Ich gehe langsam durch die Stadt (2)

Beim geruhsamen Bummeln durch die Stadt sieht man ohne Zweifel mehr als beim Blick durch die Windschutzscheibe eines Autos. Neulich habe ich hier über Straßennamen nachgedacht, heute hätte ich mal ein paar Fragen zu Brötchen. Oder anderen Dingen, die wir essen und trinken. Mich faszinieren Namen wie Steinofenbrötchen. Oder Küstengerste und Norderneyer Seeluftschinken. Ist der aus, in oder mit Seeluft gemacht? Leben die Schweine, die ihn – unfreiwillig – liefern, alle auf Norderney? Unwahrscheinlich, die Insel ist nicht sehr groß. Massentierhaltung gibt es da nicht. Bier, das aus Felsquellwasser gebraut wird, finde ich auch interessant. Wo, wenn nicht aus dem Fels soll Wasser sonst herkommen? Klar: Sumpfwasser würde blöd klingen. Obwohl es nicht weniger gut wäre, wie ich als naturnaher Mensch weiß. Und ich frage mich, ob die Gerste an der Küste anders schmeckt als die in Gerresheim. Zumal ich ahne, wie wenig die Menschen wissen über Gerste, Roggen, Weizen und deren Unterschiede, oder – ganz exotisch – über Dinkel. Bei einem Bäcker, bei dem ich gern einkaufe, nehme ich neuerdings gern ein knuspriges Gebäck fürs Frühstück mit, das Bergsteigerbrötchen heißt. Auch das lässt mich grübeln. Wer hat sich in der kleinen Bäckerei diesen Namen ausgedacht? Wieso heißt dieses Brötchen so? Und nicht, sagen wir: Fallschirmspringerbrötchen? Oder auch Taucher, Basketballer, Turmspringer oder Hockeyspieler könnten ihm den Namen geben. Aber nein, der Bergsteiger muss ran. Vermutlich, weil man ihm unterstellt, fit zu sein und auch nicht aufzugeben, wenn es steil bergauf geht. Daher hat ein gewisser Herr Seitenbacher – Sie wissen schon, der aus der maximal nervigen Radiowerbung – ein Müsli nach ihm benannt. Ein Müsli! Früher ein Synonym für alle, die es soft angehen ließen und bei einer Mehrheit als absolute Loser verschrien waren. Erinnert sei an das Lied &bdquo;Müsli Män“ der Kölsch-Rock-Gruppe BAP, die darin einen völlig verpeilten, bekifften Möchtegern-Hippie auf die Schippe nimmt. Aber das war in den 1980er Jahren, die Älteren werden das vielleicht noch kennen. Heute ist Müsli offenbar in der Szene angekommen, die bei Peloton den Body bildet. Vermeintlich gesund und das krasse Gegenteil vom Frühstück aus Spiegeleiern mit Speck und Würstchen. Oder bei den Bergsteigern, die unerschrocken die höchsten Gipfel erklimmen. Fit also, oder auch: in good shape. Die Botschaft: Müsli gleich gesund. Was übrigens Blödsinn ist – ein gut schmeckendes Müsli ist eine Kalorienbombe. Wenn nicht, schmeckt es wie Kaninchenfutter. Oder wie ich mir Kaninchenfutter geschmacklich vorstelle. Wo war ich? Ach ja – beim Bergsteigerbrötchen. Es hat, das sei am Rande erwähnt, ein leichtes Kümmelaroma. Nicht jedermanns Sache, aber ich mag das. Bleibt die Frage nach dem Bezug zum Bergsteiger. Antwort: Es gibt ihn nicht. Wer heute Lebensmittel an den Mann/die Frau zu bringen versucht, der muss sich was einfallen lassen. Er verkauft eine Story, wie Marketingleute sagen. Und die muss gut sein, die Menschen ansprechen. Dieses Brötchen, so die Message, hilft dem Bergsteiger auf den Gipfel und daher Dir aufs gerade für 4500 Euro gekaufte Lastenrad. Dass dieses Monstergefährt einen E-Motor hat, lassen wir hier mal unbeachtet. Brot ist nicht gleich Brot. Es ist schlesisch, kommt aus der Eifel, dem Schwarzwald oder einer Gegend, die Vinschgau heißt. Keine Ahnung, wo das liegt. Aber es klingt nach Naturnähe, ergo: Gesundheit, Fitness. Ich denke an kräftige junge Männer in abgewetzten Lederhosen, zig Festmeter von Brennholz mit der Axt oder noch besser mit der Handkante spaltend, und bin sicher: Das muss gut sein. Also kaufe ich es. Schwarzbrot allein reicht nicht, es muss rheinisch heißen, obwohl es im Bergischen vermutlich ähnlich schmeckt. Wir kaufen eine Brotstange namens Baguette, obwohl die mit dem namensgleichen Nationalexemplar unserer Nachbarn im Südwesten kaum etwas gemein hat. Und Feta muss auch hier so heißen, weil das schlicht griechisch, also nach Sirtaki und Retsina klingt. Wen interessiert schon, dass er oft aus Kuhmilch ist von Rindern aus linksrheinischer Zucht, vergoren in einer niederländischen Käserei. Weiterführende Links Die erste Folge der Kolumne "Ich gehe langsam durch die Stadt" finden Sie hier. Von BAPs "Müsli Män" gibt es ein Live-Video und zwar hier.

Ich gehe langsam durch die Stadt (2)

Ich gehe langsam durch die Stadt (2)

Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.

Kraftwerk, „Autobahn“ und die Welt von 1974

Oberbürgermeister trifft seinen Stimm-Zwilling

Zwei Düsseldorfer Zahnärzte und ihr Lehrling aus Vietnam