Ist das Kunst? Oder kann das weg?

Die Düsseldorfer Kulturjournalistin Helga Meister hat ein Buch namens &bdquo;Kunst im Freien“ geschrieben. Das ist eine gute Idee, zumal sie unglaublich viele Details zu den jeweiligen Exponaten aufschreibt, mit großem Fleiß eine Art Stadtführer oder Lexikon der kulturellen Art erstellt. Was sie – offenbar bewusst – nicht macht ist, die immer wieder entstandenen Streitigkeiten um einige Stücke in den Vordergrund zu stellen. Dabei hat das in Düsseldorf eine durchaus unterhaltsame Tradition und nimmt bisweilen kuriose Züge an. Der 2019 verstorbene Künstler Anatol Herzfeld, Joseph-Beuys-Schüler und -Verehrer, hat es am eigenen Leibe erfahren. Als er 2008 auf die Idee kam, den Kopf seines Idols aus einem riesigen Felsblock zu hauen (Anatol war bekannt für seine wuchtigen rustikalen Werke aus Holz oder Stein) und der Stadt Düsseldorf zu schenken, ging er völlig fehl in der Annahme, das Präsent würde auf Begeisterung stoßen. Tat es aber nicht. Ein Gremium namens &bdquo;Kunstbeirat“ begutachtete sein Werk mit spitzen Fingern und lehnte es schließlich ab, dieses Trumm auf Düsseldorfer Gelände zu platzieren, was der Kulturausschuss bestätigte. Anatol, vermutlich wenig begeistert angesichts dieser Brüskierung, fand Hilfe und Abnehmer beim Nachbarn: Meerbusch nahm, mit Hilfe des Düsseldorfer Heine-Kreises, den 12,5 Tonnen schweren Block freudig entgegen und platzierte ihn am Rhein, mit Blick auf den Fluss und nur ein paar hundert Meter weit weg von der Grenze zum Nachbarn. Übrigens auf einem Grundstück, das der Stadt Düsseldorf gehört. Heute ist der leicht glupschäugige Beuys Selfie-Star ersten Ranges. Nicht ganz so heftig erging es den Las Meninas von Manolo Valdes. Diese lebensgroßen Figuren aus Bronze wollte der damalige Oberbürgermeister Joachim Erwin (dem die Stücke des Künstlers gut gefielen) 2006 kaufen, nachdem etliche von ihnen anlässlich der Quadriennale auf dem Grünstreifen der Heinrich-Heine-Allee gestanden und einiges Aufsehen erregt hatten. Drei Stück sollten es sein, und am Ende kamen sie tatsächlich nach Düsseldorf. Was allerdings Verteidiger einer vermeintlich hohen Kunst eher entbehrlich fanden, das Naserümpfen war seinerzeit regelrecht sichtbar: Der Chef der Kunstsammlung am Grabbeplatz, Armin Zweite, wollte die Statuen auf keinen Fall so nahe an seinem Museum haben, offenbar fürchtete er, man könne glauben, er goutiere diese Arbeiten. Heute stehen die markanten Figuren (die bewusst an das Gemälde Las Meninas von Diego Velásquez erinnern sollen) etwas verschämt in einer Ecke des Hofgartens nahe dem Schloss Jägerhof. Es sind übrigens vier, eine hat der Künstler der Stadt geschenkt. Streit um seine Werke ist der frühere Kunstakademie-Rektor Markus Lüpertz nicht nur gewöhnt, er liebt und provoziert ihn. Insofern dürfte er mächtigen Spass gehabt haben, als in Salzburg sein – tatsächlich gewöhnungsbedürftiger – Mozart für helle Empörung sorgte. Ob Düsseldorf da toleranter ist, wenn er demnächst seine Schumann-Skulptur aufstellt, wird sich zeigen. Annehmen will man das Geschenk, das ist so entschieden. Aber wo es stehen soll, ist noch offen. Irgendwo mit Bezug zu Schumann, heißt es. Streit ist eh programmiert, das lassen die Fotos des Lüpertz-Werkes ahnen. Wer eine süßlich-idealisierte Darstellung des Komponisten oder seiner Frau Clara erwartet, wird