerne“, sagt sie und schaut die Straßen hinunter. Es nieselt.
In der Dunkelheit tauchen ein gelbes Taxischild und weiße Scheinwerfer auf. Der Mercedes fährt langsam auf die Frau mit dem Tablett zu. Halb winkt, halb dirigiert sie, der Fahrer folgt und stellt sich gerade in die Kurve auf den Bürgersteig. Er steigt aus, stellt das Tablett in den Kofferraum und nimmt den Becher mit nach vorne. Die weißhaarige Frau setzt sich neben ihn.
Herr Klein macht Pause.
So wie an diesem Abend treffen sich Mutter und Sohn fast an jedem Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag. In aller Regel gegen 21, 21.30 Uhr. Und das seit gut elf Jahren.
Bis 2012 arbeitete Detlef Klein in der Medizintechnik, er war für Qualitätsprüfungen und ISO-Zertifizierungen zuständig. Ein bisschen zu viel Papierkram sei das gewesen, sagt er. Deshalb macht er den Personenbeförderungsschein. Die Prüfung besteht er am 26. September 2012, die Stadt braucht zwei Tage, um den Schein auszustellen. Detlef Klein bekommt ihn am 28. September ausgehändigt. Es ist sein 50. Geburtstag.
Wenige Monate später kommt er zum ersten Mal fürs Abendessen zu seiner Mutter vor die Tür. Aus zwei Gründen: Er sieht und spricht seine Mutter (heute 86) regelmäßig. „Ein bisschen Quatschi, Quatschi“, sagt er. „Das ist besser als am Telefon.“ Und: Er ist versorgt und verliert dabei wenig Zeit.
Zeit ist für den Taxifahrer entscheidend. Er möchte so wenig Kilometer und Minuten leer unterwegs sein, nirgendwo vergeblich an einem Halteplatz gestanden oder eine gute Funkposition aufgegeben haben. Das wäre verlorene Zeit und betriebswirtschaftlich nicht gut. Irgendwo etwas zu essen, würde zu lange dauern. Deshalb geht er bei seiner Mutter auch nicht rein, sondern isst draußen im Auto. „Eine Stunde Pause machen ist nicht meins. Ich muss fahren, fahren, fahren.“
Aus dieser Philosophie hat sich die Uhrzeit für das Essen hinterm Lenkrad ergeben. Neun, halb zehn ist die Zeit, in der die Kunden im Restaurant, im Theater oder der Oper sind. Da braucht kaum jemand ein Taxi. Wenn das Abendprogramm der anderen zu Ende ist, hat Detlef Klein wieder viel zu tun, dann beginnt die zweite Hälfte seiner Schicht. Für seine Mutter ist die Uhrzeit kein Problem. Sie geht eh eher spät ins Bett.
Bevor Detlef Klein nach Oberkassel fährt, telefonieren die beiden. „Junge, was hättest Du gerne?“, fragt seine Mutter. Nicht immer weiß er sofort eine Antwort. Gerne sagt er Rouladen. Oder Gulasch. Oder Speckpfannkuchen. Das alles kann man ganz normal auf dem Tablett im Auto essen.
Ganz wichtig ist der Kaffee. „Das Taxi braucht Diesel, der Taxifahrer Kaffee. Sonst läuft beides nicht.“ Das Heißgetränk ist eine der wenigen Sachen, die sich Detlef Klein auch zwischendurch holt. Eine Tankstelle bietet einen kleinen Becher für Taxifahrer für einen Euro an. „Und bei Mutti gibt es den umsonst“, sagt Johanna Klein.
Wenn sie im Auto sitzen, erzählen die beiden einander, was in ihrem Leben gerade wichtig ist. Mittwochs und samstags geht es oft um den Lieblingsfußballverein von Detlef Klein, Borussia Mönchengladbach, Johanna Klein erzählt gerne von ihren Plänen, wenn sie zum Beispiel ihre Freunde in Hannover besucht. Jetzt im Winter sitzen die beiden immer im Wagen, im Sommer klappen sie gerne die Kofferraumklappe des Kombis hoch und setzen sich hinten auf die Ladefläche.
Die Treffen fallen nur selten aus. Wenn Detlef Klein von einem Halteplatz bei guter Position nicht wegkommt oder am Stück mit Kunden unterwegs ist. Nur einmal haben die beiden länger nicht im Auto zusammengesessen: Nach einem Unfall lag Johanna Klein im Krankenhaus. Da gab es für den Sohn Bockwurst von der Tankstelle oder Brote, die er sich morgens schmierte.
Ich hätte mich nicht getraut zu fragen, was passiert, wenn das abendliche Treffen eines Tages nicht mehr möglich ist. Detlef Klein spricht es von sich aus an. „Wenn Mama mal nicht mehr ist, werde ich vermutlich noch eine ganze Weile herkommen. Aber wir hoffen, dass das noch ganz lange dauert.“
Über Funk kommt ein neuer Auftrag. Detlef Klein muss wieder los. Seine Mutter steigt aus und wartet, während er zurücksetzt und wendet.
„Tschüss, Mama“ hat er noch gesagt und sie auf die Wange geküsst.
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