Jura mit Yoda

Einerseits ist der Mann Anwalt. Und zwar ein erfolgreicher, wie seine Referenzen zeigen. Dax-Konzerne sind seine Kunden, und sie brauchen ihn und sein Team vor allem immer dann, wenn was schief gegangen ist, man haften oder eine Versicherung bemühen muss. Oder beides verhindern möchte. Andererseits ist der Mann Kunstliebhaber, fasziniert von Bildern und Skulpturen – und im Grunde dazu auch noch eine von ihm selbst geschaffene Kreation. Sein Körper ist komplett tätowiert, nur Hände, Hals und Gesicht sind frei. Der Name: Mark Wilhelm. Seine Kanzlei sitzt im früheren Gebäude der Verwaltung des NRW-Landtages in Düsseldorf-Unterbilk, schräg gegenüber dem Ständehaus. Mehr als 30 Juristen arbeiten mit ihm und für ihn. Wirtschaftssachen sind ihr Spezialgebiet, fast immer sind die Fälle spannend wie Thriller, aber dennoch eine absolut konservative Materie. Passt das zu diesem Chef, der den Gast in einer modisch perforierten Jeans, schwarzem T-Shirt (mit langem Arm), bunten Sneakers und schwarz-weißer Mischlingshündin Luna empfängt? Seine Antwort auf diese Frage: Es ist ihm egal – weil es keine Rolle spielt. Sagt er jedenfalls. Trotzdem: Das in unser aller Köpfen vorherrschende Bild eines Anwaltes in cool-sachlichem Umfeld seines Büros kann dieser Mann nicht erfüllen. Und will er auch nicht. Denn es ist nach seiner Einschätzung eh nur ein Trugbild, ein So-tun-als-ob, nicht wirklich relevant und ohne jede Aussage über die Kompetenz dessen, der dem Bild zu entsprechen versucht, also auf das Spiel des Den-Anschein-erwecken eingeht. Wilhelm behauptet, von solchen Mätzchen weit entfernt zu sein. Was man ihm durchaus glauben mag, wenn man sich an seinem Outfit orientiert. Auch die von ihm offenbar bewusst gestaltete persönliche Komfortzone ist höchst ungewöhnlich. In seinem meterhohen, riesigen Büro findet das Auge kaum Ruhe, man fühlt sich wie in einem dreidimensionalen Wimmelbild und staunt nicht nur über den gewaltigen Schädel eines T-Rex aus Kunstharz (mit – hoffentlich unechter – Handgranate zwischen den Zähnen) in der verglasten Veranda. Daneben vier Ohrensessel in Hellblau, seitlich davon eine breite Chaiselongue, deren Orange sich in zwei Skulpturen wiederfindet. Vor dem Schreibtisch die Figur eines Gnoms aus Stein, dem Betrachter den wulstigen Stinkefinger zeigend. Der Arbeitsplatz beweist die These, wonach das wahre Genie nur im Chaos kreativ sein kann – dicke, rote Gesetzestextsammlungen (für Insider: Schönfelder) neben Kunstbüchern, ein Fake-Alarmknopf mit der Aufschrift &bdquo;Bullshit“, ein Megaphon, die Mini-Abschussrampe für Boden-Luftraketen für die Auflockerung dröger Gespräche, mehrere Telefone und PC-Bildschirme. Über dem Stuhl hängt eine bunt bestrasste Jacke, geschneidert (wie er erzählt) aus einem Jute-Kaffeesack. Neben einem Foto des Sohnes (Jonas, 1) grinst Jedi-Meister Yoda (der grünliche Mini-Krieger mit den waagrechten Ohren aus &bdquo;Star Wars“) den Besucher freundlich an. In der Hand hält der glubsch-äugige Zwerg eine durchsichtige Schale mit allerlei Krimskrams und sieht fast so aus, als würde er sich an einen Stapel von Aktenordnern lehnen. Die sind teilweise mit einem schwarzen Tuch bedeckt, damit sie bei einer Telefonkonferenz nicht allein durch ihre schiere Menge (und keineswegs perfekte Stapelung) die anderen Teilnehmer irritieren, wenn sie über die PC-Kamera einen Blick in dieses Allerlei werfen können. Fassen wir es so zusammen: Die bisher kennengelernten Büros von Anwälten sahen anders aus, und zwar sehr anders. Gibt das denn keine Irritationen bei der Mandantschaft, gerade bei den Führungskräften großer Unternehmen, denen Dresscode und andere non-verbale Kommunikation durch Mobiliar, Design und feine Kunst an den Wänden sorgfältig eingetrichtert worden ist? Wilhelm hat da klare Erfahrungen: Je höher der Rang, umso gelassener der Umgang mit dem vermeintlich schrägen Vogel der Juristerei. Die zweite oder dritte Ebene dagegen müsse sich an diesen Auftritt gewöhnen. Aber ganz oben, wo das Selbstvertrauen oft grenzenlos und das Wissen um die eigene Macht umfassend ist, dort werde das Gesamtkunstwerk namens &bdquo;Rechtsanwalt Mark Wilhelm“ so verstanden, wie es von ihm gewünscht ist – souverän, keinem Schein anhängend, sondern sich so darstellend, wie es ihm selbst gefällt, im Bewusstsein, sich diese Form der vermeintlichen Extravaganz auch leisten zu können. Weil nämlich die Kompetenz hoch und durch eine Reihe von Erfolgen bewiesen ist. Was am Ende für Wilhelm schlicht nur eins heißt: Es ist den Kunden gleichgültig, wie ihr juristischer Troubleshooter auftritt oder aussieht und was ihm Spaß macht – Hauptsache, er regelt ihre Probleme schnell, nachhaltig und möglichst diskret. Eine solche Karriere war in den Anfängen des Mark Wilhelms keineswegs vorgezeichnet: Mit 18 musste er Insolvenz anmelden, weil er seinerzeit ein Konzert veranstalten wollte, alles organisiert war, er aber nicht mit schlechtem Wetter gerechnet hatte. Er blieb mangels zahlender Besucher auf den Kosten sitzen und kam, wie er erzählt, nach dieser Erfahrung zu der Einsicht, juristische Kenntnisse könnten hilfreich sein. Also studiert er Jura, unter anderem in Tübingen, und kam nach einigen Umwegen vor etlichen Jahren nach Düsseldorf. Dass der Mann bei all diesem unkonventionellen Auftritt zu Kompromissen bereit und fähig ist, sein unorthodoxes Auftreten also Grenzen hat, beweist der genauere Blick auf Details des Büros: Hinter dem Schreibtisch – Beschreibung siehe oben – baumeln auf Kleiderbügeln an einem Bücherregal zwei sehr normale Jacketts in gedeckten Farben. Und über einer Stuhllehne hängt, achtlos hingeworfen, eine schwarze Robe. Außerdem sind seine Tattoos bei normaler Kleidung nicht sichtbar – weder am Kopf noch an den Händen. Also doch ein sich Hineinfügen in die spießige Kleiderordnung? Wilhelm zuckt mit den Achseln, zieht an seiner Zigarette (Camel), drückt sie im Glas-Aschenbecher aus und sagt, manchmal, vor allem bei ersten Gesprächen, müsse man halt Rücksicht nehmen auf die Erwartungen der möglichen Mandanten.

Jura mit Yoda

Jura mit Yoda

Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.

Kraftwerk, „Autobahn“ und die Welt von 1974

Oberbürgermeister trifft seinen Stimm-Zwilling

Zwei Düsseldorfer Zahnärzte und ihr Lehrling aus Vietnam