sich wundern. Jedenfalls neigt man auch in dieser angeblich so weltoffenen Stadt bisweilen dazu, allzu ungewöhnliche Kreationen nicht als Kunst, sondern als optische Umweltverschmutzung zu betrachten. Verrostete Stücke wie das Monumento des Künstlers Eduardo Chillida vor dem Dreischeibenhaus oder &bdquo;Open spaces“ von Maria Nordman, das aus Sitzbänken bestehende Karree am Rheinufer (neben der Akademie), erschließen sich halt nicht jedem. Ähnlich irritiert sehen manche den dicken Uecker-Nagel, der zwischen Steigenberger Parkhotel und Kö-Bogen wie in den Boden gehauen aus dem Gehweg in die Luft ragt. Aber am Ende ist das der Plan: Auffallen, zum Nachdenken anregen, nicht gefällig sein. Viele Kunstwerke jedoch nehmen die Düsseldorfer vermutlich gar nicht mehr als solche wahr, weil sie zum Stadtbild gehören. Die Rossehalter des Nordparks an der Zufahrt zum Aquazoo, der Industriebrunnen mit seinen idealisierten (und nackten!) Arbeitergestalten am Fürstenplatz, das 39er Denkmal nahe der Tonhalle, die Kugelspielerin in einem winzigen Park an der Kö, der Schmied mit seinem Lehrjungen am Justizministerium und, vor allem, Jan Wellems mächtiges Standbild auf dem Marktplatz sind Teil der Optik dieser Stadt. Sie werden oft übersehen, und doch waren sie in ihrer Zeit Ausdruck dessen, wie man Kunst sah und realisierte. Sie missen zu wollen käme keinem in den Sinn. Anders gesagt: Niemand würde ernsthaft auf die Idee kommen, am Standbild des Kurfürsten herumzumäkeln. Jedoch die Zahl jener, denen moderne Stücke gar nichts sagen und sie daher für überflüssig halten, dürfte nicht so gering sein. Bei ihnen lauten die Antworten auf die obige Frage &bdquo;Ist das Kunst? Oder kann das weg?“ umgekehrt wie in diesem Text: Vorne nein, hinten ja. Sollten sie für ihre Kritik noch Daten brauchen, ist das Buch von Helga Meister dazu die perfekte Quelle. Aber keine Rückendeckung, weder für pro noch für contra, denn sie beschreibt alle Werke gänzlich wertfrei. Eine solche Neutralität findet man bei den modernen Künstlern natürlich nicht, nichts liegt ihnen ferner. Also machen die es einem nicht leicht. Lüpertz‘ Stücke sind von einer für Laien schwer zu erkennenden Ästhetik, und dass Bert Gerresheim seinen Heine Anfang der 1980er-Jahre aus dessen Totenmaske schuf und dann in Stücke schnitt, war damals (wie die schon seinerzeit als Journalistin berichtende Helga Meister sich erinnert) hoch umstritten. Trotzig verkündete der Künstler, sein Heine sei außerdem begehbar, was – nicht nur von Kindern – fleißig genutzt wurde, wie man an den abgewetzten Metallteilen sieht. Alles, was Gerresheim danach schuf (Stadterhebungsmonument, sein Brückenheiliger Johannes von Nepomuk an der Oberkasseler Brücke mit dem Gesicht des 1984 in Polen ermordeten Priesters Jerz Popieluszko und seine Hommage an die Oberbilker Eisenfabrikarbeiter vor der dortigen Kirche St. Josef) waren dagegen allseits willkommene, eher gefällige Stücke. Nur seine Darstellung des Hoppeditz, im kleinen Park hinter dem Haus des Karnevals aufgestellt, wollte einigen der professionellen Pappnasen anfangs nicht gefallen, weil Gerresheim der Figur den Gesichtsausdruck des zwischen Humor und Verzweiflung schwankenden Narren gab. Das BuchHelga Meister: "Düsseldorf. Kunst im Freien", Verlag Peter Tedden, 232 Seiten, 28 Euro

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